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Jugend
5rcChLater Mütterlimerieits war
einer der erſten freireligiöſen Dre-
diger. Sie genoß feinen liebevollen
Unterricht -- und verſtand ihn nict.
Goit wurde eine unſaßbare, abſtrakte,
allenfalls gefür<tete Größe. Chriſtus
aber lernte ſie lieben. Ihr Dater
urſprüngliQM Juriſt und hatte
aus ſozialiſtiſcher Ueberzeugung, die
ihm jede Juriſtijme Laufbahn ver-
ſhloß, das Waurerhandwerk erlernt.
lah dem Tod des Schwiegervaters
leitete er deſſen ſreireligiöſe Go-
meinde. -- Räthe Sdqhmidt, fo hieß ſie
damals, wurde von ihm in die Welli
des SozialiSmus geführt. Sie verlor
> .% in dieſer ſchr bald den Glauben der
% Kindheit, wohl au< den Glauben an
-“. den einſt geliebten, [leidenden Chriſtus
den ihr einſtmals der Großvater nauhe-
gebramdt. Den Chrifius gls ſolhen
aber verlor ſie nimt. Sie fand ivn
wieder im leibenden MenijGen, in der
leidenden „Schweſter“ vor allem, Da-
mit war dor Künſilerin Schigſal be-
ſiegelt, damit war 19x82 LebenSauf-
; EE gabe geſtellt.
Abb, 3. Kus dem Cyklus: „Weberaufſtand“. Lange Studienjahre madten ſie mit
der Technik der Grapbiß gründlid
Ganzen verſagt bleibt. -- Eine neue Zeit muß ſich darum bekannt. Sie ging dur) die SIule der Zeit, dur< ven
offen und jreudig zum „Inhalt“ des Kunſtwerks bekonnen.
Tur einem bürgerlich-individualiſtiſm;en Seitalter war der
Inhalt der Kunſt „Literatur“. In einer neuen Zeit, die alles
in Beziehung zum Ganzen wertet, wird Inhaltsdarſtellung
zur Dermittlung 6eSs Erlebniſſes einer „Ganzheit“, die wir
dur< den Derſtand nie zu umfaſſen vermögen, die nur das
genzale Kunſtwerk unjerer Seele einpflanzen kann.
Aud in den Iahren, in denen der Ruf na<h „reiner“ Kunſt
am lauteſten erſholl, hat es Künſtler gegeben, die ſich ihm
widerſezten. Klinger war einer. Er hat, unbekümmert um
alle Theorie, „Inhalte“ dargeſtellt. Freilich nict immer ganz
alük>lim. Die Klippen ſind bei jolc<em Bemühen gefährlicher
als bei Beſchränkung auf die rein „maleriſche“ Kufgaben-
ſezung. Die Klippen liegen im Geſhmakk der HUlaſſe, der
Inhalte ſchneller erfaßt als künſtleriſche Form und daru;
5ie Kunſt oft na< den ihr zuſagenden, meiſt „niedlicmen“ oder
„erotiſchen“ Inhalten wertet. Die Lia<hfolger Klingers auf
dem Gebiete der Graphik ſind an dieſen Klippen geſ<Heitort.
Sie variierten Klingers Thema vom Weib, von der Liebes und
vom Tod und produzierten gerne gekauften KRitſ< -- ja,
mandmal ſogar ehrlichen Schund. Sole Erfahrungen trieben
die wirklichen Künſtler zu einer übertriebenen Dertung der
Form und führten ſ<ließli< eine „Kunſt für die Runſt“,
eine Kunſt für den engen Kreis der wirkli? Eingeweihton
herauf.
„Kunſt“ für den Eingeweihten bedeutet Flucht -- iM mödt2
ſagen „feige“ Flucht vor den Aufgaben, die in allen großen
Kulturepomen der Runſt geſtellt ſind. Hicmt den Inhalt
meiden, heißt es, ſondern ihn ſuchen. Dort ſuchen, wo er
auf das „Kunſtwerk“ wartet; -- nicht im philiſtröſen 'G2-
ſchmack der Maſſe, ſondern im Sinngehalt der EpocHe, der
nah Darſtellung verlangt. Daß dieſe Inhaltsdarſtellung Nur
cine Aufgabe der Kunſt iſt, haben wir oben bemerkt. Ge-
ſtaltung deS Cobensraumes iſt die andere.
Den Weg zum wahren Inhalt ging Käthe Kollwis. Don
Klinger angeregt, wuchs ſie -- auf ihrem Gebiet -- Über
das Dorbild hinaus. Waren bei Klinger die Dramen des
täolicen Lebens Stoff zu virtuoſer graphiſcher Betätigung,
jo wurden ſie für Käthe Kollwiß tiefjtes Erlebnis. Geburt
und Sdyickſal bereiteten ſie auf dieſes LebenSswerk vor. Ihr
Realigmus und die „Armeleutemalerei“ der Epode Hindurd
(f. Abb. 2) und jand überraſDens jGnel ihren eigenen
wudtigen Stil. Die Darſtellung erhob jim über die realiſtiſme
SRi332, Wurde Zum AUSdrUuß des allgemeinen, vom Einzelfall
unabhängigen, aber im Einzelfall ſich auswirkenden Inhalt
der DIeit.
Dieſer Inhalt aber war das „Leiv“.
drückten Klaſſe, das Leid des Droleia vii, das Ceid kor
allem der Droletariſeen Frau. Käthe Kollwig batie Gelegon-
heit, es aus der Habe zu Schen, du ſie mit dem im Tiordogn
Berlins tätige . Kaſſenarzt Dr. Kollwig veräziratet ift.
Das Teid der Untvr-
| abb, 4. aus dem Cyklus: Weberaufſtand.