Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Rundschau. 
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hinterlistigen Schuft gestattet, dich eines 
Tages als Blinden in seinen Sack zu 
stecken. Hart muß das neue Geschlecht 
werden! Erzieht es in Religiosität und 
männlichem Christentum! Oft macht sich 
ein verhängnisvoller Feminismus, eine 
tränenäugige Weichlichkeit geltend. Hart 
werden muß das neue Geschlecht! Sein 
Lebensideal: die Vereinigung derFalsch- 
losigkeit der Taube mit der Klugheit der 
Schlange und dem Mute des Löwen. 
Mit den Füßen feststehend auf der Erde. 
Aber das Haupt himmelwärts gerichtet. 
Fort vor allem mit jenen halb brutal - 
selbstischen, halb verschwommen-sentimen 
talen Glücksauffassungen! Lehrt eure 
Kinder in dieser eisernen Zeit, daß auch 
das Glück eine eiserne und keine gold- 
schäumige Gestalt trägt, daß es nicht in 
der Erfüllung, sondern in der Versagung 
aller möglichen Ansprüche besteht, die 
heute nicht mehr zeitgemäß find. Daß 
wahres Glück aus zwei Bestandteilen 
zusammengesetzt ist: seine Pflicht tun 
und im Einklänge mit sich selber sein 
und bleiben. Zwei goldene Worte gebt 
unserer in diese Tage hineinwachsenden 
Jugend mit. Den alten Spruch: „Ich 
schlief und träumte, das Leben wäre 
Freude. Ich erwachte, und siehe, das 
Leben war Pflicht. Ich handelte, und 
siehe, Pflicht war Freude/' Und das 
herrliche Wort unseres Kaisers: „Leben 
heißt arbeiten. Arbeiten heißt kämpfen. 
Kämpfen heißt Schwierigkeiten über 
winden/' 
Die volkserzieherische Kraft der Kriegs. 
Von Oberstudienrat, Stadtschulrat Or. 
Kerschensteiner (München) wurde in den 
.Süddeutschen Monatsheften' ein „Offener 
Brief an meine amerikanischen Freunde" 
veröffentlicht, der erzählt vom Ausmarsch 
unserer Soldaten und dann fortfährt: 
„Wie viele von dieser blühenden Ju 
gend, von diesen kraftstrotzenden Männern 
werden wiederkehren, wie viel kostbares 
Menschenblut. wie viel edler Menschen 
geist, wie viele für alles Gute und 
Schöne glühende Seelen werden dem 
Raube des Todes entgehen? 
Und doch, es gab und gibt keinen 
anderen Weg, unsere Kultur zu retten, 
was heute noch von Wert ist, das Vater 
land. Dieser einzige Gedanke an das 
Schicksal des Vaterlandes hat alle er 
griffen. Wenn etwas überwältigend ist 
in dieser Zeit voll Trauer und Schmerz, 
so ist es der wunderbare Geist der Ein 
tracht, der dieses Volk von 70 Millionen, 
dieses Volk des ausgesprochenen Indi 
vidualismus, dieses Volk, das tausend 
Jahre brauchte, um zur Einheit zu kom 
men, umschlingt. Was guter Stahl ist, 
wird immer besser, je mehr er gehämmert 
wird. Was in unserem Volk an morali 
scher Tüchtigkeit lebt, hat die Not der 
Zeit wie mit einem Schlag zur Ent 
scheidung gebracht. Was die Bemühungen 
um staatsbürgerliche Erziehung während 
der Friedensarbeit und in ihr scheinbar 
nicht vermochten, hat die Ueberzahl unserer 
Feinde mit einem Schlage über Nacht 
zustande gebracht. Jedes Volk hat seine 
Schwächen und Fehler, jedes Volk hat 
seine Egoisten und Feiglinge, seine ehr 
geizigen Streber und matten Philister. 
Auch wir haben sie. Aber heute ver 
schwinden sie im Meere derjenigen, die 
alles zu opfern bereit sind, um das Vater 
land vor den Krallen des englischen 
Krämergeistes, der französischen Rachsucht 
und der russischen Tyrannei sicherzustellen. 
„Siegen oder untergehen," das ist heute 
die Losung der Besten. Wo im Herzen 
eines Deutschen noch ein Funken zum 
Guten lebt, da lodert er mit steigender 
Erkenntnis der Absichten unserer Feinde 
zur Flamme auf. Dieser stahlharte 
Imperativ gräbt sich von Tag zu Tag 
tiefer in unsere Herzen, trotz aller Trauer 
um unsere Söhne, Brüder und Väter. 
Dieser stahlharte Imperativ erfüllt jene, 
die im Felde stehen und jene, die zu 
Hause mit beispielloser Opferwilligkeit 
für sie uno die Zurückgebliebenen sorgen. 
Wie des Schicksals Würfel rollen, wer 
vermag es zu sagen? Wie immer sie 
fallen werden, ein furchtbarer Gast wird 
noch lange nachher durch die Völker 
Europas schreiten: Der Haß der Besieg 
ten wie der Sieger." 
Daran schließt Kerschensteiner folgenden 
Appell an seine amerikanischen Freunde: 
„Euch aber, die ihr so oft unsere 
Friedensarbeit bewundert habt, die ihr 
mit Tausenden eurer Landsleute nach 
Deutschland gekommen seid und die er 
hebenden Bilder unseres Kulturlebens 
in euch aufgenommen habt, die ihr all 
jährlich zu vielen Hunderten unser Münch 
ner Schul- und Erziehungswesen Wochen-,
	        
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