Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

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Religionsunterricht und Kultur. 
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umfaßt Kultur materielle und geistige Güter oder die durch ökonomische, 
wirtschaftliche, technische, körperliche, wissenschaftliche, sittliche, künstlerische, 
religiöse Kultur erzeugten Güter, d. h. Agrikultur, Handel und Gewerbe, Ver 
kehr, Erfindungen, Gesundheitspflege, Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit und 
Religion. 
Wer also als Ziel der Erziehung die Vermittlung der jeweiligen Kultur 
eines Volkes an die nachwachsenden Geschlechter anerkennt — und das ist 
heute so gut wie allgemein anerkannt — muß auch Religion, die zur Kultur 
gehört, als Gegenstand der Erziehung anerkennen. 
Auch müssen die Gegner des Religionsunterrichts zugeben, daß Religion 
nicht bloß in der Vergangenheit ein wichtiger und einflußreicher Faktor der 
Kultur war, sondern daß Religion auch heute noch in Wissenschaft und Leben 
ganz gewaltigen Einfluß ausübt. Unsere ganze soziale Gesetzgebung wurzelt 
letzten Endes in einem christlichen Gedanken. Millionen von Menschen ent 
nehmen der Religion die stärksten Motive für Denken und Fühlen und 
Handeln. Unsere ganze Sittlichkeit hat ihre letzten Wurzeln in der Religion. 
Und sind vielleicht die Kirchen mit ihrer gewaltigen Organisation nicht Be 
weis, daß auch noch heute Religion eine Macht im Leben moderner Völker 
ist? Hat nicht gerade in unserem Weltkrieg die Religion sich als eine Macht 
von gewaltigster Wirkung bewährt im christlichen Kulturkreis wie in dem des 
Islam? Wer wollte moderne Kultur begreifen ohne die Religion und den 
Einfluß, den sie allüberall ausübt? 
Wer also Vermittlung der Kultur an die nachwachsenden Geschlechter als 
Erziehungsideal anerkennt, muß auch die Religion als Faktor der Kultur an 
erkennen, also ihr auch einen Platz in der Erziehung einräumen. Sonst trifft 
ihn der Vorwurf der Kulturfeindlichkeit oder einer einseitigen Betätigung von 
Kulturarbeit. Wer möchte aber als kulturfeindlich gelten? 
Vom Standpunkte der Kultur aus kann also die Abschaffung des Religions 
unterrichts nicht gerechtfertigt werden. Im Gegenteil: Wer Kultur sagt, wer 
ihre Uebermittlung an die Jugend als Bildungsideal anerkennt, muß Re 
ligionsunterricht in der Schule als unerläßlich fordern. Und zwar nicht bloß 
religionsgeschichtlichen Unterricht, sondern Unterweisung in Religion theoretisch 
und praktisch. Denn Religion ist nicht bloß Kenntnisnahme von Lehren, 
sondern noch mehr Betätigung der Lehren im Leben. 
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