Full text: Arbeiter-Jugend - 21.1929 (21)

 
Erich Räſtner: Urieg in der Hechtſiraße. 
5 m Donnerstagmittag wurde Klaus Trenkler auf dem 
6 Schulwege von fünf Mitgliedern der Hechtbande an- 
* gefallen, gefangen genommen, in einen Keiler des weit- 
läufigen Grundſtücks verſ<leppt, das dem Pferdehändler 
BialoſGewſky gehörte, und dort unten mit feſten Halſter- 
ſtricken an einen der naſſen niedrigen Stüßpfeiler Jebunden. 
Bald darauf ertönte an den E>ken und in den Höfen der 
Bechtſtraße der Bandenpfiff, und die Dollverſammlung, die 
raſc< zuſtande kam, beſ<loß, einen Darlamentär mit weit- 
reichenden Dollmac<hten in die Tuiſenſtraße zu entſenden. 
Franz Frank borgte ſi< alſo vom kleinen Jolles ein weißes 
Taſc<hentu<, holte aus den Pferdeſtällen einen zerbro<enen 
Peitſc<enſtiel und zog los. Ein Dußend Iungens brachte ihn 
bis zum Königsbrücker Plaß und legte ſi dort, für alle 
Fälle, in den Hinterhalt. 
Die Feindſchaft zwiſcHen den Knaben der zwei Straßen be- 
ſtand ſeit Genexationen, hatte ſi) aber im Derlauf der Jahre 
verſtärkt, und daran war, im leßten Gründe, die Entwit- 
lung der Stadt ſelbſt ſchuld. Die Bedtfiraße geriet unauf- 
baltſam in das Wohnviertel der Fabrikarbeiter aus den 
VUaumann-Werken; die Luiſenſtraße blicb bedeutend ſeiner, 
denn hier waren vorwiegend kleine Kaufleute und Beamte 
zu Bauſe. Die politiſche Vleinungsverſmqicdenheit der Däüter 
übertrug ſich auf die Knaben, von denen ja ſpäter die meijien 
den Beruf der Däter ergreifen würden. Der Unter hie Jer 
Cobensbedingungen, die in der einen und der anderen Siraße 
herrſchten, war nicht beträd<tlic, aver die kleinen Der- 
ſhiedenheiten ſind ja die größten. 
Drei Tage bevor KRlaus Trenkler am hellen Ulittag 98- 
fangengenommen wurde, war eines der ber 'Uhmten Gefechte 
geweſen. Vian hatte ſiM mit Steinen mittlerer Größe b2- 
worfen; man hatte geohrfeigt und gerungen und govozt. 
Karl Bolz, der Hauptmann der Hedtbande, hatie einen ſoiner 
Bakzähne verſ<luckt 
und zum Arzt laufen 
müſſen. Au ein paar 
Gymnaſiaſtenmügen 
waren druufgegangen. 
Das alles war niQts 
Beſonderes. Aber es 
war da noe etwas 
anderes paſſiert: Cin 
Trupp der Luijenbande 
batie, für den Feind 
unerwartet, pon der 
Zahnsgalſe einen Flan- 
Renangriff unternon- 
men! Dadurd) wär cs 
gelungen, die vporbveriſte 
Front der BeMiDande 
zu iſolieren, von Zwei 
Seiten her zu bearbei- 
ten und ihr, 0 Schande! 
die Fahne -- ein rotes, 
mit einem gräßlichen 
Totenkopf bemaltes 
Tu<H -- zu entreißen, 
Die Wut der Hedt- 
 
 
Heute wollen wir das Ränzlein ſ<nüren 
bande ſtieg daraufbin ins Ungemeſſene. Taſ<enmeiijer 
würden gezogen und aufgeklappi, und die Luijenban3e2 
hotte ſi? mit der eroberten Fahne eilends davonman: 
müſſen, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. 323 “29 
die Siegestrophäe, gut verwahrt, im unteren lingon SH ) eib 
tiſQfa< des Oberpoſtſekretärs Wawerka, ohne daß er daron 
elwas wußte. 
Wegen der verlorenen Fahne nahm die HemMibanve nun 0 
am Donnerstagmittag den kleinen Trenkler als Geiſel g8- 
fangen. Und ihretwegen ſ<i>te ſie den Unterhändler Frank 
in die Luiſenſtraße 
Das Bauptquartier der Feinde befand ſim im Hofe 025 
Reſtaurants „Zur ſ<arfen Eke“. Denn in dieſem Hauije 
wohnten Wawerkas, deren Jüngſter, ein Untertertianer, dor 
Bandenhäuptling war. Franz Frank knüpfig das geliehene 
ſaubere Taſchentuch an den Peitſchenſtiel und pfiff. Tr pfiff 
das Bandenſignal der Hemtloute. Eine Sekunde ſpäier RIgB- 
perte in der dritten Etags ein Fenſter. Der dime Wawern: 
bücteſic übers Fenſterbre it und brüllte ärgerli<?: „Was'n l05?“ 
Der Unierhändler wedelte mit jeiner Peitſche und rief: 
„Komm mal runter, MenſQ! I< bin'n reitender Bote!“ 
Wawerka ſien das 3u glauben. Zedenfalls ſtand er Wenige 
inuten ſpäter unten im Bof, hätte, aus purer HöfiimMReit 
dem Feindlimen CToſandten faſt die Band gegeben, nahm ie 
aber im lezten Augenblim; wieder ZUrÜG, 30g Falten und 
ſagte: „Lich mal eſſen kann man in Ruhe. alfo?“ 
"Wir wollen unſere Fahne wiederhaben.“ 
„Kann id mir denken. Kommt nicht in Frage.“ 
„Wir geben cu) dafür euren Trenkler wieder raus.“ 
„Dieſo habt ihr ihn denn geſQnappt?" 
„Klar, VienſiH! Kam mit 'nem Stoß Diktathefte durd) den 
Homt. Sollte fie zu Lehrer Piittonzwey bringen. Schon war 
cr futſ<.“ -- Der Tertigner Wawerga ſtopfte vor Wäit 
die Fäuſte in die Ta- 
ſHen und ſticß mit dem 
Stiefel gegen eins der 
viclen leeren Tä ie I, 
die auf ö dem Boſe ſtan- 
den. Dann jagtt er 
„Das kann iG it 
entſcheiden. va 
139 
Soi!“ Dann Boito er 
eine ausgedicnts Aut3- 
hupe hinter einem Der- 
gitterten Kellerfeniior 
vor und ſauſte auf die 
Straße. Der DParlamen- 
fär Kletterte auf ein 
Hektoliterfaß, jezte ſi, 
zog die Beine ho< und 
hörte, bald näher, bald 
weiter weg, Wawerkas
	        
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