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haft mit den Zähnen in die Zunge beißend. Andere suchten den Kameraden, der
die Rollen verteilte, mit Briefmarken oder Ansichtskarten zu bestechen, und wenn
des Abends der Präfekt an ihre Alkoven kam, dann fragte manch einer von ihnen,
flehend sein dunkles Auge zu ihm emporhebend, leise: „Pater, werde ich Wohl
Torero sein?"
In der Abteilung der ganz Kleinen, die unter P. Herbert stand, machte die
Auswahl keine Schwierigkeiten; da half kein Bitten und Intrigieren; denn bei
diesen Gala-Stiergefechten wurden die Stiere nicht von Zöglingen mit gehörntem
Kopfhelm dargestellt, sondern regelrecht von ganz jungen, acht bis zehn Monate
alten Rindern. So konnte man klugerweise nur den schon größeren Kindern eine
Rolle anvertrauen. Das hinderte den kleinen San Telmo keineswegs, in Erinnerung
an die hohe Stellung, die sein Vater bei Hofe einnahm, den nachstehenden, wörtlich
wiedergegebenen Brief zu schreiben:
„Lieber Papa!
Ich würde mich sehr freuen, zu vernehmen, daß es Dir gut geht. Gott sei
gedankt, geht es mir auch gut. Am Fastnacht-Dienstag werden wir ein großartiges
Stiergefecht haben mit leibhaftigen Stieren aus Lora. Ganz Sevilla und ganz
Cadix wird dabei sein. P. Herbert meint, ich sei noch viel zu klein, um Torero
sein zu können. Aber ich möchte mich hervortun vor meiner Mama und den kleinen
Schwestern; denn die werden hier sein, und ich wünsche, daß Du den König bittest,
durch einen allerhöchsten Erlaß dem P. Herbert zu befehlen, daß er mich zum Torero
mache; sonst bestimmt er am Ende dazu den Luis oder den Jose-Jesus, die gar
nicht dazu taugen und nicht einmal aus Sevilla sind. Genug für heute. Mit
tausend Küssen Dein Juan."
Der allerhöchste Erlaß ließ freilich auf sich warten und, wie es der kleine San
Telmo vorausgesehen, wurden Luis und Jose-Jesus zu Espadas der vierten Ab-
teilung bestimmt.
„Pff!" machte verächtlich Juanillo, als er von dieser Ernennung erfuhr. „Und
noch dazu ein Franchute, ein Franzose! Ganz Sevilla wird bersten vor Lachen!"
P. O'Learh teilte diese Ansicht und diese Furcht keineswegs. Ihm war Luis'
Erfolg ausgemacht, und von Jose-Jesus wußte er, daß er ein hübscher und regel
rechter Torero sein werde. Im übrigen hatte seiner Wahl auch sein Mitpräfekt
zugestimmt, ein junger Pater aus Cordova, der in allen Banderilla-Künsten wohl-
erfahren war. P. Herbert war froh, bei Gelegenheit dieses Festes die beiden
Knaben einander näher bringen zu können; denn sicher würden sie nachher noch
lange daran denken und sich dabei ihrer gegenseitig erinnern. Vielleicht wird sich
ihnen hier auch die Gelegenheit bieten, aufrichtige, für Luis wünschenswerte Freund
schaft zu schließen.
Im geheimen dachte auch schon Jose-Jesus daran. Nach seiner Unterredung
mit P. Herbert in dem Mandelbaumgarten hatte er viel über dessen Worte nach
gedacht. Er war aber zartfühlend genug, um Luis nicht mit aufdringlichen Freund
schaftsbeweisen zu belästigen. Er begnügte sich damit, ihm ganz einfach und herzlich
kameradschaftliche Dienste zu leisten, wie es so der tägliche Verkehr mit dem jungen
Ausländer mit sich brachte. Im übrigen wartete er eine bessere Gelegenheit ab,
um sich Luis' Gunst zu erwerben. Nun dachte er sofort, daß ihre beiderseitige
Berufung an die Spitze der Cuadrillas den ersehnten Anlaß dazu bieten könnte.