Full text: Arbeiter-Jugend - 24.1932 (24)

Veranlagungen zur vollsten Blüte zu 
bringen. Die Folge davon wird Sein ein 
unermüdliches Ringen der Geister auf 
allen Gebieten des gesellschattlichen Le- 
bens und die Gewähr dafür, daß die 
wahrhaft Großen Träger einer freien 
Kultur werden. Die Aufgaben der Sozia- 
lieSten, die Aufgabe der Gemeinschaft 
muß es Sein, alle Wege zu ebnen, damit 
es ein leichtes ist, die Gesamtheit für 
dieses Ringen zu interessSieren; denn das 
Niveau eines Volkes ist bedingt durch 
den Grad, in welchem die Gesamtheit 
Träger der Kultur ist. 
So Sehen wir, daß der Sozialismus mit 
dem Individvalisesmus in diesem Sinne 
nicht im Widerspruch steht. Ja, der In- 
dividualismus, jene Möglichkeit einer von 
allen wirtschaftlichen Schranken befrei- 
ten Entfaltung des einzelnen, ist gar. 
nicht denkbar ohne den Sozialismus. 
Aus dieser Erkenntnis heraus erwächst 
der proletarisSchen Jugendbewegung eine 
doppelseitige Frziehungsaufgabe. Ge- 
tragen von dem Gedanken, daß aus ihren 
Reihen die Kräfte hervorgehen müssen, 
die dereinst in der großen Arbeiterbewe- 
gung den Kampi weiterführen Sollen, 
muß Sie den jungen Menschen Ansporn 
Sein, ihre Fähigkeiten für diesen Kampi 
nach jeder denkbaren Richtung zu ent» 
wickein. Auf der anderen Seite aber muß 
Sie innen Sagen, daß der in den Reihen 
der SozialistisSchen 
Platz hat, der Sein perSönliches Interesse 
über das Allgemeininteresse stellt. Denn 
nur dann iStdas individua- 
lisStisSche Streben wiederum 
echt SozialiStiSch, wenn der 
GeSamtheit die Früchte die- 
Ses Strebens zugute kommen. 
Hermann Brannsdorf. 
Was heißt Sozialismus? 
Dieses Wort Stammt aus dem Lateini- 
Schen, der Römersprache. „Socius“ hieß 
im Lateinischen: der Genosse, der Ge- 
ſfährte. Davon abgeleitet ist das Eigen“ 
Schaftswort „Socialis = gesellschaftlich. 
Avs diesem wurden dann die Worte 
„Sozialist“ und „Sozialismus“ gebildet. 
Diese Wörter gab es aber zur Zeit der 
alten Römer noch nicht, und wir dürfen 
aus diesen Wörtern nicht etwa den 
Schluß ziehen, daß wir die Ideen des 
Bewegung keinen. 
Sozialismus von den alten Römern über 
nommen haben, ähnlich, wie wir vieles 
aus dem gewerkschatltlichen Kampf von 
den Engländern gelernt habe. 
Wohl tauchie auch Schon unter den 
Griechen und Römern die Idee auf, daß 
das Privateigentum Schädlich Sei und 
besSeitigt werden müsse. Aber die Män 
ner, die diese Ansichi vertraten, nann 
ten SICh nicht SozialisSten, und ihre An- 
Schauungen unterschieden Sich Sehr 
wesentlich von den unseren, wie wir aus - 
den „Vorläufern des Sozialismus“ von 
Karl Kautsky lernen können. Der mo 
derne Sozialismus, der das Privateigen- 
tum an den Arbeitsmitieln abschaffen 
will, iet So alt wie der Kapitalismus. 
Darum wurde das Wort „Sozialist auch 
zuerst in dem Geburtsland des Kapita- 
lismus, in England, gebraucht. Es tauchte 
zum ersten Male im November 1827 in 
einem englischen Blatt auf. Das Wort 
„Sozialismus“ kam in Frankreich auf, 
wo der Kapitalismus Sich auch früher 
als in Deutschland und Oegterreich ent- 
wickelte. 
Das Wörtchen „Sozial“ finden wir auch 
in dem Wort. Sozialdemokratie wieder. 
Demokratie Kommt aus dem Griechischen 
und heißt Volksherrschaft. Im alten 
Griechenland, in Athen, finden wir die 
erste demokratische Verfassung. 
So wirkt die Krise 
Das Institut für Konjunkturforschung 
Schätzt den Rückgang des nationalen 
Einkommens von 76 Millionen Reichs- 
mark im Jahre 1929 auf 50 bis 60 Mil- 
lionen im Jahre 1931 und prophezeit für 
1932 noch einen weiteren Sicheren Ab- 
Sturz. | 
 
Es genügt nicht, daß der Staat jedem 
Staatsbürger die Mittel zur Existenz 
überhaupt gewährt, daß er daher jedem, 
dessen Arbeitskraft nicht ausreicht, bei- 
Sieht, Sich diese Mittel zu erwerben: Der 
Staal muß mehr tun: er muß jedem bei- 
Stehen, daß er eine gesundheitsmäßige 
Existenz hat. Rudolf Virchow (1821-1902). 
Die bürgerlicwve Gesellshaft besteht 
aus zwei Klassen; die einen haben mehr 
Essen als Appetit, die anderen mehr 
Appetit als Essen. Nic. Charmfot (1740-1794. 
ii" 
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