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Ermüdungsmessungen im Dienste der Schule.
sich eine Trennung der Schüler nach ihrer Leistungsfähigkeit ermöglichen ließe. Ein
in dieser Hinsicht glänzend durchgeführter Versuch aus der jüngsten Zeit kann wohl
als nachahmenswert angesehen werden. Stadtschulrat Sickinger schuf in Mannheim
ein Schulsystem mit Unterrichtsgruppen nach der gleichen Leistungsfähigkeit, sodaß
in dieser Schule nicht mehr „Jedem dasselbe", sondern „Jedem das Seine" gegeben
wird. Neben dem achtklassigen Hauptsystem läuft bis zur 6. Klasse parallel ein
Fürder- oder Sonderklassensystem für die schwächeren Schüler, und von diesem aus
zweigt sich für die unbegabtesten ein vierklassiges Hilfsschulsystem ab. Alle Schüler
treten in die Normalklasse ein und dann erst beginnt die Scheidung. Der Stoff
der Förderklassen ist so zugeschnitten, daß er das Wesentlichste des Stoffplanes der
entsprechenden Klassen des Hauptsystems enthält. Dadurch ist es möglich, Schüler
der Sonderklassen, deren Leistungskraft im Laufe der Jahre durch Gewöhnung und
Uebung gewachsen ist, in die gleiche Klasse des Hauptsystems überführen zu können.
In den Förderklassen wird jede Ueberanstrengung nach Möglichkeit vermieden. Sie
dürfen nie mehr als 35 Schüler zählen; diese werden in zwei Abteilungen und
halbstündigen Lektionen unterrichtet. Nur den tüchtigsten Lehrern werden diese
Kinder anvertraut, sie begleiten auch die Schüler durch alle Klassen, lernen auf
diese Weise die Individualität ihrer Schützlinge genau kennen und werden daher
um so leichter die richtigen Mittel zu ihrer Behandlung und Leitung finden. Es
liegen für unsere gesamte Schulpraxis so viel wichtige Fingerzeige in der ganzen
Art und Weise dieses Schulbetriebes, daß sie sehr geeignet erscheinen, als Weg
weiser zu dienen. Sie zeigen uns einen Pfad, auf dem wir die Kinder, ohne fie
stark zu ermüden, zum gewünschten Ziele führen können.
Der Lehrer wird all diesen schweren Aufgaben nur gewachsen sein, wenn er mit
den psychologischen und hygienisch-physiologischen Tatsachen vertraut ist. Dann erst
wird er beurteilen können, was zu erreichen ist und was vermieden werden muß.
Zuletzt sei noch vom Standpunkte des Themas aus auf die Wichtigkeit einer
guten Schulbank und auf die Verwerflichkeit einiger Schulstrafen hingewiesen.
Sitzen ist keine Ruhehaltung, es erfordert Anstrengung, und mangelhafte Bänke
bewirken eine schlechte Körperhaltung, deren Folge eine schnellere Ermüdung ist.
Es ist daher notwendig, daß die Bänke nach hygienischen Grundsätzen gebaut find.
Vor allen Dingen muß jeder Sitzplatz mit einer guten Rückenlehne versehen sein.
Diese stützt den Körper und erleichtert ihm dadurch das anstrengende Sitzen. Auch
langes Stehen ermüdet; deshalb ist es falsch, die Kinder zur Strafe längere Zeit
aus der Bank heraustreten zu lassen. Schriftliche Strafarbeiten und das Nach
sitzen sollten möglichst unterbleiben; denn durch solche Strafen wird den Kindern
die Erholungszeit verkürzt.
Und endlich noch eines. Wer aufmerksamen Auges und mitfühlenden Herzens
den oft bedauernswerten, verwahrlosten Zustand der Schuljugend der untersten
Stände sieht, der muß sich die Frage vorlegen: Darf die Schule müßig zusehen,
wie die vielen hygienischen Mängel diesen Armen ihre Widerstandskraft
untergraben, ihnen Fähigkeit und Lust zur Arbeit rauben und fie matt und müde
machen? Nein, sie muß helfen! Ihr tatkräftiger Beistand tut sehr not. Kein
Lehrer gehe daher achtlos an Bestrebungen vorüber, die geeignet sind, das körper
liche und geistige Wohlbefinden der Kinder zu fördern. Nur ein gesunder Leib
besitzt Kraft zur Arbeit; er allein vermag der Ermüdung leichter zu trotzen. Nicht