Full text: Arbeiter-Jugend - 19.1927 (19)

beiter 
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Jugend 
 
 
5rcChLater Mütterlimerieits war 
einer der erſten freireligiöſen Dre- 
diger. Sie genoß feinen liebevollen 
Unterricht -- und verſtand ihn nict. 
Goit wurde eine unſaßbare, abſtrakte, 
allenfalls gefür<tete Größe. Chriſtus 
aber lernte ſie lieben. Ihr Dater 
urſprüngliQM Juriſt und hatte 
aus ſozialiſtiſcher Ueberzeugung, die 
ihm jede Juriſtijme Laufbahn ver- 
ſhloß, das Waurerhandwerk erlernt. 
lah dem Tod des Schwiegervaters 
leitete er deſſen ſreireligiöſe Go- 
meinde. -- Räthe Sdqhmidt, fo hieß ſie 
damals, wurde von ihm in die Welli 
des SozialiSmus geführt. Sie verlor 
> .% in dieſer ſchr bald den Glauben der 
% Kindheit, wohl au< den Glauben an 
-“. den einſt geliebten, [leidenden Chriſtus 
den ihr einſtmals der Großvater nauhe- 
gebramdt. Den Chrifius gls ſolhen 
aber verlor ſie nimt. Sie fand ivn 
wieder im leibenden MenijGen, in der 
leidenden „Schweſter“ vor allem, Da- 
mit war dor Künſilerin Schigſal be- 
 
ſiegelt, damit war 19x82 LebenSauf- 
; EE gabe geſtellt. 
Abb, 3. Kus dem Cyklus: „Weberaufſtand“. Lange Studienjahre madten ſie mit 
der Technik der Grapbiß gründlid 
Ganzen verſagt bleibt. -- Eine neue Zeit muß ſich darum bekannt. Sie ging dur) die SIule der Zeit, dur< ven 
offen und jreudig zum „Inhalt“ des Kunſtwerks bekonnen. 
Tur einem bürgerlich-individualiſtiſm;en Seitalter war der 
Inhalt der Kunſt „Literatur“. In einer neuen Zeit, die alles 
in Beziehung zum Ganzen wertet, wird Inhaltsdarſtellung 
zur Dermittlung 6eSs Erlebniſſes einer „Ganzheit“, die wir 
dur< den Derſtand nie zu umfaſſen vermögen, die nur das 
genzale Kunſtwerk unjerer Seele einpflanzen kann. 
Aud in den Iahren, in denen der Ruf na<h „reiner“ Kunſt 
am lauteſten erſholl, hat es Künſtler gegeben, die ſich ihm 
widerſezten. Klinger war einer. Er hat, unbekümmert um 
alle Theorie, „Inhalte“ dargeſtellt. Freilich nict immer ganz 
alük>lim. Die Klippen ſind bei jolc<em Bemühen gefährlicher 
als bei Beſchränkung auf die rein „maleriſche“ Kufgaben- 
ſezung. Die Klippen liegen im Geſhmakk der HUlaſſe, der 
Inhalte ſchneller erfaßt als künſtleriſche Form und daru; 
5ie Kunſt oft na< den ihr zuſagenden, meiſt „niedlicmen“ oder 
„erotiſchen“ Inhalten wertet. Die Lia<hfolger Klingers auf 
dem Gebiete der Graphik ſind an dieſen Klippen geſ<Heitort. 
Sie variierten Klingers Thema vom Weib, von der Liebes und 
vom Tod und produzierten gerne gekauften KRitſ< -- ja, 
mandmal ſogar ehrlichen Schund. Sole Erfahrungen trieben 
die wirklichen Künſtler zu einer übertriebenen Dertung der 
Form und führten ſ<ließli< eine „Kunſt für die Runſt“, 
eine Kunſt für den engen Kreis der wirkli? Eingeweihton 
herauf. 
„Kunſt“ für den Eingeweihten bedeutet Flucht -- iM mödt2 
ſagen „feige“ Flucht vor den Aufgaben, die in allen großen 
Kulturepomen der Runſt geſtellt ſind. Hicmt den Inhalt 
meiden, heißt es, ſondern ihn ſuchen. Dort ſuchen, wo er 
auf das „Kunſtwerk“ wartet; -- nicht im philiſtröſen 'G2- 
ſchmack der Maſſe, ſondern im Sinngehalt der EpocHe, der 
nah Darſtellung verlangt. Daß dieſe Inhaltsdarſtellung Nur 
cine Aufgabe der Kunſt iſt, haben wir oben bemerkt. Ge- 
ſtaltung deS Cobensraumes iſt die andere. 
Den Weg zum wahren Inhalt ging Käthe Kollwis. Don 
Klinger angeregt, wuchs ſie -- auf ihrem Gebiet -- Über 
das Dorbild hinaus. Waren bei Klinger die Dramen des 
täolicen Lebens Stoff zu virtuoſer graphiſcher Betätigung, 
jo wurden ſie für Käthe Kollwiß tiefjtes Erlebnis. Geburt 
und Sdyickſal bereiteten ſie auf dieſes LebenSswerk vor. Ihr 
Realigmus und die „Armeleutemalerei“ der Epode Hindurd 
(f. Abb. 2) und jand überraſDens jGnel ihren eigenen 
wudtigen Stil. Die Darſtellung erhob jim über die realiſtiſme 
SRi332, Wurde Zum AUSdrUuß des allgemeinen, vom Einzelfall 
unabhängigen, aber im Einzelfall ſich auswirkenden Inhalt 
der DIeit. 
Dieſer Inhalt aber war das „Leiv“. 
drückten Klaſſe, das Leid des Droleia vii, das Ceid kor 
allem der Droletariſeen Frau. Käthe Kollwig batie Gelegon- 
heit, es aus der Habe zu Schen, du ſie mit dem im Tiordogn 
Berlins tätige . Kaſſenarzt Dr. Kollwig veräziratet ift. 
Das Teid der Untvr- 
 
| abb, 4. aus dem Cyklus: Weberaufſtand.
	        
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