Full text: Arbeiter-Jugend - 20.1928 (20)

Ur. 11 
Arbeiter-Iugend 
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Frage vorzulegen, ob es nicht ſeine Pfli<t als international 
denkender Proletarier ſei, der Welt ſeine internationale Ge- 
ſinnung zu beweiſen, indem er zur Möglichkeit der gegen- 
ſeitigen Derſtändigung beiträgt und die Hilfsſpra<e Eſpe- 
rants erlernt. In einem ſpäteren KAufſaß will iQ gern die 
Wege zur Erlernung der Sprache weiſen, über die Eſperanto- 
organiſationen berichten und Viöglichkeiten aufzeigen, 
Eſperanto ſchon jezt nußbringend zu verwenden. 
Laboristoſ, lernu la neutralan internacian helplingvon 
Esperanto kai la mondo estos unu Sola patrolando. 
(Arbeiter, lernt die neutrale internationale Bilfsſprache 
Eſperanto und die Welt wird ein Daterland ſein.) 
KR. I. Kurz: Alt-Erik und die Tliege. 
 
 
(& wiſchen finſteren Bergen hoch oben in JItorwegen liegt 
(3 der Bardaſee. Die Gegend iſt einſam. In den 
L/ wenigen armen Hütten, die in den Wäldern zerſtreut 
liegen, wohnen nur ein paar Oußend Menſchen, die ſich von 
Fiſchfang und Jagd ernähren und nebenbei die wenigen 
Wieſen und Aecker beſtellen. Ein ſ<maler Caumpfad führt 
von der Küſte herauf. Aber der wird 
wenig gebraucht. Die Leute hier ſind in 
ihren Anſprüchen genügſam und faſt 
ganz auf ſich ſelber geſtellt. 
Nan hat hier noch nie den Pfiff einer 
Cofomotive oder den gellen Grei einer 
Dampferſirene gehört. Das Heulen des 
Sturmwinds, das Poltern des Donners 
und das Brauſen der Waſjerfälle unter- 
brechen die Gtille. Die Stimme der Nen- 
ſchen reicht nicht weit. Dann und wann 
ein Gewehrſchuß oder der ſpärliche Rauch 
der Herdſeuer verrät ihr Oaſein. 
Die Nordwand über dem Bardaſee 
ſtürzt mehr als zweihundert Meter ſenk- 
recht ab. Auf halber Höhe iſt ein ſchmales 
Grasband, nicht mehr als dreißig Schritte 
lang und nirgends mehr als vier Ochritte 
breit. Es iſt ganz unzugänglich. Eine 
uralfe Fohre ſteht darauf, man Fann ſie 
bei Flarem IBetfer von der Küſte aus 
ſchon ſehen. Das iſt Alt-Eriks Haus. 
Die Leufe meinen, daß Alt-Erik an die drei Meter von 
einer OGchwingenſpiße zur andern meſſe, und daß er nicht 
ſeinesgleichen finde von Haparanda bis Varjag Njarga. 
Alt-Erik iſt der Ahne eines großen Adlergeſchlechtes. Wie 
alt er iſt, weiß kein Menſch. Der achtzigjährige Thorvund 
erinnerf ſich ſeiner aus der Jugendzeit. Ochon damals hat 
man ihn beachtet, ſchon damals nannfe man ihn bei ſeinem 
heufigen Namen. Es iſt nicht ſo, daß man ihm Verehrung 
oder Zuneigung ſchenkte, doch man haßte ihn auch nicht und 
verlangfe darum nicht ſeinen Tod. Der einzige, der einmal 
aus purem ÜUebermut nach ihm jc<oß, war Aasbjörn 
Egilſon, und ihm iſt es übel ergangen. Der Verſchluß ſeiner 
alten Remingtonflinfe hielt nicht, der INeſſingboden der 
Patrone ſchlug ihm das rehfe Auge aus. 
Seither hat ſich kein Gewehrlauf mehr auf Alt-Erik ge- 
richtet. Er zog über dem BVardaſee ſeine Kreiſe, Lag für 
Tag. Bom Frühling, wenn das Eis ſich löſte, bis zum 
Herbſt, wenn die erſten Froſtnächte kamen, enkfernte ſich Alik- 
Erik nicht weit vori ſeinem Horſt. Gtundenlang hing er 
boch über den Wäldern und Bergen, als ein kleiner, dunkler 
Punkt in der Himmelsbläue vergraben. Jah und unerwartet 
ſchoß er nieder, ſauſte wie ein ſchwerer Gtein in den glatten 
CSeeſpiegel, Hoch ſprißke der O<haum, daraus exhob ſid) 
Alt-Erik mit einer blanken, zappelnden Forelle in den Fängen. 
In der Zeit, wenn das Laub der SCchwarzerle zu grünen 
begann, frug er ſeinen Raub zur alten Föhre hinauf, denn 
dort wartefen das braune Weibchen und die ſchreienden 
Jungen. Manche Familie hat Alt-Erif im Lauſe der Zeit 
dorf entſtehen ſehen, und- manche Familie wieder verſchwin- 
den. Noch ehe die Beeren an den Ebereſchen ſic) rot zu 
färben begannen, war das Neſt wieder leer. Die Jungen 
waren ſich ihrer Kräfte bewußt geworden, und auch das 
braune Weibchen zog eines Tags wieder über die Berge und 
 
