Full text: Arbeiter-Jugend - 24.1932 (24)

Freiheit oder Untergang 
Am 30. Mai ist eine Schwenkung der 
inneren Politik Deutschlands erfolgt, die 
mit Keinem früheren Regierungswechsel 
in der Republik verglichen werden Kann. 
Wohl gab es Schon wiederholt Reichs- 
regierungen, in denen deutschnationale 
Monarchisten vertreten waren. Auch der 
Reichskänzler Brüning hatte den Deutsch- 
nationalen nahestehende Minister. Dies- 
mal aber ist eine Reichsregierung nur 
aus Politikern der Rechten gebildet wor“ 
den. Nicht nur die Sozialdemokratie, 
auch das Zentrum wurde in OppogSition 
gedrängt. Kein Arbeiter, kein Bauer, 
kein Mittelständler, überhaupt kein Mann. 
aus den breiten Volksschichten gehört der 
neuen Reichsregierung an. Der Reichs- 
kanzler von . Papen, ein KatholisScher 
Junker, hat Sich mit Männern des Adels, 
mit Vertretern des Großgrundbesgitzes 
und der großen Industrie umgeben, und 
ein General, Herr von Schleicher, als 
'Reichswehrminister gibt dem Reichs- 
kabinett die militärische Note. . 
War die Hindenburgwahl richtig? 
Nicht das Parlament, wie das in wirk- 
lich demokratischen- Ländern erforder“. 
lich ist, hat den Reichskanzler Dr. Brü- 
ning. gestürzt. Er hatte bei der letzten 
Abstimmung immerhin noch: eine Mehr- 
heit von 30 Stimmen. Nein, der Reichs- 
kanzler ist, wie das ähnlich 'auch unter. 
dem Kaiser Wilhelm IL geschah, hinter 
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dem Rücken der Volksvertretung und - 
gegen diese durch. das Staatsoberhaupt 
beseitigt worden. ReichsprösSident von . 
Hindenburg, der Sieben Wochen vor die- 
Sem Ereignis mit den Stimmen: der Re- 
publikaner wiedergewählt worden ist, hat 
einer neuen Reichskanzler gegen die. Re 
publikäaner berufen. - , 
War also unser Eintreten für Herrn . 
ein Fehler? 
von Hindenburg damals 
Keineswegs. Wir Stimmten ja nicht für 
Herrn von Hindenburg, weil wir ihn für - 
unseren Gesinnungsfreund oder gar für. 
unseren Führer hielten. Wir gaben ihm - 
unsere Stimme, weil wir infolge der Un» 
'einigkeit der Arbeiterklasse nur die 
Wahl hatten zwisSchen Hindenburg und 
Kitler, denn Kein anderer Kandidat hatte 
auch nur die bescheidenste AusSicht auf 
Sieg. Hindenburg Kann uns also poli» 
tiSch nicht enttäuschen, denn ein 
Reichspräsident Hitler wäre bei einem 
Kabinett von Papen nicht Stehengeblie- 
ben, Sondern hätte eine Nazi“ 
diktatur in Deutschland er- 
richtet, 
Brüning war zu massenfreundlich 
Die neue Reichsregierung hat in einer 
Kundgebung an das Volk, uns, den 
Marxisten, Fehde angesagt. Uns und 
dem Klassenkampt! Sonderbar, wie 
gerade diejenigen, die gegen den Marxis- 
Imus anrennen, immer wieder die Dbesten 
Beweisgründe für die Richtigkeit grund- 
Jegender maxrxisStiScher Lehren liefern. 
Näch Marx ist der KlasSsenkampf die ent 
Scheidende Kraft politischer Gegensätze, 
und die Entstehung des Reichskabinetts 
von Papen ist ein wahrhaft klassSiSches 
Zeugnis des KlasSsenkampfes von oben. 
Warum mußte denn der doch Sicher 
nicht Sozialisticche Reichskanzler Dr. 
Brüning gehen? -Weil Seine Siedelungs- 
pläne, die bankrotten Großgrund- 
besitzern Siedelungsland für Erwerbslose 
gegen "Entschädigung wegnehmen woll- 
ten, weil Seine gewiß nur kümmerliche 
Fürsorge für - Erwerbslose, weil Seine 
Steuer- und Finanzpolitik den Herren» 
'menschen der Wirtschaft zu massSen- 
freundlich - waren. Wir leugnen- nicht, 
daß es auch unter diesen Wirtschafts» 
führern Männer gibt, die glauben, der 
Gesamtheit zu dienen, aber der Gedanke, 
daß die Masse mitbestimmen Soll, ist 
ihnen unerträglich. - Sie glauben, ällein 
die - Fähigkeit zur Führung der Wirt- 
Schaft und des Staates zu haben. Ihre 
Meinung ist, daß die breiten Volksmassen 
kurzzuhalten Seien. - Nur So Könne ein 
neuer Aufstieg Sich entwickeln. Auf 'den 
Gedanken, mit gutem Beispiel voranzu“ 
gehen, kommen die Herren in Luxus- 
limousinen freilich nicht. -
	        
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