Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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9 — - 3m {(Iben Matz du willst empfangen, mußt b« geben; □ 
□ willst du ein ganze» herz, so gib ein ganzes Leben. NLck,rt. 3 
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wie WUHelm Schäfer die Anerkennung der seltenen Vollkommenheit, 
der Klassizität verdient? Neben Hebel nennt man auch gern Ludwig 
Kurbacher, den bayrischen und katholischen Johann Peter Hebel; 
wir stehen nicht an. seine Erzählung von den Streichen der sieben 
Schwaben und der Heimkehr des Spiegelschwaben (der schwäbischen 
Ilias und Gdyffee, wie man scherzhaft bemerkt hat), mit dem trefft 
lichen Heinrich Mohr als einen „Berggipfel und Edelstein volksechter 
deutscher Erzählungskunst" zu werten. Da wir mit Hebel und Aurbacher 
bei echten Kündern deutschen Humors angelangt sind, liegt es nahe, 
nun zu Raabe und Fritz Reuter weiterzugehen und sie als treue 
Hüter und Mehrer echten deutschen Geistes-- und Herzensreichtums 
zu grüßen. Vas kostbare Erbe, das sie uns hinterlasien haben, 
-rann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die sittliche Reinheit, die 
ihre Werke auszeichnet, das gütige herz, das mit den Meinen und 
Schwachen, den verstoßenen und Belächelten schlägt, der gemütstiese 
Humor, der aus christlicher Lebensauffassung herausquillt, es sind 
Werte, um derentwillen diese Werke eine volkserzieherische Mission 
in unserem Lande zu erfüllen haben. 
Mit ganz besonderer Freude und Genugtuung können wir fest- 
stellen, daß es auch unter den Lebenden noch treue Eckarde guter 
deutscher Art gibt, die ihre Sendung mit hohem sittlichen verant- 
wortungrgefühl und klarer Erkenntnis unserer geistigen und seelischen 
Lage auffassen und zu erfüllen suchen. Auf dem Münchener Katho- 
likentage im Sommer 1922 hat Peter Dörfler es für die Gesun 
dung unserer geistigen und sozialen verhältnisie als unerläßlich be» 
zeichnet, daß die „unselige Kluft zwischen Gebildeten und Volk über 
brückt wird ... wer wirklich für sein Volk wirken will," rief er aus, 
„muß sich immer selber einschließen, wenn er vom Volke redet . . . 
wenn eine Rückkehr der Geblldeten aus einer modischen Allerwelts 
geistigkeit stattfindet, dann wird ihre schöpferische Kraft die not 
wendige Wechselbeziehung zum Volke wiederfinden." wie kaum 
ein anderer unter den Lebenden hat Dörfler nach der Verwirklichung 
dieses Ideals gerungen. In welcher gesättigten Fülle blüht in so 
manchem köstlichen werke des Dichters echtes deutsches Volkstum 
auf, und zwar in der besonderen und anziehenden katholischen Prä 
gung, wie sie im Schwabenstamme Gestalt gewann. Allein die Tat 
sache, daß Dörfler uns eine Gestalt schenkte, wie die Mutter in der 
Erzählung „Ihr Fest" („Dämmerstunden"), verpflichtet uns ihm zu 
tiefem Danke. Auf engstem Raume und in der schlichtesten, herz 
lichsten Natürlichkeit hat er hier ein Menschenbild geschaffen, in deffen 
Wesen all das Edle, Zarte und Tiefe eingefangen ist, was jahr 
hundertelange christllche Erziehungs- und Pflegearbeit an edler 
Frucht aus dem guten Kerne deutschen Wesens zu entwickeln ver 
mochte. So dürfen wir Dörfler zu den Menschen rechnen, die uns 
nach einer Forderung Leo Weismantels unentbehrlich sind, wenn 
wir die Not unserer Zeit überwinden, den Fluch unserer geistigen 
Entwurzelung bannen und in den Segen einer höheren Volksgeburt 
verwandeln wollen. Das sollen Menschen sein, die „gewappnet mit 
dem ganzen Rüstzeug der Wissenschaft und Kunst überwiffenschaftliche 
und überkünstlerische Erziehung auszuüben vermögen; die, in festem, 
heimatlichem Boden verwurzelt, nicht nur ein bestimmtes Fachgebiet 
pflegen und darüber hinaus sich noch für dieses und jenes „auch" 
interessieren, sondern die alle Fragen, alle Nöte unseres Volkes als 
ihre eigenen Fragen, ihre eigenen Nöte ansehen. Daß ein Wort 
führer unserer jungen vichtergeneration diese Losung ausgibt, erfüllt 
uns mit Zuversicht und Trost, und wir wollen die Aufgabe, die 
Weismantel als „die Aufgabe, die große, einzige unseres Volkes" 
ansieht, die „der Maffe, ihren Denkern, Lenkern und Dichtern ge 
meinsam ist", bei all unserem Bemühen um die Wiedergeburt unseres 
Volkes niemals aus den Augen verlieren, nämlich diese: „das Bild 
der neuen deutschen Menschen, des volkhasten Menschen, erst zu 
träumen, - dann zu versuchen, es zu verwirklichen, jenes Bild, 
dar alle Züge ausweist, die uns als für unser Leben sittennotwendig 
erscheinen, so daß der unter uns, der diesem Bilde nicht gleichen 
will, der Schande verfällt, jener aber allein vor uns ehren- und 
. 1 Schäfer, Lebensabriß. München. Georg Müller. 