kam nicht mehr zurüd. -- Dann ſaß Alt-Erif traurig wie ein 
Bettelweib am oberſten Rand der ſteilen Felswand, und keiner 
konnte in Dieſer elenden Figur den ſtolzen Segler der Lüfte 
wieder erfennen. 
Aber nie trauerte er lange um Weib und Kind. Nach ein paar 
Tagen zog er wieder ſeine ſtillen Kreiſe hoc< über dem See ...- 
Nach dem kurzen Gommer kommt der 
Winter und begräbt Berg und Wald un9 
Sels und Gee unter unendlichen Iaſſen 
von Cchnee und Eis. Haſe und Birkwiid 
verſtecken ſich faggüber in Chneehäujern, 
die alle Zweige der Büſche willig bauen. 
Dann zieht Alt-Erif jeden Nlorgen hin- 
aus an die Küſte. Er kennt alle Weide- 
pläße dex COchafe meilenweit das Land 
auf und ab, und er weiß auch, daß dort, 
nabe dem wärmenden INeer, die Herden 
im Winfer draußen liegen. Baid iſt die Zeit 
der langen Nächte. Nur ein paar Stun- 
den über den Mittag ſteht die Gonne 
wie ein blutiges Auge auf dem IWaſjer. 
In dex Dämmerung fann man zuweilen 
Alt-Eriks heiſeren Schrei hören. Man 
fann auch ſeinen Schatten über die Felſen 
ſirxeichen ſehen, ebe ihn die Sinſternis auf- 
> nimmt. -- Aber auf jeden Winter folgt 
(2 wieder ein Frühling und Alt-Erik bringt 
“ ' von irgendwoher wieder jein braunes 
Weibchen und das ewige Epiel des Gudwinds und der Liebe 
beginnt. =- Am Eftand unter Alt-Erifs Föhre dehnt ſich eine 
Geröllhalde. Stein um Stein hat ſich von der Wand losgelöſt 
und iſt in den See gefallen. So iſt in vielen kaujend Jahren 
das weite Trümmerfeld entſtanden, das man, ehe das Cis 
frägt, von feinem Ufer erreichen Fann. Zwiſchen dieſen 
Steinen hat ein Otter ſein Haus. Der Cingang liegt unter 
dem Waſſerſpiegel und er iſt ſo wohl verborgen vor allen 
Augen, daß außer Alt-Erif, dem nichts geheim bleibt, noch 
fein Fremder ihn entdeckte. Der Otter iſt ein Einſiedler, vor 
langen Jahren kam er über den See. Er holt ſich wie AUlk- 
Erik ſeine Beufe aus der freigebigen Tiefe. Da ihm keine 
Slügel verliehen ſind, jo daß er mit dem Idler an die Küſte 
hinausziehen kann, bricht er ſich im Winter Löcher ins Cis. 
Er hat noch nie gehungert. Otter und Adler kennen einander. 
Sie ſind Nachbarn und ſich weder Freund noch Feind. 
In der Tiefe des Sees lebt eine alte Forelle. Sie iſt 
größer und ſtärker als alle anderen Fiſche. Cs droht ihr von 
ihresgleichen feine Gefahr und vor Andersgearteten hütet 
ſjie>jich. | 
Millionen von Fliegen wohnen um den See. Es gibt da 
viele Sorten, bunte und ſchwarze, dide und ſchlanfe. Cie 
ſierben alle in den erſten Froſtnächten des Herbſjtes; aber 
faum daß der Echnee von den Feljen vertropft iſt, ſimd ſie 
wieder alle da. 
Das iſt das Leben am einſamen See, alles ſcheint feſi und 
ſicher geordnet und nach irgendeinem geheimen Geſeß in be- 
ſtimmte Bahnen gelenkt. 
Aber nun kommt ein Frühlingsmorgen, und da geſchieht 
ctwas. | 
Alt-Erik zieht am Himmel feine prachtvollen Kreiſe. Jn 
ſeiner ſicheren Höhle liegt der Otter. Die große Forelle 
ſchmiegt ſich regungslos an einen Gtein, ſie ſcheint ohne 
7,2,
	        
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