Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Rundschau. 
563:: 
Den tiefgehenden Mängeln unserer 
gegenwärtigen Familien- und Schul 
erziehung muß mit allen Mitteln ent 
gegengearbeitet werden. Der Krieg muß 
hier Wandel schaffen, wenn nicht be 
fürchtet werden soll, daß ein kommendes 
Geschlecht einer großen Stunde der Ge 
fahr nicht mehr so gewachsen ist wie wir, 
die wir noch von der Zucht und Wohl 
ordnung unserer Altvorderen zehren. 
Der Krieg zeigt so recht, was der 
Mensch eigentlich braucht, um sich zu 
bewähren. Alles Hohle, Aufgebauschte, 
allen Flitter und Glanz wirft er 
schonungslos zu Boden und zeigt die 
echten, wahren Werte am Menschen: 
Mark und Nerven, Tatkraft und Be 
geisterung, Klugheit und Besonnenheit, 
Gerechtigkeit und Liebe. In dem Maße, 
als alle diese Eigenschaften in einem 
Volke sich finden, in dem Maße wird es 
die Oberhand über andere bekommen. 
Die Kriegsfortuna ist kein launisches 
Weib, wie manche meinen. Nur der 
Stärkere siegt, der Bessere, der Würdigere, 
der körperlich und geistig Gesündere. 
So kann auch uns Erziehern, ins 
besondere uns Schulerziehern, der Krieg 
zu einer großen Lehre werden. Mit 
Feuerschrift rückt er auch uns das oberste 
Ziel unseres Arbeitens vor Augen und 
lehrt uns Haupt- und Nebensache unter 
scheiden. Hauptsache ist die Weckung jener 
wahren Werte des ganzen Charakters, 
Nebensache viele und vielerlei Kenntnisse. 
Das Brillieren mit Glanzleistungen und 
frühreifer Gelehrsamkeit bringt nur wel 
schen Schein und welsche Kraftlosigkeit 
in unser Deutschtum, das schlichte, zähe 
Arbeiten an der Zucht des ganzen Men 
schen sichert uns Deutschen das Bestehen 
in fernste Zukunft." 
Professor Zoerster über die Lrziehungs- 
ausgaben zur ttriegrzeit. 
Wir haben jüngst an dieser Stelle 
über einen Vortrag Foersters berichtet, 
in dem er seine Auffassung von pädago 
gischen Aufgaben in der gegenwärtigen 
Lage kundgegeben hat. Inzwischen liegen 
zwei größere Arbeiten von ihm im Druck 
vor. In dem Buch: „Der Weltkrieg im 
Unterricht" (Gotha, Perthes) hat Foerster 
einen Beitrag zugesteuert: „Neue Er 
zieherpflichten für unsere Zeit", und im 
Furche-Verlag in Kassel ist eine Bro 
schüre von ihm: „Die deutsche Jugend 
und der Weltkrieg" erschienen, die mehrere 
Ansprachen wiedergibt, die Foerster zu 
diesem Thema gehalten hat. In der ersten 
Arbeit umschreibt Foerster unter anderem 
des Näheren die sozialpädagogische anti 
egoistische Aufgabe der gegenwärtigen Er 
ziehung und sagt dabei: „Man hat von 
pädagogischer Seite mit Recht den Vor 
schlag gemacht, besondere „Kriegsstunden" 
(die letzte Schulstunde am Samstag) ein 
zurichten, um einen Konzentrationspunkt 
für alle solche nationalpädagogischen Wir 
kungen zu schaffen; die obersten Klassen 
sollen hier versammelt werden, einzelne 
Schüler geben dann eine Uebersicht über 
die Kriegsereignisse, andere berichten die 
besonderen Heldentaten, die durch Zei 
tungen oder Feldpostbriefe bekannt ge 
worden, die jüngeren zitieren Gedichte, 
zum Schluß greift der Lehrer noch irgend 
ein packendes Thema aus den Ereig 
nissen der Woche heraus. Es hat zweifel 
los etwas Richtiges, daß in diesen Tagen 
auch die Schule das Einzelempsinden aus 
der Isolierung heraushebt und all den 
einzelnen Gedanken und Gefühlen einen 
geordneten kollektiven Gesamtausdruck 
schafft, in dem der einzelne sich nicht als 
einzelner, sondern als Volk und als 
„Chor" fühlt und begeistert. Die Aus 
gabe des Lehrers oder einzelner Schüler, 
die sich dazu gründlich vorbereiten, wäre 
es dabei auch, durch knappe, zusammen 
fassende Referate das neu geweckte ge 
schichtliche und ethnologische Interesse zu 
vertiefen, etwa durch orientierende Ueber 
sichten über Englands Kolonialgeschichte 
oder über Englands Wirtschaftsgeschichte, 
über die Geschichte des Elsaß, der balti 
schen Provinzen, des polnischen König 
reichs, der Türkei, des belgischen Kongo 
staates usw., oder über die Völker Oester 
reichs und über die Balkanstaaten. Auch 
ein Referat eines Lehrers über den 
Islam in Afrika und in Asien würde 
gerade jetzt dem lebendigsten Interesse 
begegnen. 
Eine mehr persönliche und den Kern 
des Charakters treffende Wirkung kann 
ausgeübt werden, wenn der Lehrer sich 
von der nationalen Gesamtaktion zu deren 
einzelnen Trägern wendet und aus dem 
Anblick des Heroismus der einzelnen 
nicht nur allgemein sittliche Anregungen, 
sondern auch ganz konkrete Hinweise zur 
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