Rundschau.
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Den tiefgehenden Mängeln unserer
gegenwärtigen Familien- und Schul
erziehung muß mit allen Mitteln ent
gegengearbeitet werden. Der Krieg muß
hier Wandel schaffen, wenn nicht be
fürchtet werden soll, daß ein kommendes
Geschlecht einer großen Stunde der Ge
fahr nicht mehr so gewachsen ist wie wir,
die wir noch von der Zucht und Wohl
ordnung unserer Altvorderen zehren.
Der Krieg zeigt so recht, was der
Mensch eigentlich braucht, um sich zu
bewähren. Alles Hohle, Aufgebauschte,
allen Flitter und Glanz wirft er
schonungslos zu Boden und zeigt die
echten, wahren Werte am Menschen:
Mark und Nerven, Tatkraft und Be
geisterung, Klugheit und Besonnenheit,
Gerechtigkeit und Liebe. In dem Maße,
als alle diese Eigenschaften in einem
Volke sich finden, in dem Maße wird es
die Oberhand über andere bekommen.
Die Kriegsfortuna ist kein launisches
Weib, wie manche meinen. Nur der
Stärkere siegt, der Bessere, der Würdigere,
der körperlich und geistig Gesündere.
So kann auch uns Erziehern, ins
besondere uns Schulerziehern, der Krieg
zu einer großen Lehre werden. Mit
Feuerschrift rückt er auch uns das oberste
Ziel unseres Arbeitens vor Augen und
lehrt uns Haupt- und Nebensache unter
scheiden. Hauptsache ist die Weckung jener
wahren Werte des ganzen Charakters,
Nebensache viele und vielerlei Kenntnisse.
Das Brillieren mit Glanzleistungen und
frühreifer Gelehrsamkeit bringt nur wel
schen Schein und welsche Kraftlosigkeit
in unser Deutschtum, das schlichte, zähe
Arbeiten an der Zucht des ganzen Men
schen sichert uns Deutschen das Bestehen
in fernste Zukunft."
Professor Zoerster über die Lrziehungs-
ausgaben zur ttriegrzeit.
Wir haben jüngst an dieser Stelle
über einen Vortrag Foersters berichtet,
in dem er seine Auffassung von pädago
gischen Aufgaben in der gegenwärtigen
Lage kundgegeben hat. Inzwischen liegen
zwei größere Arbeiten von ihm im Druck
vor. In dem Buch: „Der Weltkrieg im
Unterricht" (Gotha, Perthes) hat Foerster
einen Beitrag zugesteuert: „Neue Er
zieherpflichten für unsere Zeit", und im
Furche-Verlag in Kassel ist eine Bro
schüre von ihm: „Die deutsche Jugend
und der Weltkrieg" erschienen, die mehrere
Ansprachen wiedergibt, die Foerster zu
diesem Thema gehalten hat. In der ersten
Arbeit umschreibt Foerster unter anderem
des Näheren die sozialpädagogische anti
egoistische Aufgabe der gegenwärtigen Er
ziehung und sagt dabei: „Man hat von
pädagogischer Seite mit Recht den Vor
schlag gemacht, besondere „Kriegsstunden"
(die letzte Schulstunde am Samstag) ein
zurichten, um einen Konzentrationspunkt
für alle solche nationalpädagogischen Wir
kungen zu schaffen; die obersten Klassen
sollen hier versammelt werden, einzelne
Schüler geben dann eine Uebersicht über
die Kriegsereignisse, andere berichten die
besonderen Heldentaten, die durch Zei
tungen oder Feldpostbriefe bekannt ge
worden, die jüngeren zitieren Gedichte,
zum Schluß greift der Lehrer noch irgend
ein packendes Thema aus den Ereig
nissen der Woche heraus. Es hat zweifel
los etwas Richtiges, daß in diesen Tagen
auch die Schule das Einzelempsinden aus
der Isolierung heraushebt und all den
einzelnen Gedanken und Gefühlen einen
geordneten kollektiven Gesamtausdruck
schafft, in dem der einzelne sich nicht als
einzelner, sondern als Volk und als
„Chor" fühlt und begeistert. Die Aus
gabe des Lehrers oder einzelner Schüler,
die sich dazu gründlich vorbereiten, wäre
es dabei auch, durch knappe, zusammen
fassende Referate das neu geweckte ge
schichtliche und ethnologische Interesse zu
vertiefen, etwa durch orientierende Ueber
sichten über Englands Kolonialgeschichte
oder über Englands Wirtschaftsgeschichte,
über die Geschichte des Elsaß, der balti
schen Provinzen, des polnischen König
reichs, der Türkei, des belgischen Kongo
staates usw., oder über die Völker Oester
reichs und über die Balkanstaaten. Auch
ein Referat eines Lehrers über den
Islam in Afrika und in Asien würde
gerade jetzt dem lebendigsten Interesse
begegnen.
Eine mehr persönliche und den Kern
des Charakters treffende Wirkung kann
ausgeübt werden, wenn der Lehrer sich
von der nationalen Gesamtaktion zu deren
einzelnen Trägern wendet und aus dem
Anblick des Heroismus der einzelnen
nicht nur allgemein sittliche Anregungen,
sondern auch ganz konkrete Hinweise zur
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