178
Jugendführer und Jugendprobleme.
wie vom konkreten Leben aus der Zugang zum staatsbürgerlichen Erlebnis gefunden
werden kann.
Zum Abschluß sei noch hingewiesen auf die dreibändige Auswahl von Wilhelm
Emanuel vonKettelers Schriften, die Johannes Mumbauer besorgte. Das
steigende Interesse an Kettelers Schrifttum läßt das Erscheinen einer 2. Auflage be
greiflich erscheinen (Kempten 1924). Uns interessieren in diesem Zusammenhang die
politischen, sozialpolitischen und staatsphilosophischen Ideen des Mainzer Bischofs. Der
Herausgeber vermerkt mit Recht: Ketteler, dem Westfalen, eignete in hohem Maße die
Gabe der Intuition in die großen geschichtlichen Zusammenhänge und Entwicklungen in
Dingen, die wir heute ganz auffallend erfüllt oder in greifbarem Werden begriffen
sehen. Die nachfolgende Generation hat die Ideen Kettelers zum Teil vergessen, und
so ist der große Bischof leider nicht der politische Erzieher und Führer der deutschen
Katholiken geworden.
■■
Jugenbfütirer und Jugenbprobleme.
Von Or. K. Schmelzte.
Unter diesem Titel haben Männer der Schule, der Schulverwaltung und der päd
agogischen Wissenschaft als öffentliches Zeichen ihrer dankbaren Verehrung dem siebzig
jährigen Georg Kerschensteiner, der heute noch im Mittelpunkt der pädagogischen Zeit
bewegung steht, ihre Festschrift gewidmet (Leipzig 1924, B G. Teubner. 332 S. Ge
heftet 10 Mk., geb. 12 Mk.). Um den Gedankenreichtum des Buches wenigstens ein
wenig aufzuzeigen, greife ich das Problem der Jugendbewegung heraus, zu dem August
Messer in seinem Aufsatz: „Zur Problematik der Jugendbewegung" Stellung nimmt.
Messer wendet sich gegen den Kampfruf der Jugend: „Weg mit dem Intellek
tualismus!" Denn auch der altruistisch und sozial eingestellte Mensch kann des In
tellektes, das heißt der Fähigkeit, die Wirklichkeit in ihrer Gesetzmäßigkeit zu erkennen,
nicht entbehren. Erst wenn er die wirklichen Zustände richtig erkannt hat, vermag er
Mittel und Wege zu finden. Zu all dem kann er gar nicht genug Verstand haben.
In eine amoralische oder gar antimoralische Sphäre gerät der Mensch oder die mensch
liche Gesellschaft nicht, weil sie zu viel Verstand hätten, sondern weil ihre Herzen für
altruistische und humane Wertschätzungen nicht aufgeschlossen siud. Vom Werterleben
also, vom „Herz", vom „Gefühl" ist abhängig die Zielsetzung. Intellektualismus und
gefühllose Egoismus ist nicht dasselbe. Soweit der Kampf der Jugend einem seelen
losen technischen Zeitgeiste gilt, ist er berechtigt; er darf aber nicht zur Unterschätzung
des Verstandes und seines hohen Kulturgutes, der Wissenschaft, führen. Verstand und
Herz bedürfen sonach sorgsamer Pflege.
Von der Intuition oder dem bloßen gesunden Instinkt alles Heil zu erhoffen,
ist ein schwerer Irrtum der Jugend. Gefühlsmäßig vermögen wir die Lage nicht richtig
zu beurteilen. Dazu bedürfen wir des Verstandes. Dies beweist uns Deutschlands im
argen liegende Gefühlspolitik und die gefühlsmäßige Stellungnahme der Jugend zur:
Politik, die doch „die Kunst des Möglichen" ist, über die eben nur der vielgescholten^
Verstand zu urteilen imstande ist. Der von der Jugend gepriesene Instinkt versagt ja
oft genug schon bei der Wahl ihrer Führer, wenn sie auf leidenschaftliche, packende
Reden hereinfällt und Phrasenhelden Gefolgschaft leistet, statt daß sie sich von Vernunft:
und Gewissen leiten läßt. Aber auch die Vernunft steht bei der Jugend in geringem
Ansehen, zumal sie mit Verstand oft verwechselt wird, während ihr Wesen „so recht das
Begründen und Rechenschaftablegen" ist, „die Gedanken von wertvollen Zielen, die uns
bei unserem Wollen und Handeln leiten". Sie betätigt sich also recht eigentlich in der: