Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

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Vor dem pädagogischen Problem. 
II. 
Jedem pädagogischen Problem gegenüber, sei es, daß wir es auswerfen 
und darüber schreiben, sei es, daß wir solche Arbeiten lesen, hat vor allem 
jener Ernst zu walten, welcher der Grundzug alles und jedes Erziehungs 
wesens sein muß, welcher jedem von Christus beseelten Menschen und Er 
zieher der Jugend gegenüber eigen ist. Wer dieser Grnndforderung genügt, 
der ist sicher nicht denkfaul oder interesselos; für den gibt es Probleme und 
sind deren Beantwortungen keine gleichgültigen Artikel. Er hat nicht in allem 
schon genug, ist nicht mit dem Angelernten und Hergebrachten stumpf zu 
frieden, weiß nicht schon alles abgeschlossen, was er braucht. — Wissenschaft 
an und für sich ist etwas Ernstes, um so mehr jede wissenschaftliche Arbeit 
auf dem Gebiete der Lebenspflanzung. 
Wir werden nun kaum bestreiten, daß die meisten Arbeiten, Abhand 
lungen, Schriften, welche pädagogischen Problemen gewidmet sind, aus leb 
haftem Interesse und Willen für Erziehung und Schule hervorgehen. Gerade 
weil man mit seiner Aufgabe und mit seiner Berufsarbeit es ernst nimmt 
und ihnen entschieden dienen möchte, greift man zur Feder, hat man seine 
Gedanken bekommen, ist einem dies und jenes aufgefallen, hat man beob 
achtet, überlegt, beraten, sich lang geärgert und gelitten und — geschrieben. 
Man wird ferner nicht wagen, anderen außer den Berufspädagogen und 
den wissenschaftlich mit der Erziehung und Schule sich Befassenden das Recht 
abzusprechen, über Erzieherisches sich zu äußern und Gehör zu erwarten. Von 
dieser sozusagen außerberuflichen Seite ist schon manches Wort geschrieben 
worden, das eine wahre und wohltuende Korrektur oder Ergänzung der 
Wissenschaft und der Berufsmeinnngen war oder das fruchtbare Anregungen 
für die Pädagogik enthielt. 
Auch wenn einer nicht viele Autoritäten zu erwähnen vermag, wenn er 
keine Geschichte der Pädagogik durchgearbeitet hat, um zu wissen, ob und 
wie früh schon und wie oftmals etwa eine Ansicht oder eine Wahrheit von 
Aelteren und Aeltesten ausgesprochen und begründet wurde, kann er doch 
verdienen gehört zu werden, weil er in die Gegenwart mit ihren Verhält 
nissen und Arten klarer und tiefer hineinschaut, eine reiche, durch Beobachten 
und Denken und Erleben ausgereifte Erfahrung besitzt und vielleicht - theo 
retisch wie praktisch unbefangener ist. 
Es gibt immer wieder Leute, welche gleich mit der Bemerkung zur Stelle 
sind: Ach, das ist nichts Neues, — das hat der und der schon vor Hun 
derten, Tausenden von Jahren geschrieben, wenn man das wüßte, man käme 
nicht wieder damit, — das haben wir schon lange gehabt u. dergl. Als ob 
längst, aber immer in det Fassung und mit der Begründung bestimmter Zeit 
und Kultur Gesagtes nicht wieder gesagt und begründet werden dürfte und 
sollte, wie die Gegenwart mit ihren Zuständen es heischt. Bald ist das die 
Folge einer Vorliebe für bestimmte Autoritäten und Richtungen, bald die
	        
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