Full text: Evangelisches Monatsblatt für die deutsche Schule - 2.1882 (2)

Noch ein Wort zur Berechtigungsfrage. 
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auf Bildung haben. Ich will davon absehen, daß von Neligionskenntnis keine 
Rede ist. Die ganze Tendenz des Unterrichts ist eine so oberflächliche, auf die 
Erwerbung einiger Kenntnisse auf eine kurze Spanne Zeit gerichtete, daß es ge 
radezu unglaublich ist. 
Ich will nur, zum Beleg meiner Behauptung, einige Beispiele anführen. 
Der betreffende Examinator bei einer Kommission pflegt z. B. in der mathe 
matischen Prüfung den sogenannten goldenen Schnitt vorzunehmen, besonders 
wenn der Examinand andere Antworten schuldig bleibt. Was ist die Folge? 
Die Herren Schüler lernen mit Gewalt den goldenen Schnitt; es wird buchstäb 
lich auswendig gelernt! Von Verständnis auch nur der nötigsten Vorkenntnisse 
in Bezug auf die anzuwendenden Lehrsätze ist keine Rede. In der Arithmetik 
wird eine bestimmte Art von Rechenaufgaben beliebt: die unausbleibliche Folge 
ist, daß nur solche Aufgaben vorgenommen werden dürfen, z. B. nach dem 
Rensischen Satz: daß die mechanische Fertigkeit im Lösen derselben genügt. Von 
Naturwissenschaften darf keine Rede sein, denn darin wird nicht examiniert; 
höchstens ein bischen Physik, und wenn man da nichts weiß, so schadet das nichts, 
man kann doch durchkommen. So geht es durch alle Fächer.*) 
Ich glaube, daß die auf diese Weise erworbene Berechtigung allenthalben 
als eine verderbliche anerkannt werden wird. Abhelfen ließe sich vielleicht da 
durch, daß: 1. Schulen eingerichtet werden (wie auch Herr N. vorschlägt), die dem 
allgemeinen bürgerlichen Bedürfnis gerecht werden, mit den nötigen Berechti 
gungen ausgestattet sind und deshalb auch frequentiert werden; daß 2. zu einer 
Prüfung ohne Absolvierung einer entsprechenden Schule nur in Ausnahmefällen 
zugelassen werden darf; daß 3. solche Ausnahmeprüfungen auch nur an Schulen 
vor dem Lehrercollegium, gemeinschaftlich mit den Schülern der Anstalt, gemacht 
werden können. H. W. Kühne. 
Beurteilungen und Anzeigen. 
Sattler A. Leitfaden der Geometrie. In drei Kursen bearbeitet. Erster Kur 
sus. Geometrischer Anschauungsunterricht, 40 Pf. Zweiter und dritter 
Kursus. Geometrischer Elementarunterricht, 60 Pf. Braunschweig. Ver 
lag von Harald Brühn. 
Im ersten Kursus werden der Würfel, die quadratische Säule (Nb. gerade), 
die dreiseitige Säule (Nb. das gerade dreiseitige Prisma), die vierseitige Pyra 
mide (Nb. die gerade quadratische), der Cylinder und die Kugel betrachtet und 
*) So arg stand es denn doch z. B. bei der Prüfungs-Kommission zu Stettin 
nicht, der ich eine Reihe von Jahren angehört habe, wenngleich vielfach große 
Milde waltete. Ter Mathematiker verlangte u. a. Kenntnis der mathematischen 
Beweise, auf denen die stereometrischen Formeln zur Körperberechnung beruhen 
Kolbe.
	        
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