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weimarischen
Goethe
Zu Seinem hundertsten Todestag
Noch zu Lebzeiten Goethes gab es
eine Generation vorwärtsgerichteter deut-
SCher Jugend, die den allseits gefeierten
„Olympier grimmig haßte. Niemand
kleidete dieges fanatische „Nieder mit
Goethe!“ in So unerbittliche Form wie
Börne, der ihn einen „Knecht der Ver
hältnisse , einen „feigen Philister “, einen
„Kleinstädter Schalt, Seine Muse eine
Dirne und die Kinder Seines Geistes
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Bastarde Schmähte und unbarmherzig
den Stab brach: „Goethe war ein Stabili»
tätsnarr, und die Bequemlichkeit war
Seine Religion. In dem Dichter des
„raust“ Sah diese unbedingte Jugend
nur die Exzellenz, den großherzoglich
Staatsminister mit der
würdevollen Geheimratshaltung und dem
großen Ordensstern auf dem Frack, der
Sich gegen Verfassung, PressSefreiheit
und Judenbetreiung aussprach, die Be
gnadigung politischer „Verbrecher“ als
„törichte Schwachheit“ möißbilligte und
in allem als Metternichs verruchter Hel-
ierShelfer erschien. Aber nicht nur der
Greis litt an Revoluiionsscheu und Um
Sturzangst, nicht nur der gereifte Mann
blickte verständnislos auf das gewaltigste
Ereignis neuerer GesSchichte, die Staats-
umwälzung in Frankreich, als auf eine
„ürchterliche Bewegung und ein „gräß-»
liches Unheil“, Sondern auch Schon der
Jüngling, der die Mitlebenden „vom
Wirbel bis zur Zehe Genie und Kraft und
Stärke“ dünkte, lehnte politische Freiheit
als „verworrene Willkür“ ab. Goethe
fehlte eben jeder politische Nerv, weit
mehr als Seinen ZeitgenosSsen Schiller,
Lessing und Herder; er lebte nicht in
der Geschichte, Sondern in der Natur;
er faßte die MensSchen nie als Teil einer
menschlichen Gesamtheit, einer Gesell-
SChaftssSchicht, einer Klasse, einer Nation,
SOndern immer nur iSoliert, als Einzel-
wesen, als Individuum. „Der“ Mensch
war inm alles, die MensSchheit nichts.
Sicher entsprang es zum Teil Seiner na
türlichen Anlage, daß ihn die atemrau-
benden Begebenheiten Seiner Zeit, Statt
ihn anzuziehen, in den entlegensten Win
kel Scheuchten: „Wie Sich in der poli-
tiSchen Welt irgendein ungeheuer Bedroh-
liches hervortat, waif ich mich eigen-
Sinnig auf das Entfernteste.“ Mehr Schuld
freilich trugen die Verhältnisse, unter
denen Sein Geist Sich bildete. In der
zweiten . Hälfte des achtzehnten Jahr-
hunderts gebrach es in Deutschland an
jeder größeren Gemeinschaft, in der
Goethes dem Grenzz2nloSen zugewandter
Sinn Sein Genüge hätte finden . können.
Das Reich ein Schutthaufen, die Einzel
Staaten jämmerliche Zwergdespotien,
Statt eines frischen öffentlichen Lebens
ein verkümmertes und verkrotztes Pri»
vatleben, und das Bürgertum; dessen
Säfte in den Adern des jungen Poeten
gärten, ein hoffnungslos untertäniges
Geschlecht baumwollener Zipfelmützen
-- da ward Goethe auf das eigene Ich
zurückgeworfen: „Das Ganze kümmert
Sich nicht um uns, warum Sollten wir
uns mehr als billig um das Ganze
kümmern!“ - Sn
Diese Sammlung allen Lichts im Brenn
punkt des Ichs befähigte Goethe zur Er»
füllung Seiner historisSchen Aufgabe, den
in Stände eingekapSelten, durch 'Ueber-