Erich Räſtner: Urieg in der Hechtſiraße.
5 m Donnerstagmittag wurde Klaus Trenkler auf dem
6 Schulwege von fünf Mitgliedern der Hechtbande an-
* gefallen, gefangen genommen, in einen Keiler des weit-
läufigen Grundſtücks verſ<leppt, das dem Pferdehändler
BialoſGewſky gehörte, und dort unten mit feſten Halſter-
ſtricken an einen der naſſen niedrigen Stüßpfeiler Jebunden.
Bald darauf ertönte an den E>ken und in den Höfen der
Bechtſtraße der Bandenpfiff, und die Dollverſammlung, die
raſc< zuſtande kam, beſ<loß, einen Darlamentär mit weit-
reichenden Dollmac<hten in die Tuiſenſtraße zu entſenden.
Franz Frank borgte ſi< alſo vom kleinen Jolles ein weißes
Taſc<hentu<, holte aus den Pferdeſtällen einen zerbro<enen
Peitſc<enſtiel und zog los. Ein Dußend Iungens brachte ihn
bis zum Königsbrücker Plaß und legte ſi dort, für alle
Fälle, in den Hinterhalt.
Die Feindſchaft zwiſcHen den Knaben der zwei Straßen be-
ſtand ſeit Genexationen, hatte ſi) aber im Derlauf der Jahre
verſtärkt, und daran war, im leßten Gründe, die Entwit-
lung der Stadt ſelbſt ſchuld. Die Bedtfiraße geriet unauf-
baltſam in das Wohnviertel der Fabrikarbeiter aus den
VUaumann-Werken; die Luiſenſtraße blicb bedeutend ſeiner,
denn hier waren vorwiegend kleine Kaufleute und Beamte
zu Bauſe. Die politiſche Vleinungsverſmqicdenheit der Däüter
übertrug ſich auf die Knaben, von denen ja ſpäter die meijien
den Beruf der Däter ergreifen würden. Der Unter hie Jer
Cobensbedingungen, die in der einen und der anderen Siraße
herrſchten, war nicht beträd<tlic, aver die kleinen Der-
ſhiedenheiten ſind ja die größten.
Drei Tage bevor KRlaus Trenkler am hellen Ulittag 98-
fangengenommen wurde, war eines der ber 'Uhmten Gefechte
geweſen. Vian hatte ſiM mit Steinen mittlerer Größe b2-
worfen; man hatte geohrfeigt und gerungen und govozt.
Karl Bolz, der Hauptmann der Hedtbande, hatie einen ſoiner
Bakzähne verſ<luckt
und zum Arzt laufen
müſſen. Au ein paar
Gymnaſiaſtenmügen
waren druufgegangen.
Das alles war niQts
Beſonderes. Aber es
war da noe etwas
anderes paſſiert: Cin
Trupp der Luijenbande
batie, für den Feind
unerwartet, pon der
Zahnsgalſe einen Flan-
Renangriff unternon-
men! Dadurd) wär cs
gelungen, die vporbveriſte
Front der BeMiDande
zu iſolieren, von Zwei
Seiten her zu bearbei-
ten und ihr, 0 Schande!
die Fahne -- ein rotes,
mit einem gräßlichen
Totenkopf bemaltes
Tu<H -- zu entreißen,
Die Wut der Hedt-
Heute wollen wir das Ränzlein ſ<nüren
bande ſtieg daraufbin ins Ungemeſſene. Taſ<enmeiijer
würden gezogen und aufgeklappi, und die Luijenban3e2
hotte ſi? mit der eroberten Fahne eilends davonman:
müſſen, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. 323 “29
die Siegestrophäe, gut verwahrt, im unteren lingon SH ) eib
tiſQfa< des Oberpoſtſekretärs Wawerka, ohne daß er daron
elwas wußte.
Wegen der verlorenen Fahne nahm die HemMibanve nun 0
am Donnerstagmittag den kleinen Trenkler als Geiſel g8-
fangen. Und ihretwegen ſ<i>te ſie den Unterhändler Frank
in die Luiſenſtraße
Das Bauptquartier der Feinde befand ſim im Hofe 025
Reſtaurants „Zur ſ<arfen Eke“. Denn in dieſem Hauije
wohnten Wawerkas, deren Jüngſter, ein Untertertianer, dor
Bandenhäuptling war. Franz Frank knüpfig das geliehene
ſaubere Taſchentuch an den Peitſchenſtiel und pfiff. Tr pfiff
das Bandenſignal der Hemtloute. Eine Sekunde ſpäier RIgB-
perte in der dritten Etags ein Fenſter. Der dime Wawern:
bücteſic übers Fenſterbre it und brüllte ärgerli<?: „Was'n l05?“
Der Unierhändler wedelte mit jeiner Peitſche und rief:
„Komm mal runter, MenſQ! I< bin'n reitender Bote!“
Wawerka ſien das 3u glauben. Zedenfalls ſtand er Wenige
inuten ſpäter unten im Bof, hätte, aus purer HöfiimMReit
dem Feindlimen CToſandten faſt die Band gegeben, nahm ie
aber im lezten Augenblim; wieder ZUrÜG, 30g Falten und
ſagte: „Lich mal eſſen kann man in Ruhe. alfo?“
"Wir wollen unſere Fahne wiederhaben.“
„Kann id mir denken. Kommt nicht in Frage.“
„Wir geben cu) dafür euren Trenkler wieder raus.“
„Dieſo habt ihr ihn denn geſQnappt?"
„Klar, VienſiH! Kam mit 'nem Stoß Diktathefte durd) den
Homt. Sollte fie zu Lehrer Piittonzwey bringen. Schon war
cr futſ<.“ -- Der Tertigner Wawerga ſtopfte vor Wäit
die Fäuſte in die Ta-
ſHen und ſticß mit dem
Stiefel gegen eins der
viclen leeren Tä ie I,
die auf ö dem Boſe ſtan-
den. Dann jagtt er
„Das kann iG it
entſcheiden. va
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Soi!“ Dann Boito er
eine ausgedicnts Aut3-
hupe hinter einem Der-
gitterten Kellerfeniior
vor und ſauſte auf die
Straße. Der DParlamen-
fär Kletterte auf ein
Hektoliterfaß, jezte ſi,
zog die Beine ho< und
hörte, bald näher, bald
weiter weg, Wawerkas