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Religionsunterricht und Kultur.
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umfaßt Kultur materielle und geistige Güter oder die durch ökonomische,
wirtschaftliche, technische, körperliche, wissenschaftliche, sittliche, künstlerische,
religiöse Kultur erzeugten Güter, d. h. Agrikultur, Handel und Gewerbe, Ver
kehr, Erfindungen, Gesundheitspflege, Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit und
Religion.
Wer also als Ziel der Erziehung die Vermittlung der jeweiligen Kultur
eines Volkes an die nachwachsenden Geschlechter anerkennt — und das ist
heute so gut wie allgemein anerkannt — muß auch Religion, die zur Kultur
gehört, als Gegenstand der Erziehung anerkennen.
Auch müssen die Gegner des Religionsunterrichts zugeben, daß Religion
nicht bloß in der Vergangenheit ein wichtiger und einflußreicher Faktor der
Kultur war, sondern daß Religion auch heute noch in Wissenschaft und Leben
ganz gewaltigen Einfluß ausübt. Unsere ganze soziale Gesetzgebung wurzelt
letzten Endes in einem christlichen Gedanken. Millionen von Menschen ent
nehmen der Religion die stärksten Motive für Denken und Fühlen und
Handeln. Unsere ganze Sittlichkeit hat ihre letzten Wurzeln in der Religion.
Und sind vielleicht die Kirchen mit ihrer gewaltigen Organisation nicht Be
weis, daß auch noch heute Religion eine Macht im Leben moderner Völker
ist? Hat nicht gerade in unserem Weltkrieg die Religion sich als eine Macht
von gewaltigster Wirkung bewährt im christlichen Kulturkreis wie in dem des
Islam? Wer wollte moderne Kultur begreifen ohne die Religion und den
Einfluß, den sie allüberall ausübt?
Wer also Vermittlung der Kultur an die nachwachsenden Geschlechter als
Erziehungsideal anerkennt, muß auch die Religion als Faktor der Kultur an
erkennen, also ihr auch einen Platz in der Erziehung einräumen. Sonst trifft
ihn der Vorwurf der Kulturfeindlichkeit oder einer einseitigen Betätigung von
Kulturarbeit. Wer möchte aber als kulturfeindlich gelten?
Vom Standpunkte der Kultur aus kann also die Abschaffung des Religions
unterrichts nicht gerechtfertigt werden. Im Gegenteil: Wer Kultur sagt, wer
ihre Uebermittlung an die Jugend als Bildungsideal anerkennt, muß Re
ligionsunterricht in der Schule als unerläßlich fordern. Und zwar nicht bloß
religionsgeschichtlichen Unterricht, sondern Unterweisung in Religion theoretisch
und praktisch. Denn Religion ist nicht bloß Kenntnisnahme von Lehren,
sondern noch mehr Betätigung der Lehren im Leben.
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