Erziehungsgrundsätze eines Feldherrn.
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in einer falschen Auffassung über das, was Du für Charakter hältst. Der Charakter
besteht darin, daß man das, was man für das Rechte erkennt, unerschütterlich fest
hält. Die erste Aufgabe ist, das Rechte zu suchen, über dasselbe zum klaren Be
wußtsein zu kommen. Die Gebote Gottes geben nun da den besten Anhalt. Die
Erfüllung der Pflichten, welche jedem seine Stellung auferlegt, ist begründet in den
Geboten Gottes. Deine nächste Pflicht ist nun mit, den Vorschriften der Behörde
zu folgen, die Dir gesetzt ist. Das sind Deine Lehrer. Wenn Du deren Anord
nungen nicht nachkommst, so fehlst Du gegen Deine Pflicht. Erinnere Dich, mein
Sohn, wie ich Dir vor mehr als zwei Jahren auf Deine Frage, was Deine Ehre
und deren Wahrung erfordere, schrieb: Es war die Erfüllung Deiner Pflichten
vor allem. Treue Pflichterfüllung ist eine gute Ehrenbasis. Du bist von ihr ab
gewichen, weil Du Dich hast verführen lassen. Ich unterstreiche das Wort, ob
gleich Du sagst, Du seiest nicht verführt worden. Was ist denn aber Verführt
werden anderes, als daß man fich durch irgendeinen äußeren Grund zu dem verleiten
läßt, was im Widerspruch damit steht, was man bisher für das Rechte gehalten
und wonach man bisher gehandelt hatte. Wenn Dich jemand auffordert, etwas zu
tun, was Du für unrecht hältst und deshalb nicht tun willst, und wenn Du es
dann, weil jener immer wieder auf die Sache zurückkommt und Dich bittet und
die Sache Deiner Phantafie plausibel macht, es doch tust, so ist das eine grobe
Verführung. Ein äußerer Einfluß hat dich vermocht, von dem abzugehen, was Du
für das Rechte erkannt. Ist es nun nicht dasselbe, wenn Du von Deinen Grund
sätzen abweichst, weil jemand der Aufrechthaltung derselben eine falsche Auslegung
gibt? Deine Mitschüler deuten Dir an, Du handeltest aus Furcht vor Strafe,
sie trauen Dir gar nicht zu, daß Du aus Charakterstärke Deiner Ueberzeugung,
Deiner Ansicht treu bleibst. Der Gedanke, daß man Dir Furcht zutraut, geht Dir
über alles. Ansicht, Ueberzeugung, Selbständigkeit opferst Du, nur um den Beweis
zu führen, daß Du Dich nicht fürchtest. Es hat Dich also ein äußerer Grund zu
einer Handlung verleitet, die mit Deinem früheren Handeln und mit Deiner An
sicht im Widerspruch stand. So bildet sich kein Charakter, mein Sohn! —
Ein Charakter hält an seiner Ueberzeugung fest, bildet sich seine Grundsätze und
handelt unbeirrt nach diesen, die Welt mag davon denken, was sie will. Die
heutigen Tageshelden ordnen alles der sogenannten öffentlichen Meinung unter,
ihr sind sie dienstbar, nicht den Geboten Gottes und den hiernach sich gebildeten
Grundsätzen. Wenn Du Deine alte Energie anwendest und wieder in
die Bahn hineinspringst und sie mit Konsequenz verfolgst, welche Dir bisher zu
meiner Freude das Vertrauen Deiner Lehrer erworben hatte, sodaß ich Dich mit
gutem Gewissen einst zu dem Leibgrenadierregiment geben kann, so wirst Du sehen,
wie es vor allem zu dem preußischen Offiziertum gehört, seinen Untergebenen ein
gutes Beispiel zu geben, das besonders mit darin besteht, selbst nichts zu tun,
was man den Untergebenen zu tun verbietet. Nun, mein Sohn, beherzige, was
ich Dir geschrieben habe; ich schelte Dich nicht, ich sage Dir nur, wie es mein
Herz betrübt hat, daß Du nicht die Charakterfestigkeit gezeigt hast, die ich so gerne
bei Dir gesichert wüßte. Prüfe Dich ernst, mein Sohn, vergleiche Deine heutigen
Auffassungen über einzelne Fragen mit denen, die Du vor Jahr und Tag über
dieselben gehabt, und prüfe sie dann ernst! Halte aber auch daran fest, daß Du
die Offenheit gegen Deinen Vater bewahrst, Du magst getan haben, was Du willst.
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