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Und Portia sah den Propheten.
Vie er gegen die Rede des Todfeinds dastand. Freude
Funkelt ihr Blick, und ihr herz schlug lauter, und hohe Gedanken
Strömten herauf in ihr Haupt. Ihr war, als hübe das neue,
hohe Gefühl sie empor. Dann forscht sie mit feurigem Rüge
Um sich herum, ob sie unter der Menge nicht Edlere fände,
Welche mit ihr den Propheten bewunderten. Rber sie suchte
Gute Seelen umsonst in einem Volke, das reif war,
Bald gerichtet zu werden, zu stehn auf den flammenden Trümmern
Seines Tempels, in welchem nun nicht Jehovah mehr wohnte.
Einen bemerkte sie nur, der fern im untern palaste
Mit dem Haufen am Feuer sich wärmte. Sie schauten ihn wild an,
Und sie stritten mit ihm; er widerlegte sie feurig.
Endlich schien ihm der Mut zu entsinken, und bleich und verwildert
Schaut er um sich herum, dann wieder aus den Propheten.
„Rch, der Mann ist sein Freund", so dachte die Heidin, „er strebet,
Ihn zu retten, und will, daß dieser Pöbel die Wege,
Welche der Weise wandelt, begreife, wie edel er lebte
Und wie menschlich er war und Gutes ohne Geräusch tat.
Rber sie fassen ihn nicht und drohn, ihn auch vor den Pöbel,
Der dort richtet, zu führen. Davor erschrak er und bebte
vor dem Tode zurück, den ihm die Wütenden drohten.
Und ihn sandte vielleicht des Bedrängten Mutter und fleht ihn,
hingesunken in Tränen vor ihm, daß er ging und vom Tode,
Rch, vom Tode befreite der Söhne besten und liebsten!
(D, wie wird sie vor Schmerz, die liebenswürdige Mutter
(Liebenswürdig ist sie, sonst hätte sie ihn nicht geboren,
Diesen Weisen), wie wird sie vor Schmerz und Jammer versinken,
Wenn sie vernimmt, wie der wütende Pharisäer geredt hat!
Rber was ist es in mir, daß zu so zärtlichen Sorgen
Für die Unbekannte mein herz mit Empfindungen aufwallt,
Die ich niemals empfand? Sind es Wünsche, den Edeln geboren,
Ihn der Erde gegeben zu haben? Dein Leben verfließe,
Mutter, zu glückliche Mutter, voll Stolzes auf ihn, dein Rüge
Seh' ihn nicht sterben, obgleich fein Tod die Erde wird lehren!" . . .
portia sah den Göttlichen leiden;
Rannte den bangen Blick nicht mehr ertragen; erhub sich
Ruf den Söller. Mit aufgehobenen, ringenden Händen
Stand sie mit Rügen, die starr zu dem dämmernden Himmel hinaussahn,
Und so zweifelt ihr herz: „(D du, der erste der Götter,
Der die Welt aus Nächten erschuf und dem Menschen ein herz gab,
Wie dein Name auch heißt: Gott, Jupiter, Jehovah! . . .
Du aller Vater und Richter! o darf ich's dir weinen,
Was mir meine Seele zerreißt? Was hat er verbrochen,
Dieser friedsame Mann, daß ihn Unmenschliche töten? . . ."
Rus dem VII, Gesangs:
Unterdes kam die Mutter des liebsten unter den Söhnen
Nach durchwachter einsamer Nacht, mit dem Schauer der Dämmrung
Nach Jerusalem, fand ihn im Tempel nicht, wo sie ihn suchte,
Fand den göttlichen Sohn nicht, versenkt in ängstliches Staunen,
höret sie von den Palästen der Römer herüber ein dumpfes,
Tiefauf-teigendes Getöse. Sie ging dem Getös entgegen,
Ghne daran zu denken, woher cs entstünde? Nun geht sie
Unter dem Volke, das rings durch Jerusalem gegen den Richtstuh!
Drang. Beklommen, allein noch ruhig wegen des Rufruhrs
Ursach', naht sie dem Richtstuhl sich, hier sieht sie Lebbäus,
Doch kaum sah Lebbäus die Mutter, da floh er. „Rch, flieht er?
Warum wendet er sich?" so dachte Maria, vie Vorsicht
Zückt auf sie mit diesem Gedanken das Schwert, das bestimmt war,
Ih: durch die Seele zu gehn. Maria erhub sich und sahe
Jesus. Ihr Engel, als er die Todesbläfle, mit der sie
Bleich ward, als er die starrenden Rügen der Mutter erblickte,
Wandt' er sein Rntlitz. Doch sie, da ihrem Rüge das Dunkel,
Ihrem Ghr die Betäubung entsank, ging vorwärts und bebte
Näher zum Richtstuhl hin und sah noch einmal den Sohn stehn,
5ah die mächtigen Wäger um ihn und den richtenden Römer,
hörte die Stimme des Volks, die rings mit Wüten vom Tode
Widerhallte. Was sollte sie tun? Zu welcher Trbarmung
sollte sie flehn? Sie schaute sich um, da war kein Erbarmer! .. .
