Luis.
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„Treten wir in diesen Saal!" Und nachdem er die Tür hinter ihm geschlossen,
erzählte er dem ängstlich lauschenden Johanniter von den traurigen Schicksals
schlägen, die für immer das Leben dieser selbstsüchtigen Weltdame vernichtet hatten.
Während der Verhandlungen hinter der Mhrtenhecke der Villa im Olivenhaine
hatte Mister Murray zwar der jungen Frau sein Geld und Gut und seinen Namen
angeboten, nur eine einzige „unbedeutende Kleinigkeit" hatte er ihr verschwiegen:
daß er nämlich nicht Witwer, sondern mit einer Dame aus Aersah verheiratet war,
die er eines Tages hatte sitzen lassen und bald völlig vergessen hatte.
Aber die Tochter der alten Bretonen hatte ihm ein viel treueres Gedenken
bewahrt. Als sie infolge der täglichen Postschiffverbindung zwischen Yersah und
Southampton, dem großen englischen Hafenplatze, eines Tages erfuhr, daß sich ihr
flüchtig gewordener Mann wieder verheiraten wolle, war sie nach Malaga gereist,
wo die Trauung stattfinden sollte. Hier warf sie sich ihrem Manne zu Füßen und
beschwor ihn, wieder zu ihr zurückzukehren. Allein mit Hohn und Verachtung wies
er sie von sich. Verzweifelt eilte sie nun zur Gräfin T. und überschüttete sie mit
einer Flut von Vorwürfen. Da erst erfuhr die Betrogene, was ihr der Malagener
verheimlicht hatte. Und als sie ihn zur Rede stellte, erklärte er ihr frech, wenn
sie sich nicht mit ihm trauen lassen wolle aus Furcht vor den Behörden, so sei es
ihm auch recht; er ziehe es überhaupt vor, wenn sie ohne Trauung, ohne Hochzeit
zusammenblieben. Was liege denn an solchen leeren Förmlichkeiten, wie es die
Ehe ist, wenn man sich nur liebe und das Leben in Freuden genieße? Das ließ
sich die Gräfin nun doch nicht bieten. Gegen eine solche demütigende Zumutung
empörte sich nun doch ihr stolzes Herz.
„Nie und nimmer", rief sie, „werde ich mich so tief erniedrigen!" Und sofort
verließ sie ihn.
Aber die furchtbare Erregung warf sie aufs Krankenbett. Eine schreckliche
Krankheit beraubte sie in wenigen Monaten nicht nur ihrer früher allen Strapazen
gewachsenen Gesundheit, sondern auch ihrer Schönheit, ihrer blühenden Gesichts
farbe, ihres reichen Haarschmuckes, aller ihrer Reize. Mit Schrecken sah sie ihr
Abbild im Spiegel. Entstellt und gebrochen zog sich mit ihrer Schande und Ver
zweiflung die Gräfin in eines ihrer Schlösser im Limburgischen zurück.
Mit wahrem Entsetzen hatte P. Herbert diesen Bericht vernommen. Aber er
dachte dabei nur immer an seinen armen Luis. „Armer, armer Junge!" Dann,
wie von einem plötzlichen Einfall betroffen, rief er aus: „Weiß Luis von allen
diesen schrecklichen Sachen?"
„Noch nicht," sagte der Mönch. „Ich habe es nicht gewagt, ihm davon zu
sagen, aus Furcht, er werde das nur mit heller Schadenfreude vernehmen. Er hat
ja anfangs seine Mutter so geschmäht, ihr so furchtbar geflucht! Ich will damit
warten, bis er geneigt ist, sie zu beklagen und ihr zu verzeihen."
„Haben Sie denn einige Hoffnung darauf?" fragte lebhaft P. O'Learh.
Der Mönch schüttelte den Kopf und antwortete: „Luis liebt noch seine früheren
Lehrer, besonders Sie, das weiß ich, und auch einen seiner ehemaligen Kameraden."
„Jose-Jesus?"
„Ja, Jose-Jesus. Das ist ein sehr sanfter, sehr frommer Knabe, nicht wahr,
ein Waisenkind?"
P. Herbert nickte tiefbewegt mit dem Kopfe.