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Vor dem pädagogischen Problem.
II.
Jedem pädagogischen Problem gegenüber, sei es, daß wir es auswerfen
und darüber schreiben, sei es, daß wir solche Arbeiten lesen, hat vor allem
jener Ernst zu walten, welcher der Grundzug alles und jedes Erziehungs
wesens sein muß, welcher jedem von Christus beseelten Menschen und Er
zieher der Jugend gegenüber eigen ist. Wer dieser Grnndforderung genügt,
der ist sicher nicht denkfaul oder interesselos; für den gibt es Probleme und
sind deren Beantwortungen keine gleichgültigen Artikel. Er hat nicht in allem
schon genug, ist nicht mit dem Angelernten und Hergebrachten stumpf zu
frieden, weiß nicht schon alles abgeschlossen, was er braucht. — Wissenschaft
an und für sich ist etwas Ernstes, um so mehr jede wissenschaftliche Arbeit
auf dem Gebiete der Lebenspflanzung.
Wir werden nun kaum bestreiten, daß die meisten Arbeiten, Abhand
lungen, Schriften, welche pädagogischen Problemen gewidmet sind, aus leb
haftem Interesse und Willen für Erziehung und Schule hervorgehen. Gerade
weil man mit seiner Aufgabe und mit seiner Berufsarbeit es ernst nimmt
und ihnen entschieden dienen möchte, greift man zur Feder, hat man seine
Gedanken bekommen, ist einem dies und jenes aufgefallen, hat man beob
achtet, überlegt, beraten, sich lang geärgert und gelitten und — geschrieben.
Man wird ferner nicht wagen, anderen außer den Berufspädagogen und
den wissenschaftlich mit der Erziehung und Schule sich Befassenden das Recht
abzusprechen, über Erzieherisches sich zu äußern und Gehör zu erwarten. Von
dieser sozusagen außerberuflichen Seite ist schon manches Wort geschrieben
worden, das eine wahre und wohltuende Korrektur oder Ergänzung der
Wissenschaft und der Berufsmeinnngen war oder das fruchtbare Anregungen
für die Pädagogik enthielt.
Auch wenn einer nicht viele Autoritäten zu erwähnen vermag, wenn er
keine Geschichte der Pädagogik durchgearbeitet hat, um zu wissen, ob und
wie früh schon und wie oftmals etwa eine Ansicht oder eine Wahrheit von
Aelteren und Aeltesten ausgesprochen und begründet wurde, kann er doch
verdienen gehört zu werden, weil er in die Gegenwart mit ihren Verhält
nissen und Arten klarer und tiefer hineinschaut, eine reiche, durch Beobachten
und Denken und Erleben ausgereifte Erfahrung besitzt und vielleicht - theo
retisch wie praktisch unbefangener ist.
Es gibt immer wieder Leute, welche gleich mit der Bemerkung zur Stelle
sind: Ach, das ist nichts Neues, — das hat der und der schon vor Hun
derten, Tausenden von Jahren geschrieben, wenn man das wüßte, man käme
nicht wieder damit, — das haben wir schon lange gehabt u. dergl. Als ob
längst, aber immer in det Fassung und mit der Begründung bestimmter Zeit
und Kultur Gesagtes nicht wieder gesagt und begründet werden dürfte und
sollte, wie die Gegenwart mit ihren Zuständen es heischt. Bald ist das die
Folge einer Vorliebe für bestimmte Autoritäten und Richtungen, bald die