Full text: Pharus - 8.1917, Halbjahrband 2 (8)

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Die Eigenart der Fortbildungsschüler. 
ziehung „zu einem System von Regeln, um sich den Jüngling ein paar 
Schreibtische weit vom Leibe zu halten und ihn mehr für ihre Ruhe als 
für seine Kraft zu formen", wie Jean Paul treffend sagt. Wer so han 
delt, sündigt schwer gegen den heiligen Geist der Erziehung. Ist doch 
bei all unserem Arbeiten an der Menschenseele eine der allerwichtigsten 
Aufgaben, den Trieb zur Selbständigkeit auf geistigem und sittlichem 
Gebiet zu wecken. 
Diese Erziehung zur Kraftentfaltung, zum Gebrauch der erhaltenen 
Fähigkeiten, den Eifer zum Weiterlernen und zur Weiterbildung muß 
sich jeder wahrhaft gute Unterricht als Endzweck setzen. Hunger und 
Durst wecken nach mehr Erkenntnis, gehört mit zum Besten, was die 
Schule den heranwachsenden Jünglingen ins Leben mitzugeben vermag. 
Gerade in diesem Punkte hat aber unsere Unterrichts- und Erziehungs 
kunst bös versagt. Da hilft kein Augenschließen und Beschönigen, über 
diese Tatsache kommen wir nicht hinweg. Daß dem Freiheitsdrang un 
serer Werdenden die Schule und ihr Zwang, die eiserne Notwendigkeit 
des Lernenmüssens von Dingen, deren Nutzen sie nicht begreifen, immer 
eine harte Nuß ist und bleiben wird, die aber geknackt werden muß, ist 
ein Stück der so oft gerühmten Geistesgymnastik und ein Gebot der 
Selbstzucht und Selbstüberwindung. 
Dagegen mahnt zu einer Umgestaltung der Art unseres Unterrichts 
und des Unterrichtens die Erfahrung, daß in diesen bei vielen Erwach 
senen der Grund zu dem Unbehagen zu suchen ist, mit dem sie an Schule 
und Lehrer zurückdenken. 
Daß wir, und damit sind nicht nur die Volksschullehrer gemeint, zum 
Teil die Jugend nicht zu fassen verstanden haben, zeigte sich besonders 
auffällig an einer Erscheinung zu Beginn des Weltkrieges, die auch Pro 
fessor Dr. Kühnel feststellt in einem Aufsatz „Zur Erneuerung des öster 
reichischen Erziehungs- und Schulwesens" (Vaterland und Schule, 158. 
und 159. Heft), wenn er schreibt: 
„Gegenüber der Behauptung, unsere Erziehung habe sich so glänzend bewährt, 
brennt mir heute noch eine Erinnerung in der Seele. Als unsere Schüler (Professor 
K. wirkt am Leipziger Lehrerseminar. Anm. d. Vers.) in den ersten Wochen des großen 
Kampfes sich freiwillig gemeldet hatten, als es entschieden war, daß sie gehen durften, 
daß nichts mehr sie halten würde, da veranlaßte ich sie in einer Psychologiestunde, scharf 
in ihr Inneres zu blicken und nach den Beweggründen zu forschen, die ihren Entschluß 
bestimmt hatten. Und wie aus einem Munde wurde als erstes und wichtigstes Motiv 
genannt: „Schulekel!" Wohl kam noch eine ganze Reihe anderer dazu: vaterländische 
Begeisterung, sittlicher Zorn über den tückischen Angreifer, Ehrgefühl dem Alters 
genossen gegenüber, der hinauszog, Selbstgefühl, das sich etwas zutraute, Taten 
drang, der in unserer Jugend so zurückgehalten wurde, Abenteurerlust und anderes, aber 
übereinstimmend wurde bekundet, der erste Beweggrund sei maßgebend, und dies trotz 
meiner wiederholten Mahnung zu aufrichtigster Selbstbeobachtung. Und dies Erlebnis 
habe ich bestätigt gefunden durch hundertfache Beobachtung."
	        
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