Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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Erster ostpreuhischer Zürsorgeerzlehungstag. 
6m 20. und 2l. Mai tagte im Sitzungssaals des Landeshauses zu 
Königsberg der verband evangelischer Lrziehungs- und Waisenhäuser ge 
meinsam mit den Vertretungen der dem Karitasverbande angeschlossenen 
Lrziehungshäuser. 
ctus dem reichen Inqalt der Tagung heben wir folgende Gegenstände 
hervor: Anstaltserziehung als Lebensgemeinschaft; das ästhetische Moment 
in der Anstaltserziehung: Grundlagen der Kriminalität der Jugendlichen; 
Wesen, Erkennung und Behandlung psychopathischer Veranlagungen; Ent. 
Wicklung des Jugendgerichts: Lohn und Strafe als Erzirhungsmütel in 
Häusern für weibliche und männliche Zöglinge usw. 
von den beiden einstimmig angenommenen Resolutionen dürfte fol 
gende weiteste Aufmersamkeit beanspruchen: „Du Verhandlungen des ersten 
ostpreußischen Fürsorgeerzcehungstages haben aufs neue dargetan, wie not- 
wendig eine entsprechende Ausbildung der in der Fürsorgeerziehung als 
Erzieher und Erzieherin Tätigen ist. Der erste ostpreußfiche Fürsorgc- 
erziehungstag richtet daher an die Leitung der Brüder- und Schwestern 
häuser die Bitte, gerade diesem Punkt bei der Ausbildung der Betreffenden 
ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Zur Vertiefung und Weiter 
bildung der bereits in der Arbeit Stehenden erscheint die Veranstaltung 
geeigneter Kurse wünschenswert. Der erste ostprenßische Fürsorgeerziehungs- 
tag beauftragt daher seinen Vorstand, wegen Abhaltung solcher Kurse das 
Erforderliche zu veranlassen." 
Diese Entschließung wird sofort verständlich, wenn man den Ministerial- 
erlaß vom 10. Februar 1923 in Betracht zieht. Nicht nur wird hier das 
Züchrigungsrecht wesentlich eingeschränkt, es wird auch die Parole aus 
gegeben: „Alle Beamten müssen sich stets gewärtig halten, daß Lrziehungs- 
erfolge nicht durch schematische Ltrasen, sondern nur durch die umfassendste 
Individualisierung in der Behandlung der Zöglinge, die gefehlt haben, 
erzielt werden können, und daß der verfolgte Zweck stets mit den mildesten 
Mitteln zu erstreben ist." Jeder, der geneigt ist, in der beklagenswerten 
Verwilderung und Verwahrlosung unserer Tage eher eine Krankheits- 
als eine Kriminalerscheinung zu sehen, wird diese Worte unterschreiben. 
Dann aber leuchtet rin, daß unser Erziehungspersonal eine viel tiefere 
Ausbildung erhalten muß. Soll es den Forderungen der Zeit gerecht 
werden, so muß es ebenso pädagogisch wie p-ychologisch geschult sein Für 
Häuser, die mit sogenannten Magdolenen belegt sind, käme als weiteres 
Erfordernis pjychopathiiches Verständnis, alio eine gewisse Kenntnis der 
he'.lpädagogtk hinzu. Das alles läßt stch nur durch fachmännisch ge- 
leitete Kurse erreichen. Dabei wollen wir aber nicht übersehen, daß diese 
Kurse auch nur ein Notbehelf sind. Der Lehrer, der die Kinder im ent 
legensten Riesengebirgsdorf unterrichtet, muß einen sechsjährigen Lehrgang 
auf der Pröparandie und dem Seminar durchgemacht haben, und in den 
Erziehungshäusern für schulentlassene Zöglinge soll doch ein Fortbildungs- 
Unterricht erteilt werden. Deswegen ist es eine Forderung der Zeit, daß 
die betreffenden hausoberinnen das Lehrerinnencxamen besitzen. 
Aus Baden. 
Die vielumstrittenen Fragen der Arbeitsschule waren das Thema einer 
Vortragsreihe, die Herr Schulrat F. Weigl, Amderg, am 25. 5. 24 im 
großrn Rathaussaal zu Karlsruhe den Mitgliedern des Vereins kath. bad. 
Lehrerinnen darbot. Unter den geladenen Gästen waren auch mehrere 
Mitglieder der Behörden. 
Der vortragende entwickelte zuerst die psychischen Grundlagen der 
Arbeitsschule, die Geschichte und Auffassung des Gedankens. Wenn je eine 
Sache grundverschieden aufgefaßt wurde, war es die Arbeitsschule. Der 
Streit um ihr Wesen entspann sich stets auf weltanschaulicher Grundlage. 
