Full text: Arbeiter-Jugend - 19.1927 (19)

Ür. 11 - 
Arbeiter-Jugend 
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Artikel iſt die Dereinigungsfreiheit für „jedermann“, au< 
für Jugendliche gewährleiſtet. Arbeits- und Lehrverträge, in 
denen eine Einſ<ränkung der Dereinigungsfreiheit enthalten 
iſt, laufen dem Artikel 159 der ReihHSverfaſſung zuwider. Ein 
jolHer Dertrag bleibt zwar redtskräftig, nur der ver- 
jaſſungswidrige Paſſus der DereinSablehnung iſt nichtig. 
 
Oſtpreußiſche „Kultur“. 
Der demokratiſche Oberſtudiendirektor Dr. Bohner, Vlit- 
glied des Preußiſchen Tandtags, hat auf einer Reiſe 'die ZU- 
ſtände in oſtpreußiſ<en DolksSsſ<ulen ſtwdiert und über ſeine 
Eindrücke geradezu niederſ<&metternde Einzelheiten im „Ber- 
liner Tageblatt“ veröffentlic<t. Wir wollen nur einige tat- 
ſäcGliche Angaben mitteilen. 
„Ein einziger Tag im Landkreis Rönigsberg zeigt folgende 
Bilder: Eine Stunde Fußweg vor KRönigsberg die erſte Guts- 
jule, wie faſt überall das Haus eines GutsSarbeiters, das 
nahträglim Sdhul- und Cehrerhaus wurde; das Klaſſen- 
zimmer wieder niedrig, - Fenſter na<h drei Seiten, dex Raum 
nict warm zu Kriegen; die Bänke alt und von der Art, 
daß kein Sdqüler darin ſtehen kann; heraustreten vor die 
Bank Kkann aud keiner, denn bei den 45 Sdhülern ſind die 
Bänke eng aneinander gepreßt und gehen bis an die Wände. 
Dabei Hat das Zimmer aud) ſhon für 94 reihen müſſen, 
ſelbſtverſtändlic<h unter einem Lehrer. 
Eine Fahrt auf der Landſtraße na< Kranz zeigt no< viel 
gedrücktere Derhältniſſe; eine zweiklaſjie Sqhule, der erſte 
Lehrer hat eine leidlihe Wohnung von drei Zimmern, Hak 
eine Küche, Wirtſ<aftSgebäude und Akerland. Der zweite 
hat eine Dienſtwohnung im gleihen Hauſe; es iſt ein 
Zimmer, in dem er jeit aHt Jahren ko<ht, wohnt und ſ<läüft 
und ſeine zwei Kinder aufzieht; natürlic?) iſt es auch ſein 
Studierzimmer, in dem er ſich als Lehrer nad) der TagesS- 
arbeit wiſſenſ<aftlic< fortbilden ſoll. Als wir ankommen, iſt 
eins der Kinder krank, und die Dienſtwohnung auh no 
zum Krankenzimmer geworden. Die Frau ko<ht daher unter 
dem Dal auf dem offenen Boden vor der Tür. Das Dad iſt 
ni<t mit Ziegeln belegt. Jjondern mit Bohlen, dur< deren 
Spalten der Wind pfeift. Zum Glük regnet es nicht an dem 
Tag; im Zimmer läuft zwar trozdem an der Mand, an der 
die Betten ſtehen, ununterbro<hen das Waſſer herab, und die 
Frau leidet an Rheumatismus troß ihrer Jugend. 
Wir beſuchen in einem Ort einen Lehrer in ſolHer Miet- 
wohnung. Wir haben uns vorher dur& Shlamm und Täſſe 
zur Schule dur<gearbeitet. „So ſieht der Weg den größeren 
Teil des Jahres aus,“ ſagt der erſte Lehrer, „ein Drittel 
meiner Sdqjulkinder iſt ſQwerhörig, da es immer mit 
naſſen Füßen in der kalten Sd<ule ſitt“. Dir fügen Hinzu, 
daß es ein Rätſel bleibt, wie die Schulanfänger täglich über 
den alten wackligen Brückenſteg gelangen, ohne in den Bach 
zu fallen. Dann geht es zum zweiten Lehrer. GutsSarbeiter 
zeigen uns, wo wir uns feſthalten müſſen, damit wir nicht 
im Sc<hlamm verſinken. Der zweite Lehrer hat glücklich 
Unterkunft beim Schmied gefundon. Er wohnt in einem 
kleinen Stübchen, das für ein Bett überhaupt keinen Plaß 
hat, ſo daß ſeine Schweſter und HausShälterin auf dem win- 
zigen Sofa ſ<lafen muß. „Und Sie?“ Er führt uns zu einem 
Derſ<lag unter dem Dad, den wir ohne Erläuterung nie 
für die Unterkunft eines Menſc<en gehalten hätten. 
Zu dieſer Enge tritt die Dereinſamung. Glücklich, 
wer in dem ſtraßenarmen Lande an einer Landſtraße wohnt; 
die übrigen Wege ſind zu beſtimmten Jahreszeiten für jeden 
Derkehr unmöglich. Ein weiteres Uebel iſt die wirtſ<aft- 
lime Abhängigkeit vom Gutsherrn in der Derſorgung 
mit den täglihen Uahrungsmitteln; in Krankheitsfällen 
vollends iſt ſeine Hilfe -- das Geſpann nam der Stadt -- 
nicht zu entbehren. Mandem GutsSherrn muß aber der Lehrer 
entgegentreten, wenn er die Kinder in unbilliger Weiſe wäh- 
rend der Schulzeit zur Feldarbeit heranzieht.“ 
Tatſachen. In dem Berliner Bezirk Prenzlauer Berg wurde 
dur< eine Erhebung feſtgeſtellt, daß allein in diejem einen 
Stadtteil 7380 Kinder regelmäßig 0 hne erſtes Frühſtück und 
208 Kinder ohne zweites Frühſtück zur S<ule kommen. Im 
Reidsetat für 1927 wurden dur< die bürgerlic<e Mehrheit für 
die Reihswehr 690 Millionen Dlark, darunter allein 36,79 
Millionen Mark zur Unterhaltung und zum Knkauf von 
 
