Nr. 22
57. Jahrgang
Paderborn, 7. Juni *92^
Inhalt: Riesen, lvas ist Berufsgeist? 5. 173. volkmer, Vre neue Denk
schrift üdsr das höhere Schulwesen und die volksfchularbeit S. 173. lveinand,
Zchulprcrktisches zu unserem neuen Lesewirk 5. 174. StrUer, Zur Vorbereitung
der Klopstockfeier S. 175. IRiesgcs, Zur Rlasfenunterbringung erholungs
bedürftiger Schulkinder S. 173. INleinek, Etwas von Film und Filmzensur
5. 179. päd. Rundschau: Denkschrift zum kath. Lescwerk für Volksschulen
5.181. RIeinungsaustausch: Unglaublich aber wahr. Rlethodisches Werk
für die Grundschule. Rus der Zeit: Besoldungstabelle. Geheimrat Keuschen.
'Aufklärung z. d. Vorgängen in der Düsseldorfer Lehrerkammer. Rmilichrs:
vorläufige Rusführungsvorfchriften zur P.-R.-V. Rus unserem verein:
Dur Hauptversammlung. Bezirks, und Zweigvereine. Merktafel.
Der Pfingstfestes wegen erscheint die nächste Nummer
erst am 2\, Juni.
War ist Verussgeift?
von S• Riesen, Kevelaer.
Tin schöner Frühlingstag, hinaus ins Freie! vor mir zwei
spielende Kinder. Die liebe Frühlingssonne warf ihre goldenen
Strahlen durch den Blütenschnee. Lächelnd und erwärmend grüßte
sie die fleißigen Kinderhändchen und spielte mit ihrem Lockenhaar.
Sie ließen sich nicht stören. Sandhäuser bauten sie; neben sich eine
wirre Zahl alter Baukastenklötzchen. Der eine nahm eins nach dem
anderen, versuchend, wegwerfend und wieder mechanisch in der kleinen
Hand drehend. Er Kain zu keinem Resultat. Des anderen Kleinen
Blick aber sprudelte Feuereifer, er ruhte nicht. Ein hausühnliches
Gebilde mußte entstehen. Kein Versuch war zu viel, der kleine
Verstand sann, des Kindes Seele überflügelte ihn — man sah es
an seiner ganzen Arbeitsart. Durch meine Gedanken ging's pfeil-
schnell: Sag an, was ist Berufsgeist? Der kleine werdende Bau»
Meister sprach's so klar und deutlich aus, ohne ein Wort zu reden:
Berufsgeist ist das anhaltende, mühevolle, aber auch beglückende
Streben, etwas Rechtes zu leisten auf dem Platz, auf den man
gestellt ist.
Und die Mutter dieser Kinder? Ein paar Häuser weiter wohnte
sie. Sechs Kinder sind ihrer Sorge allein vertraut. Uber keine
bittere Klage kam über ihre Lippen, vom frühen Morgen bis
zum späten Abend dauerte ihre harte Tagesarbeit. Eine Kette von
Opfern und pflichten war ihr Lebensweg. Ich reichte ihr die Hand.
-wie gchi's denn?" „Es mutz gehen, und es geht alle Tage
wieder mit des Herren Hilfe. Die Kraft der Mutter hält viel aus,
wenn's ihren Kindern gilt." Mit dieser stilltreuen, großen Antwort
zog wiederum eine andere klärend durch die Seele: was ist Berufs-
geist? hier sah man ihn. Er ist die nie versiegende Gpferkraft
eines starken Herzens, eine Gpferkraft, die anderen in treuer Pflicht
erfüllung dient.
Und ein drittes Blid am nämlichen Lenzestag. Großmutter lm
Lehnstuhl. - heimliches Dämmerlicht huschte mit versteckten Strahlen
durchs Fensterglas, von jungem Grün und Blütenpracht umrankt
und ließ die gute Ulte so ehrfürchtig erscheinen. Still lauschte ich
ihrem einfachen biederen Wort, als sie den Umstehenden das „Großes-
tun in schwerer Zeit" erklärte. Und als sie dann, müde geworden
von ihrem schlichten Erzählen, still einnickte, das Enkelkind ihre
weibs Hand streichelte und die junge Welt um sie herum eine weile
ln sich ging und im herzen bekannte: „Sie hat recht, laßt uns ihr
folgen!" — da tauchte ein drittes Mal so laut und vernehmbar
in Grotzmutiers Nähe die Frage auf: was ist Berufsgeist? Stand
nicht die Antwort geschrieben in den Siirnrunzeln der Ruhenden!
