Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Literatur zum schaffenden Lernen. :: 
seinen Schüler nicht mit dem ersten Schlag zu Boden; er schüchtert ihn überhaupt 
nicht ein, sondern macht ihm Mut zum Angriff, indem er sich selbst Blößen gibt 
(scheinbare allerdings, denn er spielt mit ihm). Er will ihm den Sieg nicht leicht 
machen, er braucht ihn überhaupt nicht siegen zu lassen; nur muß er die Ent 
scheidung lange hinausschieben, nur muß er seinen Schüler auf die Höhepunkte des 
Gefechts hinausführen, wo der Sieg durch eine letzte Kraftanstrengung errungen 
scheint. Wo der Schüler ermattet, da muß er ihn zum Angriff locken; wo er fich 
stark fühlt, da muß seine Berteidigungskunst auf die Probe gestellt werden. — 
Gleicht nicht der unerbittlich korrigierende Lehrer dem ungeschickten Fechtmeister, 
der jeden mutigen Ausfall seines Schülers mit einem vernichtenden Hiebe erwidert? 
Wer sich in der Debatte überlegen fühlt, wird seinen Gegner nicht gleich mit 
dem besten Geschütz bombardieren. Die Freude am Kampf ist ja das Charakte 
ristikum der Ueberlegenheit. Je länger der Kampf dauert, desto größer die Freude; 
ein vorzeitiger Sieg raubt ihm nicht nur die beste Freude, sondern auch eine gute 
Gelegenheit, sich selbst zu vervollkommnen. Gerade das will er nnd so schafft er 
sich künstlich eine gefährliche Situation, indem er seine besten Waffen und Treffer 
aus der Hand gibt; er will sich seinem Gegner möglichst ebenbürtig machen. Ein 
solcher Kampf ist auch für die Zuschauer interessant; denn er ist reich an Wechsel 
fällen und läßt die Entscheidung lange hin und her schwanken. Die Entscheidung 
selbst ist eine Tatsache, die nicht weiter interessieren würde, wenn sich nicht doch 
noch an ihr mäkeln, erklären und entschuldigen ließe. Gleicht nicht der streng 
kritisierende Lehrer einem allzu vorsichtigen Debatter, der jede Plänkelei mit einem 
Geschützregen beantwortet?" 
Nicht nur zur sprachlichen, sondern auch zur zeichnerischen und manuellen Dar 
stellung soll der Schüler gelangen, sagt die neuere Methodik. Eines der besten 
Bücher nach dieser Seite hat uns wieder einmal der bekannte Münchener Pädagoge 
Dr E. Weber geschenkt? Was er über Außen- und Innenwelt, Eindruck und 
Ausdruck sagt, wird der Theoretiker gerne lesen. Auch ist aus der Geschichte des 
Zeichenunterrichts mit Glück dasjenige besonders hervorgehoben, was die neueren 
Bestrebungen zum Verständnis des Zeichnens als Ausdrucksmittel leichter begreifen 
läßt. Die Ausführungen zur Psychologie der zeichnerischen Gestaltung zeigen den 
feingebildeten Pädagogen, und seine einzelnen Anweisungen den erfahrenen Prak 
tiker. Nicht jeder wird über das technische Können verfügen, das Weber eigen 
ist und das zu gleich mustergültiger Nachahmung befähigt. Aber vieles davon ist 
ohne weiteres abzunehmen und an vielem anderen kann der Lehrer wenigstens 
lernen; besonders die vielen farbigen Tafeln erleichtern ihm dies. 
Auch Scharrelmann hat sich auf diesem Gebiete versucht? Seine Darstellungen 
sind mehr für die Unterstufe gedacht und besonders dazu angetan, die Entwicklung 
des zeichnenden Kindes zu fördern. Nicht durch lähmende Kritik und übertriebene 
Korrektur soll dies geschehen, nicht durch Belächeln soll die Zeichenfreudigkeit ge- 
1 Weber, Dr. Ernst, Schaffendes Lernen. Zeichnerische Gestaltung und Bildungsarbeit. 
Hannover 1913, Kortkamp, 232 S., 48 Tafeln, geb. Mk. 6,50. 
^ Scharrelmann, Heinrich, Das Malen und Zeichnen zur Belebung des Elementar 
unterrichtes und der häuslichen Beschäftigung der Kinder. Mit 246 Bildern und 2 far 
bigen Tafeln, Hamburg und Berlin 1913, A. Janssen, 163 S., Mk. 2,70, geb. Mk. 3,50. 
(Handbücher für modernen Unterricht.) 
Pharus VI, Bd. 1, H. 3. 
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