Erziehungsideale in Kriegszeiten.
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Jene fleißigen Lehrer und Gelehrten, Philanthropen d. h. Menschenfreunde, wie
fie sich nannten, haben fürwahr mitgearbeitet an der Zukunft ihres und unseres
Volkes. Dadurch, daß sie sich geradezu Unmögliches zum Ziel setzten, erreichten
sie das Mögliche, das Gute im Großen und im Kleinen, in der Forderung großer
pädagogischer Ideen und in der Lehrkunst selbst der Anfangsgründe. In der Ver
tretung ihrer philosophischen Grundsätze waren sie kosmopolitisch gesinnt, was man
bedauern mag, und doch haben sie gerade der nationalen Erziehung schöne Dienste
erwiesen. Mit Recht wird daher die Bedeutung dieser Schulmänner gerade in
unserer Zeit immer mehr gewürdigt, zumal da wir je länger desto mehr zu der
Ueberzeugung kommen, daß das Wohl und Wehe eines Staates von der geistigen
Kraft und Schulung seiner Bürger abhängt.
Die erwähnte Unsicherheit in unserem geistigen Kulturleben, das Schwanken in
der Auffassung und in der Bewertung der verschiedenartigsten Probleme finden
wir auf erzieherischem Gebiete wieder in der prinzipiellen Beurteilung des Wertes
der Erziehungslehre als solcher. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Wert
schätzung der Pädagogik keine besonders hohe, und daß dieses heute anders ist,
haben wir nicht zum geringen Teile eben den Philanthropen zu danken, die den
Wert der Erziehungslehre nicht hoch genug preisen konnten. Auch heute oszilliert
in dieser prinzipiellen Frage noch der Kampf der Meinungen insofern zwischen
Gegensätzen und Extremen, als die einen in der Pädagogik eine Wissenschaft er
blicken, die anderen eine Kunst. Nach dem Beispiel der „reinen" Wissenschaften
gewinnt heute, wie es scheint, die naturwissenschaftliche Methode in der Behand
lung von Erziehungsfragen immer mehr Raum, trotzdem es an entschiedenen Geg
nern auch hier nicht fehlt. Man will höchstens eine solche Behandlung für die
Erforschung des kindlichen Empsindungs- und Vorstellungslebens gelten lassen, hält
sie dagegen nach der Seite des Gefühls und der Willensbildung für unzureichend
und unsicher. Die Anfänge dieser sogenannten wissenschaftlichen Pädagogik reichen
in den Philanthropinismus zurück. Nicht, als wenn hier zum ersten Male die
Psychologie ihre Anwendung auf die Erforschung des kindlichen Seelenlebens ge
funden hätte. Jede Pädagogik, insofern sie ihren Namen verdient, hat ihre Mittel
der Psychologie entnommen. Nur daß die Philanthropen diese prinzipielle Frage
in ihrer vollen Bedeutung erfaßten, auch wenn sie, was Tatsache ist, nicht immer
' danach handelten, sondern die Pädagogik stark stützten auf ihre philosophischen
Grundsätze — das ist das Verdienst jener Schulmänner, das wir ihnen hoch an
rechnen wollen. Beweise hierfür finden wir bei Salzmann, noch mehr bei Trapp,
der in seinem „Versuch einer Pädagogik" den fundamentalen Satz ausspricht: „Die
Pädagogik hat von den Kräften des Kindes auszugehen." Wesentlich auf dieser
Erkenntnis beruht der Ausbau der Pädagogik, die nur Wissenschaft sein will und
die, mag man auch manchen Schritt vielleicht als gewagt bezeichnen, doch zweifel
los den Vorzug hat, daß fie sich auf den Boden der Erfahrung stellt und der Ge
fahr einer willkürlichen und unmethodischen theoretischen Behandlung ausweicht.
Die Ethik liefert der Pädagogik das Ziel der Erziehung. Es ist bekannt, wie
gerade in dieser Frage vor dem Kriege die Meinungen auseinandergingen. Unter
dem Einfluß einer naturalistischen Lebensauffassung setzte sich in der Erziehung
immer mehr die utilitaristische Forderung durch, die, eben weil sie Erziehung und
Schule einseitig vom Gesichtspunkte des praktischen Lebens betrachtete, demgemäß