Unterrichtliche Willensbildung. :: U
schon jeder rechte Unterricht durch Erregung der Aufmerksamkeit, durch Nötigung
zur Kraftentfaltung, durch Abweisung störender Assoziationen usw. unmittelbar
willensbildend wirkt. Aber von dieser Wirkung des Unterrichts, die eine mehr
allgemeine ist, soll hier nicht gesprochen werden. Hier sollen vielmehr Gelegenheiten
aufgesucht werden, wo die Unterrichtstechnik der neueren Lehrkunst im einzelnen
willensbildende Beeinflussung auszuüben gewillt ist.
Alle geistige Leistungsfähigkeit beruht auf dem Selbstvertrauen. So wie
kein Turnschüler den Sprung über die Schnur wagt, wenn er nicht das nötige
Selbstvertrauen besitzt, so geht auch bei geistiger Arbeit der Schüler nicht an die
Ueberwindung der Schwierigkeiten heran, wenn ihm das Selbstvertrauen fehlt. Jeder
Willensakt wird aber unmittelbar durch das Selbstvertrauen des Wollenden beein
flußt. Daher ist auf dem Gebiete der Lerntätigkeit ede Gelegenheit zu benützen,
um der Pädagogik des Ermutigens auch im Unterrichtsbetriebe Raum zu
gewähren. Daher ist es verfehlt, wenn der Lehrer beispielsweise das zusammen
hängende Sprechen des Schülers fortwährend unterbricht oder mit hämischen Be
merkungen durchsetzt; wer das tut, raubt dem Kinde das Selbstvertrauen und nimmt
jedem kleinem Teilwollen, das sich in jedem Sprechakte offenbart, von vornherein die
Kraft. Die Unterrichtstechnik kann fast auf allen Gebieten hierin noch viel leisten, um
die Pädagogik des Ermutigens auf didaktischem Gebiete praktisch auszugestalten. Unser
gesamter Unterricht ist vielfach noch zu sehr auf negativer Grundlage aufgebaut. Immer
und immer wieder zeigt er dem Schüler sein Nichtkönnen und die Mangelhaftigkeit
seiner Leistungen, ohne zu bedenken, welch willensbildender Kraft er sich dadurch selbst
beraubt. — Im Zusammenhange mit dieser Ermutigung steht auch die Erziehung
des Schülers zur Beharrlichkeit, die ebenfalls fleißig bei jeder paffenden Ge
legenheit auf den verschiedenen Lehrgebieten gepflegt werden soll. Ein Beispiel
hierfür aus dem Rechenunterrichte. Die Schüler der Mittelstufe sollen Reihen
senkrecht untereinander stehender Zahlen addieren. Wie gering ist die willens
bildende Kraft dieser Uebung, wenn sie nicht in einem Zug ausgeführt, sondern
an beliebigen Stellen unterbrochen wird. Wenn das Kind etwa so rechnet:
5 + 6=11-1-3 = 14 — Pause 1- 7 — Pause — = — Pause 21 usw., so
sind die willensbildenden Kräfte, die dieser Unterricht auslöst, nur sehr gering.
Wie ganz anders, wenn der Schüler angeleitet wird, in beharrlicher Konzentration
der Aufmerksamkeit das Zusammenzählen einer Reihe unbedingt zu Ende zu führen,
also — bei nur visuellem Auffassen der Addenden — die Addition in einem Zuge
so ausführt: 5, 11, 14, 21, 26. Man glaube ja nicht, daß das nur dem Rechnen
selbst zugute käme, nein, es steckt eine Willensghmnastik darin, die dem Kinde auch
auf anderen Gebieten nützt.
Seine willensbildende Kraft erreicht der Unterricht vielfach erst durch die rechte
Uebung. Die Technik der rechten Uebung ist für den Fortschritt unserer Volks
schuldidaktik mindestens ebenso wichtig wie die Technik der rechten Einführung des
Neuen. Es ist merkwürdig, daß vielerorts als Gegenstand zu Lehrproben nur
Einführungen neuer Stoffe benützt werden; als wenn sich im rechten Ueben die
erziehlich-unterrichtliche Kraft des Lehrers nicht vielfach ebenso bewähren könnte
als bei der Einführung. Sehr nutzbringend wirkt bei der Uebung für die Zwecke
der Willensbildung schon die Reihenbildung. Wir wollen wieder ein Beispiel
aus dem Rechenunterricht herausgreifen. Es steht das Vervielfachen zweistelliger