Die eine Seite warf der Arbeitsschule materielle Elnstelluno, einseitige 
Sinnesentsaltung vor, die andere, sozialistische Richtung wollte in der 
Arbeitsschule durch die gemeinsame handwerkliche Tätigkeit frühzeitig die 
Klassenunterschiede überbrückt wissen. Die einen verkannten damit die 
Ausgabe der Arbeitsschule, die Sozialisten aber überschätzten den praktischen 
Erfolg für ihre Ziele. Einem anderen Motiv entsprang oie frühe Münchner 
Arbeitsschule — mit dem Namen Kerschensteiner verknüpft —, diese war 
aus der Anregung, die Gewerbetätigkeit zu fördern, also aus einer Nütz 
lichkeilsmoral entstanden. 
Wohl ist Handfertigkeit, Entwicklung des Formensinns das erste Wesenr- 
merbmal der Arbeitsschule, aber das zweite ebenso wichtige ist geistige 
Selbsträtigkeit auf den psychischen Grundlagen: Erkennen, Werten, Wollen. 
Dies zweite wird den Lehrer bewahren vor der Weise der alten Lernschule, 
die Vorstellungen durch Beschreiben erzeugen wollte. (Ohne körperliche 
Erfahrung gbt e; keine Vorstellung. Die Grenzen, die auch hier wahr 
zunehmen sind, kennzeichnet Wtllmanns Wort: Nichts sagen, was der 
Schüler sich selbst sagen, nichts geben, was er selbst finden kann. 
Das drille Wesensmerkmal der Arbeitsschule ist Erziehung zum siitlichen 
Charakter, eine Wlllenserziehung. die sich vom wort freimacht und die 
Tat werden läßt. 
Im zweiten Vortrag zeigte der Redner an Beispielen die Tätigkeit der 
Arbertslchule auf der Unterstufe und illustrierte sie durch Schülerarbeiten. 
i.- * 5 °. nn TOön vieles legen. Lunte Stäbchen find netter als bloß 
geköpfte Zündhölzer, denen man dies aber nicht mehr ansieht, wenn sie 
fardlg gemacht sind. Besonders anregend für Farben- und Formensinn ist 
das Ausschnelden; einige Arbeiten zeigten die Monate und was zu ihnen 
gehört, also zum 1. Januar Schneemann, Schlitten, und einen Kalenüerzettel 
tmt einem fetten roten Einser. Der nächste Umkreis des Kindes bietet 
Stoff in Fülle, der Beobachtungsunterricht soll ihn dem Kinde lebendig 
Das Modellieren ist dabei von so großem Wert, daß es in jeder 
Klasse durchgeführt werden müßte, aber nicht mit Ton, sondern mit Plastilin. 
Der dritte Vortrag beschäftigte sich mit der Anwendung der Arbeits 
schule auf die religiös-sittliche Erziehung im allgemeinen, hier gilt be 
sonders des Prinzip der geistigen Selbsttäligkeit. Nicht Wortbelehrung, 
sondern Taterfiehung heißt die Losung. Vas beste Erziehungsmiltel ist das 
Beispiel, darum soll auch das Vorbild heiliger Kinder, nicht nur hl. Er 
wachsener den Kindern gezeigt werden, und ihre Selbstzucht nicht in all 
gemeinen Gefühlen, sondern rn bestimmten einzelnen Vorsätzen für das 
tägliche Leben der Kinder bestehen. 
Den mehrstündigen Darbietungen des Herrn Schulrat Weigl hatten alle 
Zuhörenden mit großer Aufmerksamkeit gefolgt; Interesse, Verständnis und 
Freude an den lebenswahren Darbietungen erfüllte alle. Aus der Fülle 
reichlicher Erfahrungen, gütigen Verstehens und eines umfassenden Wissens 
halte der Redner gesprochen und alle Fragen im großen Zusammenhange, 
aller Erziehungsarbeit, die aus der irdischen Begrenzlheit in die Ewigkeit 
werft, behandelt. Ein herzlicher Dank sei Herrn Schulrat Weigl gesagt. 
A. Renner. 
Aus unserem Verein. 
Mittelschulausschuh. 
Es ist beschlossen worden, daß eine Denkschrift ausgearbeitet wird, die 
unsere Forderungen und Wünsche für die Neugestaltung der Mädchen- 
mittelschule im allgemeinen und für die neuen Lehrpläne im besonderen 
darlegen soll. Diese Denkschrift soll dem Ministerium für K. v. W. und 
den einzelnen Regierungen überreicht werden. Es wird dringend um Ein 
reichung der Wünsche usw. bis spätestens 10. Juli gebeten. 
Kath. Krutwig, I. vors, des Ausschusses, Köln-Sülz, Konradstr. 21. 
Gautag in Stolberg, Uhld., am 25. Mai 1924. 
Die Veranstaltung des diesjährigen Gautages des Reg.-Bezirks Aachen 
hatte der junge Lezirksverein Stolberg in Händen. 
