SE ARBEITER-ZUGEND NR.12
mählich aufzudecken und die Unschuld des Verurteilten zu
erweisen. Und als Emile Zola, der große Dichter, dessen
Energie und Tapferkeit s0 groß war wie Sein Gerechtigkeits-
Sinn, erklärte, er wolle die Sache des unglücklichen Dreyfus
zu Seiner eigenen machen, da wöühlte die Affäre ganz Frank-
reich bis zum Grunde auf und Spaltete es in zwei Lager, in
die „DreyfuSards“ und die „Antidreyfusards“. Der Name
Dreyfus war zum politisSchen Kampfzeichen geworden.
Im Bund mit dem radikalen Kleinbürgertum nahm das
Proletariat unter der Führung Jean Jaures den Kampf gegen
den Militarismus und Seinen Bundesgenossen, den Kleri-
kalismus, auf. Aber ein voller Sieg blieb der französiSchen
Linken versagt. Dreyfus wurde zwar endlich im Jahre 1906
freigesprochen und als Major wieder in die Armee ein-
gestellt. Aber die Verbrechen der Offizierskamarilla wurden
nicht restlos geSühnt, ihre Macht nicht ernstlich erschüttert.
In der Handlung. des Films verblaßt die überperSönliche
Bedeutung der Affäre vor der persönlichen Tragödie. Dafür
entschädigt der Film durch eine Fülle großer Schauspiele-
riScher Leistungen. Vor allem ist da die große Rede Zolas
vor Gericht, von Heinrich George gesprochen. Wäre der
Film Sonst ganz und gar Schlecht (das ist er nicht), diese
Rede würde genügen, ihn zu einem wertvollen zu machen.
Wie dieser Mann dasteht: breit und wuchtig! Er Spricht:
Stockend und nach Worten ringend; man will ihn nieder-
brüllen. Es ist der Kampf des Geistes gegen den Ungeist,
der Güte gegen den Haß, der Gerechtigkeit gegen die Ver-
Jeumdung. Sie bleibt unvergeßlich, diese Redel
Eine untadlige Leistung, ein ganz großes Kunstwerk ist
der franzöSiSche Tonfilm „Unter den Dächern von
Paris“. Wie „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ verSetzt
uns auch dieser Film ins lumpenproletarische Nilieu. Aber
es geht hier nicht s0 düster zu wie in dem Zillefilm. Mit
unvergleichlicher SpieleriScher Anmut, mit unbeschwerter
Heiterkeit und Liebenswürdigkeit wird eine kleine Liebes-
gesSchichte abgewickelt. Der ganze Film ist wie ein Gedicht,
wie ein Märchen; So unwirklich, farbig und beschwingt.
Und doch ist alles gleichzeitig SO wahr und echt, so gar
nicht verlogen, wie in den vielen anderen Filmen, die man
uns vorSetzt. Keine geschminkten Worte, Keine geschmink-
ien Gesten, keine falsche Pathetik oder Sentimentalität.
Es wird französSisch gesprochen. Aber das Bild und die
Handlung reden eine So beredte Sprache, daß eine Ueber-
Setzung nicht nötig war. Wundervoll die Kulisse: Eine
krumme Gasse irgendwo in Paris mit Schmalbrüstigen,
hohen, winkligen Häusern; Höfe, Kneipen und MansSarden.
Und darüber die Dächer mit dem Gewirr der qualmenden
EsSsen. Und das alles in Schimmernde Helle und heiteren
Glanz getaucht.
Wundervoll die wenigen Gespräche, die graziös Schwin»
gende Melodie des „Sous les toits de Paris . Und mit
welcher Meisterschaft ist eine nächtliche MessSerStecherei in
der Nähe eines Rangierbahnhofs wiedergegeben! Man hört
nicht das Brüllen, Keuchen und Fluchen, nur die viel wirk»
Samere Untermalung: das dumpfe Poltern, das Rattern und
Pfeiten der Züge.
Die Handlung? Drei werben um ein Mädel. Albert,
Straßensänger von Beruf, ein netter SympathiSscher Kerl, der
hübsche, unbeständige Louis und der Starke und gewalt»
tätige Fred, ein Zuhälter. Nach langem Hin und Her, Zwi-
Schenfällen, Liebes= und EiferSuchtsSzenen, AuSseinander-
Setzungen Kriegt Louis endlich das Mädel; Fred hat bei
Lola bald ausgespielt und auch Albert muß verzichten.
Das alles Spinnt Sich um die leichtschwebende Melodie
des „Sous les toits , ein Kleines Lied: ganz Klang und
Rhythmus. Man hat natürlich nicht versäumt, aus den
Schönen französiSchen Worten dieses Songs einen albernen
Schlagertext zu machen, der Sich würdig einreiht in die
Front vom Wiener Prater über das Herz von Heidelberg
zum kloinen Haus am Michigan-See.
Werner Peese, TFrankſaurt a. M.
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Jon Josef Maria Frank.
„Der Bücherkreis , Berlin.
Das Titelblatt dieses Romans müßte eine Käte Kollwitz-
Das Leben | der - Marie Szameitat.