? weirmmitel, Volk schaff und Dichtung. Nürnberg 1923. §. 27. - 
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heldenhaft erscheint, der diesem Bilde in seinem sittlichen Streben 
nach Vollkommenheit nacheifert."* * 
Daß Leo Weismantel oder Reinhard Johannes Sorge oder Franz 
Johannes weinrich oder Hans Roselieb sich in ihrem Schaffen von 
einer religiös erfaßten und bestimmten Idee des Dichters leiten 
lasten, daß uns in den Werken Franz Herwigs ein Heldentyp be 
gegnet. der von sittlicher Grundhaltung des Dichters aus geschaut 
und geformt wurde? braucht kaum besonders erwähnt zu werden. 
Bemerkenswert ist vor allem aber auch die neue Haltung jener 
Dichter der neuen Generation, die sich nicht zum Ehristentum be 
kennen. Der ethische Indifferentismus ist aufgegeben. Ein Gefühl 
der hohen Verantwortung gegenüber der Menschheit, eine heiße Liebe 
zu den Mühseligen und Beladenen ringt in der Dichtung nach Aus- 
druck. Man braucht nur Namen, wie Werfel, Toller, Unruh, zu 
nennen, um genugsam den Wandel in der seelischen Haltung der 
Dichter unserer Zeit, ihre neue Einstellung zu sozialen Tatsachen und 
Fragen anzudeuten? 
So bietet sich uns also ein wesentlich anderes Bild unseres schon- 
geistigen Schrifttums, wenn wir uns außerhalb des Stromes der 
Entwicklung stellen und uns die Frage vorlegen: was bedeutet dieses 
Schaffen für die geistige Erneuerung unseres Volkes, oder, wie Her 
mann Platz in seinem Buche „Geistige Kämpfe im modernen Frank- 
reich" die Frage formuliert: was bedeutet es für die Wiedergewin- 
nung metaphysischer Substanz? Solcher Fragestellung steht aber 
die weitverbreitete Ansicht gegenüber, als sei diese Betrachtungs- 
weise unberechtigt, unsachlich, weil nicht dem Wesen des betrachteten 
Gegenstandes gemäß. In jeglicher Kunst und auch in der Dicht- 
Kunst, sagt man, komme e§ nicht darauf an, was verkündet werde, 
sondern wie etwas ausgedrückt sei; die Vollendung der Form, die 
Kraft des Ausdrucks, die Ligenart der Gestaltung sei das allein 
Ausschlaggebende bei der Wirkung und darum auch bei der Bewer. 
tung einer Dichtung; jede anderweitige Wirkung störe, schädige Yen 
reinen Kunstgenuß, jede Wertung des weltanschaulichen Gehalts stehe 
außerhalb des künstlerischen Verhallens. - wenn dem so wäre, so 
müßten wir dieser Auffaffung die nicht hinwegzudisputierende, im 
Laufe der Geschichte immer wieder offenbar gewordene Tatsache ent 
gegenhalten, daß der weltanschauliche Gehalt vieler Dichtungen je 
nach seiner Art zerstörend oder ausbauend auf das sittliche Denken 
und Tun der Völker eingewirkt hat, und nicht weniger die über. 
Zeugung, daß uns das heil der Seelen hoher stehe als die Reinheit 
künstlerischer Wertungsweise. 
verhält es sich aber wirklich so, daß der Kunstwert eines Werkes 
unabhängig ist von feinem religiös-sittlichen Gehalt? Ist es nicht 
eine merkwürdige Tatsache, „daß alle als bedeutend anerkannten 
Dichtungen auch einen weltanschaulichen Gehalt besitzen, der, wie 
immer der einzelne sich zu ihm stellen mag, dennoch zu ernster 
Stellungnahme zwingt? Sollte das Wort Schillers, im Hinblick aus 
die Wirkung des dichterischen Kunstwerkes ausgesprochen, daß nur 
der große Gegenstand den liefen Grund der Menschheit aufzuregen 
vermöge, auf einer schiefen Auffaffung beruhen? Franz Xaver Kraus 
wies einmal auf den tiefbedeutungsvollen Zusammenhang und Zu- 
sammenklang zwischen jenen erhabenen Dichtungen hin, die von den 
Völkern der Kulturmenschheit als Menschheitsdichtungen anerkannt 
werden. Als die gemeinsame Idee, die im Gdipus auf Kolonos, 
der Göttlichen Komödie, dem parzioal, dem Hamlet und dem Faust 
durchklinge, wies er den Gedanken nach, daß der Mensch durch 
eigene Schuld von Gott, dem höchsten Herrn, abgefallen sei, sich widet 
ihn empört habe, daß er durch diesen Abfall unglücklich, unselig 
geworden sei und nur durch göttliche Vermittlung von Schuld und 
Unseligkeit erlöst werden könne. Kraus sieht darin, daß also irt 
diesen erhabenen werten die tiefsten Grundlehren des Christentums 
i (Ebb. S. 28. ' ' 
» vgl. Binz, Franz Herwig (Nr. I der Monographienreihe „Dichtet 
der Gegenwart*, erschienen im wolfram-verlag, Würzburg) S. 47 ff. 
* vgl. Schneider. Wilhelm, Expressionismus und Schul«. Zeitschrift fßt 
christliche Erziehungswissenschaft. 13. Ihrg. S. 220 ff. Bahr, Hermann, 
Literatur, voffische Senung. Ihrg. 1923. Nr. 608.
	        
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