Rundschau.
Moderne Jugend. (Ihre angeblichen
„Licht"- und wirklichen Schattenseiten.)
Im Hauptorgan des österreichischen
Liberalismus, der Wiener,Neuen Freien
Presse', fand ich kurz nacheinander zwei
Feuilletons über die Jugend von heute.
Das eine stimmt mit vollen Tönen ein
Lob- und Preislied dieser Jugend an,
das andere setzt diesem Hymnus Dämpfer
auf, stimmt die Begeisterung für die
heutige Jugend derart herab, daß sie
fast in eine direkte Verurteilung der
modernen Jugend umschlagen muß.
Wenn wir beiden Feuilletons das rein
Sachliche entnehmen, so wird man das
wahre Bild der heutigen Jugend so
ziemlich vor sich haben. Die Wahrheit
steht auch hier wieder in der Mitte und
zwar in der goldenen Mitte: es ergibt
sich aus der Vergleichung, daß die Be
urteilung der Jugend von heute, wie sie
die christliche Pädagogik, von ihren ewig
unveränderlichen Grundsätzen ausgehend,
gibt, die richtige, der Wirklichkeit ent
sprechende ist. Sie erkennt in der Jugend
erziehung von heute eine durchweg ver
werfliche oder wenigstens vielfach unge
sunde Richtung bei manchen glücklichen,
der Zeit und dem Fortschritt angepaßten
Erziehungswerten ihres Systems. Wie
verwerflich, wie ungesund die Richtung
der sogenannten „modernen", d. h. von
den Grundsätzen des Christentums los
gelösten Pädagogik ist, wird aus jedem
Satz des ersten Feuilletons von Siegfried
Trebitsch über die „neue Jugend" er
hellen. Ich will aber nur die Haupt
stellen aus dem Wust der Phrasen heraus
lösen, in den sie der Verfasser, um zu
blenden und zu bluffen, gewickelt hat.
Seine Hauptthese ist, daß aus unserer
Jugend „tatsächlich neue Menschen
herauswachsen". Was für Menschen?
Hören wir das Loblied: Der „verwandelte
Jüngling" scheint dank „beharrlicher Evo
lution" „all der Gefahren Herr zu werden,
von denen die Jugend sonst immer um
droht war". Er besitzt jetzt einen „aus
gebildeten, auf alle seelischen Zwischen
fälle wohl vorbereiteten Selbstbewah
rungstrieb". Die Liebe ist für ihn
„kein gefährliches Spiel" mehr; denn
die Phantasie „treibt ihn nicht mehr ins
Schrankenlose", er kennt kein „unstill
bares Sehnen, keine würgende Senti
mentalität mehr, der eine Teil der
Liebenden bleibt zumindest besonnen,
wenn der andere sich an einem Taumel
zu verschwenden fähig wäre"; denn auch
das Mädchen von heute ist „durch den
Sport an die tägliche Berührung mit
dem männlichen Geschlechte gewöhnt
worden, robuster und rechtzeitig beob
achten zu lernen", das „junge Weib ist
frühreif und nüchtern" geworden, es wird
nicht mehr von einem verlogen schwär
merischen Hang gefährdet". Auf allen
Gebieten find ja heute „die Grenzen
der Geschlechter verwischt"; die Frau kann
sich auf allen Arbeitsgebieten des Mannes
betätigen, „der Mann hat aufgehört,
lediglich seines Geschlechtes wegen dem
Weib zu imponieren und es zu unter
jochen." Heute hat ein „dem Leben un
endlich stärker zugewendetes Seelen- und
Gefühlsweben das früher so verheerende
Pubertätsfieber besänftigt und erlöst".
Die Zeit ist vorbei, „wo aus Schmerz
verratener Liebe" der Jüngling seinem
Leben ein Ende macht." Die „große
Verderberin, die Kurtisane, ist durch
schaut und wird nur noch von den Reichen
als käuflicher Luxusgegenstand im Vor
übergehen aufgelesen". Selbst die „leicht
fertigen Künstlerinnen find jetzt lediglich
Mitglieder jener Berufszweige geworden,
die weibliche Menschen ergreifen können,
und nur von ihren Kunstleistungen, nicht
von ihren persönlichen Reizen wird es
abhängen", ob sie Erfolg haben. Man
wird mit Recht „von einem Zeitalter der
Frühreife" sprechen dürfen, oder auch
vom „Zeitalter der gefestigten
Menschen zwischen dreißig und
vierzig". Die moderne Jugend hul
digt dem „Idealismus des Fleisches und
der Knochen (Hygiene), der aber der
Seele zugute kommt". Dank dem „un
getrübten Blicke können unsere Zwanzig
jährigen schon dahin gelangen, wo in
früheren Zeiten erst der gefestigte, ge
reifte, mit Wunden und Narben besäte
Mann stand". So Siegfried Trebitsch.
Mit einem Worte: Nach ihm ist die
heutige Jugend früher reif und sittlich
gefestigt, seelisch und körperlich robuster
als früher. Die Frühreife unserer Jugend
wird ihm jeder zugeben; ob die Jugend
aber früher sittlich gefestigt, oder in
Wirklichkeit nur früher sittlich „abge-