Pädagogische Werttheorie.
von Dr. Hans Schmidkunz, Berlin-Halensee.
I. Allgemeiner über werte.
V^enn wir die Dinge und Vorgänge um uns, die Erlebnisse und eigenen
“vV Gebilde in uns betrachten, so finden wir zunächst Gegenstände, für
die wir uns so interessieren können, als hätte keiner einen Vorzug vor dem
anderen. Wir können sie aber auch als besser und schlechter, als höher und
niedriger und sonst noch in mancherlei Abstufungen betrachten; wir können
sie nach ihrem Wert „bewerten" und können uns überdies so halten, daß
wir das Wertvollere bevorzugen, das Wertlosere meiden, obwohl wir es leider
auch umgekehrt tun. Tatsachen sind da, Werte gelten, und wir sollen
ihnen als unseren „Normen" folgen.
Je mannigfacher sich nun die Werte und unsere Verhältnisse zu ihnen
gestalten, destomehr Anspruch erhebt sich darauf, auch sie ebenso zu untersuchen
und zum Gegenstände wissenschaftlicher Erkenntnisse zu machen, wie dies mit
den Tatsachen als solchen in einer näherliegenden Weise geschieht. Es ist in
erster Linie Sache der Philosophie und nicht etwa der Pädagogik oder der
Volkswirtschaftslehre usw., jener Aufgabe gerecht zu werden und neben der
„ontologischen" Betrachtung des Seienden engeren Sinnes auch die „timo-
logische" („timetische") oder „axiologische" Betrachtung des Geltenden, also
des Wertes oder der „Dignität", zu pflegen.
Eine solche Betrachtung war der Philosophie irgendwie schon seit alten Zeiten
zu eigen; und je weiter herauf, desto mehr klärte und entfaltete sich diese
Betrachtung. Trotzdem fehlt es noch immer an einer zusammenfassenden
Uebersicht über dies philosophische Teilgebiet, also über die Werttheorie
oder Timologie oder Axiologie. Hauptsächlich muß es sich dabei — in
äußerster Abkürzung dargestellt — um folgendes handeln.
Wenn wir z. B. innerhalb der deutschen Nationalliteratur Goethe für
wichtiger halten als irgendeinen Dichterling; oder wenn wir innerhalb eines
Zusammenwirkens von Ursachen die einen für gewichtiger erklären als die
anderen; oder wenn wir in der Mathematik von mathematischen Werten, in
der Chemie von chemischen Werten und Wertigkeiten sprechen: in allen diesen
Fällen anerkennen wir bereits einen Wert. Eine andersartige Gruppe von
Beispielen jedoch ist diejenige, bei der wir z. B. Wohltaten höher schätzen
.Us den Diebstahl oder einen zutreffenden Beweis einem verfehlten vorziehen.
In der ersteren Gruppe haben wir kurz gesagt theoretische Angelegenheiten,
in der letzteren praktische. Dort sprechen wir von theoretischen, hier von
praktischen Werten. So mannigfach nun beides ineinander übergehen
mag, und so sehr auch irgendeine Philosophie (siehe unten S. 106 zu
Willmann) das eine und das andere im letzten Grund als eines denken
mag, so wenig kommen wir doch über jene Unterscheidung der theoretischen
und der praktischen Werte hinaus, auch wenn wir vielleicht nur bei den
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