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ARBEITER-JUGEND NR. 3 BESSE
Unsere politische Erziehung
Beiträge zum Thema „Verbandspolitik“
Der Sinn jeder Arbeitsgemeinsdnaft ist, in gemeinsamer,
Sachlicher Ausspradhe eine Klärung über irgendeine Frage
herbeizuführen. Der Sinn unserer Bildungsbeilage „Die
Arbeitsgemeinsdqhaft““ Soll es Sein, unseren Lesern Material
zur Ausspradhe über politische, wirtshaftliche und kulturelle
Fragen zu vermitteln. In dieser Nummer wollen wir nicht
nur informieren, Sondern eine Ausspradhe bringen über
zwei Artikel, die in letzter Zeit in der „Arbeiter-Jugend“
ershienen gind. Es handelt *Sih um die Aufsäize
„Jugend, Republik und Sozialismus“ von
Theo Lüders in der Dezember-Nummer und „Ünsgere
Dolitische Erziehungsaufgäbe“ von Erich
Ollenhauer in der Januvar-Nummer. Zum ersten Artikel
Schireibi der Genoss?: Walter Pape, Chemniiz:
Ein Transparent mit der Aufschrift „Republik, das ist
nicht viel, Sozialismus heißt das Ziel“ hat den Genossen
Theo Lüders, Bremen, veranlaßt, einen Artikel für die
„Arbeiter-Jugend“ zu Schreiben über „Jugend, Republik und
Sozial;emaus“, und die Schriffleitung will wochl, da Sie diesen
Artikel auf der erzten Seite der Dezember-Nummer zum
Abdruck brachte, zum 'Ausdruck bringen, daß diese Aut
faszung die cffiziell anerkannte ist. Das ist äöhr gutes Recht.
Aber vielleicht gestattet Sie auch den etwas anders denken-
den Mitgliedern ihre Meinung zu äußern. Es geht doch
Schon gar nicht an, daß man die andere Anschauung mit
dem Unfug „Schlagwortpolitik“ läcterlich zu machen ver»
Sucht. Des weiteren wird die Schriftleitung auch nicht ver-
langen, daß alle 60 000 Mitglieder unseres Verbandes ihre
Auffasgung als die einzig richtige hinnehmen und nach»
plappern. Jedenfalls müSsen wir uns gegen eine Solche
Eingeitigkeit und Uniformierung der politischen Anschauung
auf das Entschiedenste wenden und dagegen wehren.
In einer MassenorganiSation wie dem Verband der So-
zialistiSchen Arbeiterjugend haben alle Anschauungen
Platz, Soweit Sie nicht gegen die elementarsten Grund-ätze
verstoßen und organigationsschädigend wirken, Davon Kann
in bezug auf das angeführte Transparent keine Rede Sein.
Die Stellung der. Jugend zur Republik. ist weiter nichts als
die Stellung der proletarischen Jugend zum Staat und das
iet meines Wissens das Kernprcblem, um das Sich alles
dreht. Es taucht Scfort die Frage auf, ist die Republik ein
Klasgenstaat oder ein Volksstaat und bietet die Weimarer
Verfassung die Sicherheiten einer Volkswohlfahrt und
wirklichen Sozialen Gleichberechtigung, die Sich auf das
wirtschaftliche und pclitisSche Sein bezieht. Das ist eben
der Angelpunkt aller Fragen, die die Jugend in der Gegen
wart beschäftigen. Die Wirklichkeit Spricht oft eine deui-
lichere Sprache. als alles bedruckte Papier, und da nützi
es auch nichts, daß man alte, abgebrauchte politische Laden»
hüter hervorholt, um zu beweisen, daß es uns unter der
jetzigen demokratisch-republikanischen Staatsform besser
geht als in der Vorkriegszeit und den Gründungsjahren der
Arbeiterbewegung. Es ist ganz Selbstverständlich, daß,
“wenn unser Kampf überbaupt einen Sinn haben Soll, wir
Fortschritte machen und dem Ziel näher kommen mügsen.
Man kann auch unmöglich mit dem Maßstab damaliger Zeit,
als Sich das 'Proletariat durch die aufkommende Industrie
und damit neue gesellschaftliche Sitvationen als Klasse kon»
Stitwierte, das politische Denken, Wollen und Handeln
mesSen. Wir mügssen auch endlich einmal darüber hinaus
kommen, daß das Proletariat 1918 die bürgerliche Revo
lution vollendet hat, indem es die Spezifische Staatsform
des modernen KapitalisSmus Schaf.