Berufsgeist ist der nie alternde Wunsch, an seinem Posten zu wirken
zum Nutzen anderer, zum heil derer, die in den Berufskreis gehören.
3um viertenmal in abendlicher Feierstunde war es an jenem Tag
der leise hauch dieser Frage, der die Seele berührte in der Lektüre:
„Luise hensel und ihre großen Schülerinnen", diesmal: Was ist
Berufsgeist der Lehrerin? Aus jeder Zeile sprach die königliche
Wahrheit deflen, was bereits dreimal erkannt war. Aus jeder Zeile
floß die ganze Tiefe der Antwort in heiliger Kraft: Berufsgeist ist
die ganze freudige Hingabe des eigenen Selbst, ist das verlangen,
die von Gott verliehenen Talente auszuwirken mit unermüdlichem
Eifer in Sinn und verstand, herz und Gemüt unserer lieben deutschen
Volksjugend.
Die neue Denkschrift über das höhere Schulwesen
und die volksschularbeit.
von Prorektor 6. volkmer, Liebenthal Bez. Liegnitz.
Die vor Kurzem erschienene Denkschrift des preuß. Ministeriums
für wiflenschaft, Kunst und Volksbildung, „die Neuordnung der
preußischen höheren Schulwesens" betont bald im Eingänge die
organische Verbindung der höheren Schule mit der Volksschule, die
„einen Ideenzusammenhang, eine innerliche Annäherung an die
Volksschule bedeutet", wenn in dem einleitenden Abschnitte gesagt
wird: „nur in der Arbeit der Schule selbst werden die großen
Reformgedanken geboren, werden kommende Schulreformen vor.
bereitet", so gilt dieser Satz auch von der Volk-schularbeit; ebenso
aber wie bei der Reform des höheren Schulwesens bleibt es bei
der Volksschule gegenüber den Forderungen stürmischer Draufgänger
wahr, daß die fruchtbringende Reform „nur in der geschichtlicher
Kontinuität ihrer bisherigen Entwicklung" erfolgt. Auch die Volks
schule wird sich, so berechtigt das Streben nach Lebensnahe ihres
Unterrichts ist, den verstiegenen und immer erneuten Forderungen
gegenüber, welche die verschiedenen Berufe an sie stellen, ablehnen^
verhalten müssen, denn auch sie soll „Verflachung, Oberflächlich^ ir
und Dilettantismus durch Vertiefung, Beschränkung und Verein
fachung überwinden".
Bezüglich der Unterrichtsform betont auch die Denkschr f:
den Arbeitsunterricht. „Mag bei der Frage des Arbeilrunterrichts
noch vieles ungeklärt sein, so ist doch das eine bereits allgemein
zugestanden, daß damit ein neues Prinzip in die Gesamtarbeit der
Schule eingeführt wird, das ebensosehr die Form des Unterrichts
wie auch die der häuslichen Arbeit beeinflussen muß." Außer-
ordentlich bedeutsam, auch im Hinblick auf die volksbildungsarbeit,
ist folgender Satz der Denkschrift: „Nicht mehr in der Fremdheit
ihrer Bildung gegenüber der Volksbildung wird die höhere Schule
den wert ihrer besonderen Bildungsarbeit sehen dürfen, sondern in
dem organischen Zusammenhange mit der Bildungsarbeit und den
Bildungsstoffen der Volksschule;" denn die Kluft, die zwischen den
sogen. Gebildeten und den sogen, einfachen Leuten aus dem Volke
besteht, ist wirklich bedauernswert, zu ihrer Überbrückung muß
freilich auch die Volksschule noch manches beitragen, und es ist e>-