Waffen eingeſe3t, während dieſelben den für die Rinderſpeiſung 
vorgeſehenen Betrag zunächſt völlig | ri<Hen, dann unter dem 
Dru der Sozialdemokraten 4 Nlillionen einfetten, aber die 
von: den Sozialdemokraten verlangte Erhöhung auf 5 UMil- 
lionen ablehnten. 
Hunderttauſend Beſu<her in der Kusſtellung „Das- junge 
Deutſchland“. Die Ausſtellung der deutſchen Jugend iſt nun- 
Mehr geſc<loſſen. Sie hat einen außerordentlic<m ſtarken öffent- 
lihen Erfolg gehabt. Wehr als Hunderttauſend Bejucher 
wurden gezählt, und weil die Ausſtellungsräume an den 
meiſten Tagen überfüllt waren, wurde die Ausſtellung für 
den Beſju< geſ<loſſener Gruppen noOD bis zum 5. Gktober 
verlängert. Schr groß war au< die Zahl der Perſönlichkeiten 
des öffentlichen LebenS, die die Ausſtellung beſuchten; am 
lezten Tage nod beſichtigte der Genoſſe Thomas, Direktor 
des Internationalen Krboitsamts, die AusSitellung und ſpraH 
ſi) vor allem über dus ſozialpolitiſhe Ulaterial anerkennend 
aus. Die Kusſtellung wird nun als Wanderausitellung in 
mehreren Städten des Reiches gezeigt werden, und zwar zuerſt 
in LeIiPpZIig. 
Staatszuſchüſſe für Jugendheime. Der LandeSausſusß 
Thüringen der deutſ<en Jugendverbände hat in einer 
Eingabe an den Landtaa von Thüringen beantragt, die im 
Entwurf des HausShaltplanes 1927 eingeſeßten ſtaatlic<en Zu- 
ſj<ußmittel für Iugendheime von 1000 Ylark auf 19 000 Ulark 
zu erhöhen, du dur< die immer deutlicher in Erſ>einung 
tretende Jugendheimnot in Thüringen große Gefahren für 
den Beſtand der ſo notwendigen Arbeit an der Jugend ent- 
ſtehen. Der Dräſident des CTandtages hat die Eingabe ſofort 
dem HauShaltausſhuß überwieſen, damit dieſs Forderung 
nod jeßt bei der EtatSberatung beſpro<men und feſtgelegt 
werden kann. Soweit unſere Parteifreunde im HauShaltungs- 
auSsſ<muß in Frage kommen, ſo werden ſie Surge tragen, daß 
der Zuſchuß von 1000 M8. erhöht wird. Die Erhöhung auf 
10 000 Uk. iſt nict zuviel, denn bei der Zahl der beſtehen- 
den Jugendverbände und dem Zuſtand vieler Jugendheime 
könnte eine no<h höhere Summe bewilligt werden. Ob die 
gejpannte Finanzlage des Landes die Bewilligung der 10.000 
Jiark geſtattet, wird allerdings erſt im Ausſ<Huß entſ<ieden 
werden können. 
 