Von dieser Staatsform und ihrer Sogenannten freiheit-
lichen Verfassung wird kein Proletarier Satt. Die Republik
ist eben für den Proletarier wirklich nicht viel, da Sie grund-
Sätzlich an der Lohnsklaverei und Ausbeutung von Mensch
zu Mensch nichts ändert. Die wirtschaſtliche Gleichbe-
rechtigung bleibt eben auch in der jetzigen Staatsform der
formalen Demokratie eine Fiktion und erschüttert den Kapi-
talismus, 3owie Seine gesellschaftliche Ordnung nicht in
Seinen Grundfesten, Sondern im Gegenteil, die moderne
Wirtschaftsentwicklung, in LIrusts, Konzernen und Kartellen
hat es mit Sich gebracht, daß der Kapitalisemus eine immer
größere Macht im Staate an Sich gerissen bat zur wirt
Schaftlichen Ausbeutung (RationaliSierung) und politiSchen
Entrechtung der proletarisSchen Klasse. Einige Beispiele
Seien hier genannt: Zeitungskonzerine und deren ideo-
logische Beeinflussung des Proletariats, Inflation und Ent=
eignung der kleinen Sparer und Expropriation des Mittel-
Standes. Wie oft haben Sich auch Sozialistische Minister
den Diktaturgelüsten der Kapitalisten beugen müsSen. So
Stand doch in letzter Zeit die Regierung, in der auch vier
Soczialdemakraten Sitzen, unter dem dauernden Druck des
allgewaltigen Finanzkapitals. Gäbe es So etwas wie einen
Volksstaat coder eine Volksfustiz, dann mußte die Aniwort
auf das ErpreSSertum der Finanzkapitalieten Zuchthaus-
Strafe Sein. Wir fragen, wo ist hier der Starke Arm des
Staates? Es Sind eben noch andere Kräfte in“ der demo-
kratischen Republik, die durchaus auch ein Klassenstaat Iist,
wie Hunderte von Justizurteilen beweisen, wirksam, als ihre
Verfasggung und freien Gesetze. Das Scheint Genosse Lüders
ganz außer acht zu lassen. Diese Krädte können wir nur
auf dem ungesetzlichen Weg der Sozialen Revolution wirkK-
Sam bekämpfen, d. h., indem Sich das Proletariat des Staats-
cder Machtapparats bemächtigt und die Klassendiktatur
aufrichtet. in
Von einem. VolksStaat zu reden, ist Schon desweigen ein
Nonsens, weil es in der Kkapitalistischen Gesellschaft Kein
Volk gibt. Innerbalb eines Staates Sind die Zielsetzung'an
Seiner Bürger verschiedene. -Die eine Klasse benützt den
Staat, der weiter nichts ist als ein politiSches Mittel, zur
Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung und die andere
Klasse zur Beseitigung der bestehenden Ordnung. Der Staat
wird auch während der Herrschaft des Proletariais noch
ein Klagssenstaat bleiben und- erst dann absterben als
KlasSeninstrument, wenn er keine politisSchen Funktionen
mehr zu erfüllen hat. Wir wollenden Staat nicht
verneinen, Sondern unser Ziel ist die ganze Macht im
Staat, und dieses Ziel führt auch von der Gesetzlichkeit zur
Ungesetzlichkeit, zur gewaltsamen Auseinandersetzung des
Proletariats mit der Bourgeoisie. Oder glaubt der Genosse
- Lüders gar, daß die Bourgeoisie ihren Besitz freiwillig aus-
liefert, Sich auf gesetzlich-demokratischen Wege enteignen
läßt? Es Sei bier nur an den Gedanken der Wirtschaits-
demokratie erinnert. Diese Ansichten dürften gegen die
gegebenen Tatsachen Sprechen, auch nicht die Kalte Soziali-
Sierung läßt Sie Sich gefallen. Wie oft wird von den Ge-
fahren der öffentlichen Wirtschaft gesprochen. Die Indu-
Strie iSt gegenwärtig drauf und dran, die öffentlichen Be-
triebe in die Hände der Privaten zu überführen.
Die demokratische Republik hat gewiß einen günstigeren
Kamwpfboden geschaffen, aber zu gleicher Zeit auch die
wirklichen, großen Probleme, derentwegen Sich die Arbeiter“
klasse politisch gespalten hat. An der Lösung dieser Pro-
bleme zu arbeiten, ist die Hauptaufgabe der jungen Gene“
ration. Die Arbeiterklasse bat große Erfolge errungen und
freiere Entwicklungsmöglichkeiten auf Grund ihrer Stärke,
aber Sie iSt auch auf manchem Gebiet, es Seien nur die
Sozialen Einrichtungen genannt, von dem erstarkten und.
Stabilisierten Kapitalisumus zurückgedrängt worden. Sie
leidet gegenwärtig unter der größten wirtschaftlichen Not.
Wir Können auch nicht fortwährend auf ungeren Eriolgen
herumreiten und uns gar mit diesen Erfolgen zuirieden
geben, Sondern müsSen vorwärts Stoßen, dem Sozialismus
entgegen.
Die junge Generation kennt nicht die Verhältnisse der
Vorkriegszeit und möchte man auch weitere Fortschritte