Verlag
Zeichnung Schmücken. Die Künstlerin hat das Leben der
proletarischen Frau bildlich dargestellt, JoSsef Maria Frank
erfüllt diesze Aufgabe in dichteriScher Form. Wir müssen
Sagen, daß Sie ihm“ gelungen ist. Ein proletariSsches Frauen-
SChickSal Schildert er, wie es nicht nur Marie Szameitat,
Sondern Millionen Frauen der ganzen Welt erdulden müssen.
All jene latsachen, die in der SozialistiSchen Bewegung von
jeher die Grundlagen unseres Kampies für die proletarischen
Frauen bedeuten, werden durch diesen Roman aufs neue
bestätigt. Die Frauen der Arbeiterklasse Sind doppelt aus-
gebeutet, doppelt Leidende, einmal als Angehörige ihrer
Klagze und zum anderen als Frauen.
Marie Szameitats Heimat ist das Masurenland, das Leben
der hier wohnenden Menschen wird geschildert. Hier wird
Marie frühzeitig in den Kampf ums Dasein hineingezwungen,
hier hat Sie ihr erstes Liebeserlebnis und hier beginnt ihr
Leidensweg als Geschlechtswesen. Als uneheliche Mutter ent-
flieht Sie der Heimat und Sucht Rettung in der Millionenstadt
Berlin. Indem wir Maries Leben weiter verfolgen, lernen wir
'gleichzeitig die SoziclogisSchen ZuSammenbänge der Riesen-
Stadt kennen, von denen das Leben ihrer Menschen bestimmt
wird. Maries Freudentage Sind bier nur kurz. In ihrer Ehe
führt Sie als Mutter von vier Kindern den Lebenskampli.
Nicht in harmoniSscher „glücklicher Ehe“, Sondern in einer
zerrütteten. Der Mann, ein Alkoholiker, wird bald von dem
Großstadtsumpf vollkommen verschluckt. Nach Jahren
unendlicher wirtschaftlicher und geelischer Qualen Sagt Sich
Marie von ihm los und Schafft durch übermenschliche Arbeit
ihren Kindern, die ihr bereits beltend und verstehend zur
Seite Stehen, Selbst das Brot. Ehrfurcht und Bewunderung
baben wir vor dem Kampf dieser Frau und Mutter, die, allen
Niederlagen zum Trotz, ihr Schicksal bezwingt. Beinahe
eiScheint ihr DasSein verbältnisräßig geSichert, da bricht
neues Unheil herein, dem Marie erliegt. Als Opfer des un-
Sinnigen Paragraphen 218 kommt Sie in Untersuchungshaft
und macht hier ihrem Leben, das nur Arbeit, Not und Sorge
kannte, durch Selbstmord ein Erde.
„Das Leben der Marie Szameitat“ ist eine erSchütternde
Anklage gegen unsere heutige Zeit, die einigen wenigen ein
SOrgenloSes Dasein bereitet und Millionen hungern und
darben läßt. Vom Gedanken unserer Sozialistischen Welt-
anSschauung aus Könnte man vielleicht wünschen, daB Marie
Szameitat, "die eine Märtyrerin und zugleich auch Heldin
ihrer Klasse und ihres Geschlechts war, den Anschluß an
den Befreiungskampf der Arbeiter, an die Sozialistische Be-
wegung gefunden bätte. Wahrscheinlich hat aber Josef
Maria Frank absichtlich diesen Ausgang des Romans ver“
mieden, um ihn nur als Anklage wirken zu lasSen. Das Sei
darum 'gerade für uns Junge Proletarier die Lehre, die wir
aus dem Lebensschicksal der Marie Szameitat ziehen wollen,
unermüdlich jeder an Seinem Platz für die Befreiung der
gesamten arbeitenden Menschheit zu Kämpten.
Käte Fröhbrodt.
1000 Worte Deutsch. Ein Sprachführer für Nachdenkliche
von Dr. Franz Leppmann. Verlag Ullstein, Berlin, 310 5.
5 Mk.
Nur wenige unserer Proletarierkinder werden Sich, wenn
Sie die Volkschule verlassen, im mündlichen und Schritt-
lichen Gebrauch der deutschen Sprache Sicher fühlen. Und
doch ist die einwandfreie BeherrSchung der Muttersprache
für viele Berufe, in denen Sie ihr Fortkommen finden Sollen,
Voraussetzung. Auch für jedes höhere geistige Streben iSt
ein Mangel auf diesem Gebiet ein Schweres Hindernis,
denn die Sprache ist das wichtigste. Werkzeug des Geistes.
Was wir im Denken bewältigt haben, wird erst unser
Sicherer Besitz, wenn wir es in Klaren Worten niedergelegt
haben. Wie oft muß man es in unserer BildungsSarbeit
hören, daß eigentlich vor allem Eindringen in die
Stofflichen Gebiete mit einem Sprachkursus begonnen wer*
den Sollte. Weshalb das nur in Ausnahmetällen möglich
iSt, kann hier nicht weiter erörtert werden. Es ist be-
dauerlich, aber man tröstet Sich damit, daß unsere Jungen
und Mädchen privatim, außerhaib der Bewegung, die ihnen
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