Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Luis. u 261 :: 
haft mit den Zähnen in die Zunge beißend. Andere suchten den Kameraden, der 
die Rollen verteilte, mit Briefmarken oder Ansichtskarten zu bestechen, und wenn 
des Abends der Präfekt an ihre Alkoven kam, dann fragte manch einer von ihnen, 
flehend sein dunkles Auge zu ihm emporhebend, leise: „Pater, werde ich Wohl 
Torero sein?" 
In der Abteilung der ganz Kleinen, die unter P. Herbert stand, machte die 
Auswahl keine Schwierigkeiten; da half kein Bitten und Intrigieren; denn bei 
diesen Gala-Stiergefechten wurden die Stiere nicht von Zöglingen mit gehörntem 
Kopfhelm dargestellt, sondern regelrecht von ganz jungen, acht bis zehn Monate 
alten Rindern. So konnte man klugerweise nur den schon größeren Kindern eine 
Rolle anvertrauen. Das hinderte den kleinen San Telmo keineswegs, in Erinnerung 
an die hohe Stellung, die sein Vater bei Hofe einnahm, den nachstehenden, wörtlich 
wiedergegebenen Brief zu schreiben: 
„Lieber Papa! 
Ich würde mich sehr freuen, zu vernehmen, daß es Dir gut geht. Gott sei 
gedankt, geht es mir auch gut. Am Fastnacht-Dienstag werden wir ein großartiges 
Stiergefecht haben mit leibhaftigen Stieren aus Lora. Ganz Sevilla und ganz 
Cadix wird dabei sein. P. Herbert meint, ich sei noch viel zu klein, um Torero 
sein zu können. Aber ich möchte mich hervortun vor meiner Mama und den kleinen 
Schwestern; denn die werden hier sein, und ich wünsche, daß Du den König bittest, 
durch einen allerhöchsten Erlaß dem P. Herbert zu befehlen, daß er mich zum Torero 
mache; sonst bestimmt er am Ende dazu den Luis oder den Jose-Jesus, die gar 
nicht dazu taugen und nicht einmal aus Sevilla sind. Genug für heute. Mit 
tausend Küssen Dein Juan." 
Der allerhöchste Erlaß ließ freilich auf sich warten und, wie es der kleine San 
Telmo vorausgesehen, wurden Luis und Jose-Jesus zu Espadas der vierten Ab- 
teilung bestimmt. 
„Pff!" machte verächtlich Juanillo, als er von dieser Ernennung erfuhr. „Und 
noch dazu ein Franchute, ein Franzose! Ganz Sevilla wird bersten vor Lachen!" 
P. O'Learh teilte diese Ansicht und diese Furcht keineswegs. Ihm war Luis' 
Erfolg ausgemacht, und von Jose-Jesus wußte er, daß er ein hübscher und regel 
rechter Torero sein werde. Im übrigen hatte seiner Wahl auch sein Mitpräfekt 
zugestimmt, ein junger Pater aus Cordova, der in allen Banderilla-Künsten wohl- 
erfahren war. P. Herbert war froh, bei Gelegenheit dieses Festes die beiden 
Knaben einander näher bringen zu können; denn sicher würden sie nachher noch 
lange daran denken und sich dabei ihrer gegenseitig erinnern. Vielleicht wird sich 
ihnen hier auch die Gelegenheit bieten, aufrichtige, für Luis wünschenswerte Freund 
schaft zu schließen. 
Im geheimen dachte auch schon Jose-Jesus daran. Nach seiner Unterredung 
mit P. Herbert in dem Mandelbaumgarten hatte er viel über dessen Worte nach 
gedacht. Er war aber zartfühlend genug, um Luis nicht mit aufdringlichen Freund 
schaftsbeweisen zu belästigen. Er begnügte sich damit, ihm ganz einfach und herzlich 
kameradschaftliche Dienste zu leisten, wie es so der tägliche Verkehr mit dem jungen 
Ausländer mit sich brachte. Im übrigen wartete er eine bessere Gelegenheit ab, 
um sich Luis' Gunst zu erwerben. Nun dachte er sofort, daß ihre beiderseitige 
Berufung an die Spitze der Cuadrillas den ersehnten Anlaß dazu bieten könnte.
	        
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