Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Rundschau. 
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die in ihrer hochmütigen insularen Be 
schränktheit die Welt nur vom Standpunkte 
des Herrschers und Ausbeuters anzusehen 
gewohnt sind, und eine gewisse Neigung 
haben, andere Völker als Vertreter einer 
untergeordneten Gattung anzusehen, und 
zwar nicht bloß die exotischen, sondern 
auch die europäischen. Wie oft ist uns 
das Beispiel der Engländer und auch 
der Franzosen vorgehalten worden, wenn 
es galt, den Stolz auf die nationale 
Eigenart zu stärken und fremde Einflüsse 
aus unser Kultur- und Gesellschaftsleben 
abzuwehren! Gewiß, in diesem Bedürfnis, 
Fremdes zu bewundern und nachzuahmen, 
in dieser übertriebenen Anpassungsfähig 
keit, die oft zur Verleugnung der eigenen 
Volksart führt, liegt eine Schwäche un 
seres Nationalcharakters. Es ist eine 
Folge unserer geographischen Lage in 
der Mitte der großen Kulturnationen; 
es ist eine späte Nachwirkung unserer 
geschichtlichen Stellung im Mittelalter, 
wo Deutschland der Vorkämpfer und 
Träger universaler Kulturideale war, 
während Frankreich und England mehr 
ihre nationale Eigenart ausbildeten; es 
ist das Ergebnis unseres Zurückbleibens 
hinter den westlichen Nachbarn in poli 
tischer, gesellschaftlicher und literarischer 
Bildung, wie es sich namentlich im 17. 
und auch noch im 18. Jahrhundert gel 
tend machte. Aber mit dieser Schwäche 
hängt auch eine starke Seite der deutschen 
Art zusammen: die Empfänglichkeit für 
fremdes Volkstum, der Trieb, es zu 
verstehen, sich in die fremde Eigenart 
einzuleben, die Fähigkeit, das eigene 
Wesen zu universalen Anschauungen aus 
zuweiten, es über die beschränkte Sphäre 
eines engherzigen Nationalismus zu 
erheben zu dem Ideal allgemein mensch 
licher Gesittung und Kultur . . . 
Wir haben ein offenes Herz und 
verständnisvolle Anerkennung für alles, 
was in fremder Art und Sitte menschlich 
wertvoll erscheint. Es ist eine schändliche 
Lüge, wenn von englischer Seite die 
Behauptung aufgestellt wird, wir wollten 
in diesem Kriege alle fremde Kultur ver 
nichten und einen öden Militärdespotismus 
an deren Stelle setzen. Wer so etwas 
erfinden oder gar glauben kann, be 
weist, daß ihm die geistige Entwicklung 
des modernen Europas ein unbekanntes 
Ding ist. 
Diesen weitherzigen, universalen Zug 
des deutschen Wesens wollen wir uns 
auch in der Zukunft bewahren. Unser 
Volkstum wird aus diesem Kriege fester 
und stärker hervorgehen, aber es wird 
den Zusammenhang mit den Idealen der 
Menschheit und die Achtung vor fremder 
Eigenart nicht verlieren. Wir sind in 
der glücklichen Lage, indem wir für unser 
nationales Dasein kämpfen, zugleich die 
höchsten sittlichen Güter zu verteidigen, 
die allem Volks- und Staatsleben erst 
den rechten menschlichen Wert verleihen." 
Urieg und Volksbildung. 
Im Anschluß an die frühere Zusammen 
stellung zu dieser Frage (vgl. „Bildung 
und Erziehung als Faktoren der Kriegs 
tüchtigkeit", Jahrgang 1914, Heft 11, 
S. 403) ist es von Interesse zu hören, 
was Lehrer G. Menzel, der Bearbeiter 
dieser Frage im Deutschen Lehrerverein, 
hierüber im „Tag" jüngst vorzubringen 
wußte. 
„Sehr lehrreich ist", so schreibt er 
nach dem Dezember-Heft der „Neuen 
Bahnen", „die Ziffer über Analphabeten. 
In Deutschland ist sie auf 0,05 vom 
Hundert gesunken, in England beträgt 
fie 1, in Frankreich 4, in Belgien über IO, 
im europäischen Rußland 77 pZt. Ganz 
fraglos ist ein Maßstab der Gesamtbil 
dung des Volkes mit diesen sprechenden 
Zahlen gegeben, sie führen auf das weite 
Gebiet der Anstalten, die die Volks 
bildung zu vermitteln haben. 
In Frankreich besteht die allgemeine 
Schulpflicht, freilich erst seit 1882, und 
nach Menzels Ausführungen ist es noch 
nicht gelungen, sie durchzuführen. Es 
wird ein Wort des Abgeordneten Buisson 
wiedergegeben, der im Jahre 1907 fest 
stellte : Wenigstens 2000O junge Fran 
zosen erreichen jährlich das 20. Lebens 
jahr, ohne die geringste Spur eines 
Unterrichtes aufzuweisen." 
Die englische Volksschule, der deutschen 
am meisten nahekommend, wird in ihren 
Ergebnissen ungünstig beeinflußt durch 
die Ausdehnung der gewerblichen Kinder 
arbeit. Hören wir hier Menzel direkt: 
„1910 zählte man 144 000 Volksschüler, 
die regelmäßig außerhalb des Hauses 
gegen Lohn in gewerblichen Betrieben 
beschäftigt waren. Dazu kommt, daß noch 
im Jahre 1909 rund 60 von Hundert
	        
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