Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Rundschau. 
:: 183 :: 
bringt neuerdings hierzu beachtenswerte 
Ausführungen in den ,Pädagogischen 
Blättern' von Muthesius (43. Jahrgang, 
1914, Nr. 12) unter dem Titel „Deutsch". 
Er schreibt dort: 
„Es ist nicht wahr, daß die Kulturge 
schichte berufen sei, die Kriegsgeschichte zu 
verdrängen. Auch das ist ein Aberglaube 
einer an Kultur trunkenen Friedenszeit. 
Auch die Kulturgeschichte gipfelt und 
wurzelt in der Kriegsgeschichte. 1806, 
1813, 1870 sind die Früchte am deutschen 
Volksbaum, Früchte, d. h. Ertrag des 
Gewordenen und Keimzelle des Wer 
denden. Und 1914 etwa nicht? 
„Dieser Kampf ist nicht umsonst." Wir 
sollten Gott für diese Lehre danken. Und 
wenn die Herren vom allwissenden Stamm 
tisch jetzt an der Ungeschicklichkeit unserer 
Diplomatie mäkeln, die uns allein gegen 
eine Welt gestellt habe, so treiben sie 
Blasphemie. Gott hat uns allein gegen 
eine Welt gestellt; und das sollten wir 
ihm danken. Ein Volk, das in zäher 
Friedensarbeit alle älteren und an Vor 
rang gewöhnten Nationen überflügelt, 
muß vereinsamen, muß sein Recht in 
einem Notkampf erweisen, einer gegen 
alle. Das ist göttliche Weltgeschichte. 
Murrt nicht, ihr immer noch Bequemen — 
tragt! 
Und so will nun aus des Weltkriegs 
Not das neue Deutschtum wachsen, das 
alles Gute der deutschen Art entwickeln 
soll. Und hier liegt aller Lehrerbildner, 
der Vorbildner und Weiterbildner, va 
terländische Aufgabe in diesen Tagen. 
Machen wir erst uns und dann den Un- 
' seren klar, was das heißen soll: Deutsch. 
Der Krieg lehrt es uns. 
Deutsch ist Friedensliebe. Wir sind 
das kriegstüchtigste Volk, weil wir das 
friedliebendste sind. Das klingt geradeso, 
wie so manches im deutschen Wesen; 
denn die deutsche ist die vielfältigste 
Seele und findet ihre Einheit immer nur 
aus der Auflösung von Widersprüchen. 
Der Deutsche will den Krieg nur, wenn 
er ihn um des Friedens willen wollen 
muß; dann aber will er ihn bis zur 
völligen Friedenssicherung. Auch Napoleon 
wollte einen Frieden als Kriegsziel; aber 
sein Friedensideal war so phantastisch 
(das über Nacht zu errichtende Welt 
reich), daß dieser Wille zum Frieden 
platonisch blieb. Er war ein Krieger um 
des Krieges willen, der Krieg um des 
Friedens willen ist deutsch, ist Friedrich 
des Großen, ist Moltkes, ist unseres 
Kaisers Tatwille. Daß aber der Deutsche 
ein Friedensvolk ist, macht, weil er das 
Volk des zähesten Kulturwillens ist. 
Durch Menschtam die Welt zu unter 
werfen, ist unseres Volkes Aufgabe. Dazu 
gehört Friede. Und der muß schlimmsten 
Falles erkämpft werden. 
Wir sehen, daß wir uns unbedingt von 
der alten, unüberlegten Schablone der 
Germanen-Ueberlieferung lösen müssen. 
Mag sein, daß zu Tacitus' Zeiten (der 
übrigens eine tendenziös entstellte er 
bärmliche Geschichtsquelle ist) die noch 
ganz urtümlichen Germanen faul und 
rauflustig waren; darum ist Kriegslust 
nicht deutsche Art. Das Wort von dem 
„frischen fröhlichen" Krieg ist höchst un 
glücklich; das mag in französischem Mund 
passen; uns ist der Krieg bitterernst. 
Das Germanentum ist schon durch das 
Klima in seiner Heimat dazu bestimmt, 
einen starken Kulturwillen, einen zähen 
Kamps mit der spröden Natur zu ent 
wickeln. So kann sich seine Art nur 
rein darstellen, wenn solche Kulturarbeit 
in vollem Gange ist. Die auf der Bären 
haut liegenden Germanen (so ihre Schil 
derung zutrifft) find noch nicht zu deut 
schem Wesen erwacht. 
Aus diesem Urgrund germanischer 
Eigenart leiten sich alle deutschen Tu 
genden ab, alles Friedenstugenden, die 
trotzdem alle der Krieg am glänzendsten 
offenbart. 
„In Fährden und in Nöten zeigt erst 
das Volk sich echt." Fleiß und Sorgfalt, 
Stetigkeit. Ruht nicht unsere ganze 
Kriegsführung darauf? Dieser Krieg ist 
ein Eisenbahnkrieg. Deutschland ist an 
Zahl unterlegen. Aber die militärische 
Tüchtigkeit gibt ihm die Möglichkeit, mit 
einer nicht unwesentlich geringeren Zahl 
den Kampf in der Schwebe zu halten. 
Nun teilt die Heeresleitung jedem Kriegs 
schauplatz so viel Truppen zu, daß sie 
eben standhalten können; dann aber bleibt 
ihr noch ein verfügbarer Ueberschuß; und 
den wirft sie über Hunderte von Kilo 
metern, nach Frankreich, nach Ostpreußen, 
nach Galizien, bald da-, bald dorthin. 
Damit wird die Eisenbahn die erste 
Kriegsmacht. Schlägt unser Herz nicht 
höher, wenn wir dies unpathetische, nüch-
	        
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