110
Sozialigsmus und IndividualiSsmus
Der Kampf des Proletariats um Seine
Beſreiung bedingt eine klare und unzwei-
deutige Stellungnahme gegenüber dem
Gegner und Seinen Zielen. im Mittel-
punkt der weltanschaulichen Auseginan-
dersetzung mit unseren Gegnern Stehen
die vielumstrittenen Begriffe Sozialismus
und Individualismus. Dem auf die Spitze
getriebenen, ja übertriebenen Indivi»
dualismus der herrschenden Wirtschafts-
weise Steht der Sozialismus, das Ziel des
proletariSchen Strebens, entgegen. ESs
wundert uns nicht, wenn man heute diese
beiden Begriffe in der Regel als einander
zuwiderlaufend ansieht, zumal da Sie ja
durch die Schärfe des Kampfes zu Schlag-
wörtern geworden Sind. Bemühen wir
uns aber, den Begriff Individualismus zu
klären, SO werden wir Sehr bald finden,
daß ein So grasser Gegensatz gar nicht
vorhanden ist. |
Der IndividualisSmus geht aus vom ein-
zelnen Menschen. Das Bestreben jedes
einzeinen Iist es, alle in ihm ruhenden
Fähigkeiten und Veranlagungen zu
wecken und weiter zu entwickeln zum
Zwecke des persSönlichen Wohlergehens.
. Kurz, das perSönliche Wohlergehen ist
das Prinzip und das Ziel all Seiner Hand- -
lungen. |
: Wie Sieht es nun mit dem Individua-
jiSmus in unserer Zeit aus? Können wir
heute überhaupt von einem Individualis»
mus Sprechen? Ich möchte diese Frage
entschieden verneinen. Wir müssen wohl
feststellen, daß die Menschen auch heute
ihr persönliches Wohlergehen im Auge
haben und bestrebt Sind, ihr Handeln an
diesem Ziele zu orientieren. Wenn ich
trotzdem dieses Streben nicht Individua-
lismus nennen kann, So ist hier entschei-
dend der Umstand, daß die Menschen
heute mit größter Rücksichtslosigkeit
über ihre Mitmenschen hinweg zu ihrem
Ziele hinstreben. Während in ihrer Um-
gebung Not und Elend in großem Maße
zu finden Sind, jagen Sie ohne Mitlz2id,
und ohne auch nur einmal heifend ein“
zugreifen, ihren perSönlichen Zwecken
nach. Die Menschen der- heutigen
Zeit Sind keine Individvualisten, Sondern
Egoisten. “
gewirtschaftet
Die Möglichkeit individueller Enttal-
tung ist. heute abhängig von den wirt-
SChaftlichen oder besser: den materiellen
VerhältnisSen des einzelnen oder Seiner
Eltern. Daß diese Möglichkeit bei der
Masse des Volkes, den Werktätigen,
Sehr gering ist, versteht Sich daher von
Selbst. Wo Sollten auch Proletarier
jungen und -mädchen, die von früh auf
dazu beitragen müssen, das tägliche Brot
zu verdienen, die Zeit, die Mittel und
Möglichkeiten hernehmen, das zu ent-
falten, was in ihnen ruht? Der Kampf
um das nackte Leben läßt hier alle indi-
viduellen Veranlagungen unerweckt, ja
unterdrückt Sie zum Teil und macht die
Menschen zu Stumpfsinnigen, gleichgül-
tigen Wesen.
Betrachten wir nun die Sprößlinge
derer, die die Mittel haben, ihre Kinder
auf höhere Schulen zu Schicken, und die
verschont Sind von den Sorgen um das
tägliche Brot, s9 finden wir. daß hier die
Möglichkeit individueller Entfaltung viel
eher gegeben ist; aber diesen Menschen
kommt es in der Regel nur darauf an,
eine ihrem Stande „angemessene Art
des Broterwerbs zu finden. Haben Sie
die Fähigkeiten erworben, auf irgend-
einem Gebiet Großes zu Schaffen, 50"
hätten Sie im Sinne des Individualismus
ihr Ziel erreicht. Hierbei bleibt es aber
nicht. Jetzt beginnt für sie eine Zeit des
Ansammelns von Reichtümern, die dazu
dienen Sollen, die Kinder Schneller das
Ziel erreichen zu lasSsen. Dieser Egois-
mus, das Prinzip „nur ich und meine
Familie, wird, Solange die kapitalistische
Produktionsweise besteht, für Sie der
Ansporn zum Schaffen Sein. Es wird
aufhören, wenn- dieses Wirtschaftssystem
ersetzt worden iSt durch eine Sozialistische
Bedarfswirtschatft. .
Als Sozialisten wissen wir, ohne uns
auf eine Ausmalung unsSeres zukünftigen
GemeinweSsens festzulegen, daß, wenn
wird um des Bedaris
willen, auch die Entfaltungsmöglichkeiten
für den einzelnen Menschen andere wer-
den. Die Menschen, der Sorgen um das
tägliche Brot enthoben, haben jetzt die
Mittel und Wege, die in innen ruhenden