Unter dem Vorsitze der Landesverlreterin Frl. Andre, Düren, tagten 
schon am Samstagnachmittag die Bezirksvereinsvorsitzenden, die Schul- 
deputations- und Lehrerratsmitglieder. Die Abendberatung zeigte, daß in 
allen Bezirken mit Fleiß und Begeisterung gearbeitet wird. — Der Gautag 
selbst wurde im rechten Sinne eingeleitet durch ein feierliches Pontifikalamt, 
das Herr Weihbischof Dr. StrSter, Aachen, zelebrierte. Die öffentliche Haupt 
versammlung im Rolands:;ause trug als Motto: Das Kind. Die Liebe zum 
Kinde, die Sorge um sein Wohl und die Hoffnung auf die schlummernden 
Kräfte in seiner Seele klangen aus Lied, Gedicht und Vortrag. Ein Chor 
von klaren, Hellen Kinderstimmen, dirigiert von Frl. Ackermann, Stolberg, 
bot uns ein Lied von Maria Weinand, und Frl. Göbbels, Stolberg, 
deklamierte tiefergreifend ein Gedicht derselben Dichterin „Vas Kind". 
Nach herzlicher Begrüßung aller durch Frl. Breuer, Arsch, und einer Reihe 
von Ansprachen sprach Frl. Stoffels, M. d. L., über das Thema: „Unser 
Dienst an der deutschen Jugend". Mit Worten, die aus warmempfindendem 
Herzen kamen, suchte sie auch in den Herzen der Kolleginnen den heiligen 
willen zum dienenden, opferfreudigen, mütterlichen Sorgen um das leibliche 
und geistige Wohl der ihnen anvertrauten Kinder aufs neue zu beleben. 
Ihr dringender Appell hat hoffentlich vielfaches Echo geweckt. — Zum 
Schluffe sprach Herr Weihbischof Dr. Ströter echte Priesterworte über Begriff, 
Ziel und Art der reckten Erziehung und erteilte der Versammlung den 
bischöflichen Legen. — Nach Erfrischung und Erholung an festlich geschmückter 
Tafel begann um 3 Uhr die Arbeit von neuem. Die Diskussion des vor- - 
träges ergab folgendes: Damit die Lehrerin mit ganzer Hingabe sich ihrem 
Berufe widmen kann, müssen wir an der Forderung der unverheirateten 
Lehrerin festhalten. — Entsendungen von Schulkindern zur Erholung in 
eine andere Gegend sollen unter Betreuung einer Lehrerin erfolgen, die 
die Kinder kennt und ihren erziehlichen Einfluß geltend machen kann. 
Katholische Kinder in katholische Gegend! — Die Lehrerin sei selbst die 
„Schulpfb-gerin" ihrer Kinder. — Die Schule sei nicht nur Arbeits-, sondern 
auch Lebensgemeinschaft. — Mit der Schulentlassung darf unsere Sorge für 
die Jugend nicht abgeschlossen sein. — Ihrer Kinder wegen darf die Lehrerin 
vor der Arbeit in der Gffentlichkeit nicht zurückschrecken. — Besprechungen 
über den Abbau sühnen zu dem Antrag: Der Gautag Stolberg, RHId., 
bittet die Hauptgeschäftsstelle des Verein k. d. Lehrerinnen, bei der Regierung 
dahin zu wirken, daß Maßnahmen gefunden werden, die Vergünstigungen 
für das freiwillige Ausscheiden älterer Kolleginnen aus dem Schuldienste 
auch für das besetzte Gebiet zu ermöglichen, um auf diese Weise den Jung 
lehrerinnen Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen. 
Z-n einem gemütlichen Beisammensein fand die Tagung ihren Abschluß. 
2. 
Gautüg in Bochum. 
Der Vezirksverein Bochum ladet alle vereinrschwestern des Industrie 
gebietes von Duisburg bis Hamm zu einem Gautag am 13. Juli in den 
schönen Räumen des Stadtpark;, der grüßten Parkanlage der Provinz 
Westfalen ein, die Vorstände zu einer Sitzung am 12. Juli ebenfalls im 
Parkhaus. Die Tagesordnung wird noch in der Wochenschrift bekannt» 
gegeben. 
Htfsen-Uaflau. 
Bei genügender Beteiligung soll ein Fortbildungskurs für Lehrerinnen 
auf der Dberftufe an einem noch zu bestimmenden tvtte in der Provinz 
Hessen-Nassau im Lause des Sommers abgehalten werden. Interessierte 
wollen sich spätestens bis zum 10. Juli bei der unterzeichneten Landes» 
Vertreterin melden. Im wesentlichen soll dar Programm des pyrmonter 
Kurs zugrunde gelegt werden (Wochenschrift Nr. 10). Besondere Wünsche 
für das Programm und den Termin der Tagung {28. Juli bis 2. August 
oder Anfang Dktober) find der Meldung beizufügen. 
Di« Landesvertreterin E. Raihmann, Zrankftrrt a. M., Lersnerstr. 39.
	        
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