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Die Eigenart der Fortbildungsschüler.
ziehung „zu einem System von Regeln, um sich den Jüngling ein paar
Schreibtische weit vom Leibe zu halten und ihn mehr für ihre Ruhe als
für seine Kraft zu formen", wie Jean Paul treffend sagt. Wer so han
delt, sündigt schwer gegen den heiligen Geist der Erziehung. Ist doch
bei all unserem Arbeiten an der Menschenseele eine der allerwichtigsten
Aufgaben, den Trieb zur Selbständigkeit auf geistigem und sittlichem
Gebiet zu wecken.
Diese Erziehung zur Kraftentfaltung, zum Gebrauch der erhaltenen
Fähigkeiten, den Eifer zum Weiterlernen und zur Weiterbildung muß
sich jeder wahrhaft gute Unterricht als Endzweck setzen. Hunger und
Durst wecken nach mehr Erkenntnis, gehört mit zum Besten, was die
Schule den heranwachsenden Jünglingen ins Leben mitzugeben vermag.
Gerade in diesem Punkte hat aber unsere Unterrichts- und Erziehungs
kunst bös versagt. Da hilft kein Augenschließen und Beschönigen, über
diese Tatsache kommen wir nicht hinweg. Daß dem Freiheitsdrang un
serer Werdenden die Schule und ihr Zwang, die eiserne Notwendigkeit
des Lernenmüssens von Dingen, deren Nutzen sie nicht begreifen, immer
eine harte Nuß ist und bleiben wird, die aber geknackt werden muß, ist
ein Stück der so oft gerühmten Geistesgymnastik und ein Gebot der
Selbstzucht und Selbstüberwindung.
Dagegen mahnt zu einer Umgestaltung der Art unseres Unterrichts
und des Unterrichtens die Erfahrung, daß in diesen bei vielen Erwach
senen der Grund zu dem Unbehagen zu suchen ist, mit dem sie an Schule
und Lehrer zurückdenken.
Daß wir, und damit sind nicht nur die Volksschullehrer gemeint, zum
Teil die Jugend nicht zu fassen verstanden haben, zeigte sich besonders
auffällig an einer Erscheinung zu Beginn des Weltkrieges, die auch Pro
fessor Dr. Kühnel feststellt in einem Aufsatz „Zur Erneuerung des öster
reichischen Erziehungs- und Schulwesens" (Vaterland und Schule, 158.
und 159. Heft), wenn er schreibt:
„Gegenüber der Behauptung, unsere Erziehung habe sich so glänzend bewährt,
brennt mir heute noch eine Erinnerung in der Seele. Als unsere Schüler (Professor
K. wirkt am Leipziger Lehrerseminar. Anm. d. Vers.) in den ersten Wochen des großen
Kampfes sich freiwillig gemeldet hatten, als es entschieden war, daß sie gehen durften,
daß nichts mehr sie halten würde, da veranlaßte ich sie in einer Psychologiestunde, scharf
in ihr Inneres zu blicken und nach den Beweggründen zu forschen, die ihren Entschluß
bestimmt hatten. Und wie aus einem Munde wurde als erstes und wichtigstes Motiv
genannt: „Schulekel!" Wohl kam noch eine ganze Reihe anderer dazu: vaterländische
Begeisterung, sittlicher Zorn über den tückischen Angreifer, Ehrgefühl dem Alters
genossen gegenüber, der hinauszog, Selbstgefühl, das sich etwas zutraute, Taten
drang, der in unserer Jugend so zurückgehalten wurde, Abenteurerlust und anderes, aber
übereinstimmend wurde bekundet, der erste Beweggrund sei maßgebend, und dies trotz
meiner wiederholten Mahnung zu aufrichtigster Selbstbeobachtung. Und dies Erlebnis
habe ich bestätigt gefunden durch hundertfache Beobachtung."