. . . Der Strom der kommenden Menge
Trieb sie seitwärts und nahm ihr des Sohnes Rnblick. Sie entriß sich
Jetzt dem Gedränge; sie stand, sie suchte, sie ging, sie fand nicht.
Nicht die Jünger. Zuletzt verhüllte sie sich und weinte
Sprachlos. Rls sie darauf ihr Rüg' aufhebt, da erblickt sie
Sich an dem Seitenpalaste des Römers. „Vielleicht, daß hier Menschen
Wohnen (denkt sie), vielleicht, daß selbst in der Schwelger Palästen
Tine Mutter gebar, der es, Mutterliebe zu fühlen,
Nicht zu klein ist. G wenn es wäre, was viele der Mütter
von dir, portia, sagen, daß du ein menschliches herz hast —
G ihr Engel, die ihr bei der Rrippe seiner Geburt sangt,
Wenn das wäre!" Sie denkt's! Schon eilt sie die Marmorgeländex
Unverhüllter hinauf und geht in den schweigenden Sälen.
Rber nicht lang', so kommt aus einem fernen Gewölbe
In des Palastes Seite, die sich zu dem Richtstuh! hinzog,
Line Römerin her und sieht Maria. Die junge,
Bleiche Römerin blieb, so wie gelöst ihr das haar floß
Und das leichte Gewand die bebenden Glieder herunter,
voll Bewunderung stehn. Denn die Mutter des Unerfchaffnen
Zeigt, wiewohl der Schmerz sie verhüllt, in ihren Gebärden
Line Hoheit, von Engeln . . . selbst bewundert. . . .
Endlich redet die Römerin: „Sag, o sage, wer bist du?
Wer du auch seist, noch nie hab' ich diese Hoheit gesehen,
Viesen göttlichen Schmerz!" Da unterbrach sie Maria:
„Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Gesicht hast,
Ruch in dem herzen empfindest, so komm, o Römerin, führe
Mich zu portia!" Mehr noch erstaunt, antwortet mit leiser,
Sanfter Stimme die Römerin: „Ich bin portia." — „Du bist
portia selbst? Ein geheimes, ein linderndes, stilles verlangen
Wünschte mir portia so, da ich dich sahe. Du bist cs
RIso selber, o Römerin? Zwar du kennest die Schmerzen
Liner Mutter nicht ganz, die zu einem Volke gehöret,
Welches ihr haßt; doch Israelitinnen selber erzählen,
Daß dein herz voll Menschlichkeit sei. Der Mann, dc-n pilatu»
Richtet, er hat kein Übel getan, den Tyrannen verklagen!
Ich bin feine Mutter!" Maria hat es gesprochen.
portia blieb vor ihr stehn und sah sie mit sanftem Erstaunen,
Mit Entzückungen an. Denn über den Rümmer des Mitleids
Siegte der höh're Gedanke. Sie konnte jetzt nur bewundern.
Endlich rief sie: „Er ist dein Sohn? Glückselige, du bist
Dieses Göttlichen Mutter? du bist Maria?" Dann wendet
Sie sich von ihr und richtet gen himmU ihr staunendes Rüge:'
„Sie ist seine Mutter, ihr Götter! Euch mein' ich, ihr höh'ren,
Besseren Götter, die mir in dem Traume voll Ernst sich entdecktem
Jupiter heißt ihr nicht, ihr heißt nicht Phöbus Rpollo.
Rber wie euer Name auch heißt, ihr seid es, ihr sandtet
Mir die Mutter des größten der Menschen, wenn er ein Mensch ist!
Und mich bittet sie? mich? Nein, bitte mich nicht? o führe
Mich vielmehr zu ihm hin, zu deinem erhabenen Sohne,
Daß er der Dunkelheit mich, den Zweifeln entreiße, von fern nur
Ruf mich blicke und mir die Lehre der Gottheit entfalte!"
portia hatte zuletzt sich gewandt. Mit Rügen voll Liebe
Suchte Maria der Römerin Rüge, sie fand es und sagte:
„wie ist deine Seele bewegt! Ja, portia liebt mich!
portia! o, ich war es auch, war der glücklichen Mütter
Glücklichste. So hat keine der Mütter geliebt, wie ich liebe!
Rber bei deinem herzen voll Mitleids, o Römerin, rufe
Deine Götter nicht an! hilf selbst, sie können nicht helfen!
Und auch du vermagst nicht zu Helsen, wenn Gottes Ratschluß,
Daß er sterbe, beschloß! Rllein es würde Pilatus,
wenn des Unschuldigen Blut nicht seine Seele besteckte,
Freudiger vor dem Gericht des Gottes der Götter erscheinen."
portia schaut auf sie hin und fing an leise zu reden:
„G, was sag' ich zuerst? was zuletzt? wie voll ist mein herz mir!
Erst sei dieses dein Trost, ist es anders Trost dir: Ich will dir
Helsen, du Teure! Dann wisse, die Götter, welche du meintest,
Fleht' ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich jetzt aufsteh'.
Lehrte mich beflere Götter: zu denen hab' ich gebetet.
Sieh, ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geschwebt hat,
Rch, ein schreckender, himmlischer Traum! Ich würde dir helfen,
Wärst du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich sah^