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Bolſchewijtiſhe Kampfesmethoden in Rußland. 
Im Derlag unſerer Hamburger Parteidruckerei, Auer 1. 
To., iſt eine Broſchüre erſ<ienen, in der ein Ulitglied der 
zweiten HArbeiterdelegation na“z BSowjetrußland, Arthur 
Kod<-WieSba<H, ſeine Eindrücke von dieſer Delegationsfahrt 
niedergelegt hat. Seine Ausführungen jind eine erneute Be- 
ſtätigung dafür, daß dieſen Arbeiterdelegierten ein voll- 
kommen im bolſ<ewiſtiſmHen Sinne friſiertes Bild von den 
Zuſtänden in Rußland geboten wird. PDir überlaſſen es 
unſeren Leſern, die Einzelheiten in der Broſc<üre ſelbſt na<D- 
zuleſen. JFeſtgehalten fei nur ein ZSitat, das der Derfaſſer 
der Schrift am Sdluſſe ſeiner Ausführungen über die Bs- 
kämpfung der SozialiſtiſGen Arbeiterjugend bringt. ES 
heißt dort: 
„Die die SAT. in Rußland angeſchen iſt, geht daraus 
hervor, daß bei einer Demonſtration der „Komintern“ 
(KommuniſtiſMe Internationale) in Moskau im Demon- 
ſtrationszuge ein Transparent mitgetragen wurde, auf dem 
eine Dirne undcein junger Arbxiter mit dem 
Abzeichen SAI. abgebildet waren. Beide waren als be- 
trunken dargeſtellt und hatten ſim „eingeöſt“. In leuG:ien- 
den Buchſtaben ſtand darunter: „Womit beſ<äftigt 
ſiM die SA7.?“ ' 
Und das zu einer Zeit, als 47 Sozialdemokraten ruſſiſche 
Gäſte waren.“ 
Dieſes Beiſpiel zeigt Kraß, in welcher gemeinen Weiſe die 
Kommuniſten den Kampf gegen unſere Bewegung jühren. 
Sie übertreffen damit die gehäſſigſten Derdä<htigungen, denen 
die ſozialiſtiſ<e Iugendbewegung vor allem in der DorRkriegsS- 
zeit dur< die ſ<wäürzeſten Reaktionuüre ausgeſeßt war. 
- Kommuniſtiſche Wären. 
Anfang Juni d. I. berichtete die kommuniſtiſche „JIunge 
Garde“ von einem Maſſenaustritt der Mitglieder unſerer 
Ortsgruppe LudwigsShafen. Uac<H heftigen AusSeinander-
	        
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