NM 24
Mit monatlicher Seikage „Die Junge Lehrerin".
57. Jahrgang
Paderborn, X9* Juli H92-*
Inhalt: Sd)ulTnei|(cr, Bei Fritz Reuter S. 229. Rengier, Probleme der
Jugenüdervegung 5. 231. U'.iertähner, Aus Württemberg 5. 236. Not-
gemeinschaft 'S. 237. Heitemcijer, Nachde KUches zur paderborner Tagung
für unsere Landlehrerinnen 5. 237. Amtliches: Lehrmittel in den Volks-
jchulen. Lehrpläne in den Frauenschulen, volksschuilebrer an Fach- und
Berufsschulen. 6us unserem verein: Rn alle Mitglieder. Muttertag.
Karitaskasse. Bericht über den badischen Gautag am 29. Juni. Hessen.
Nassau. Bezirks- und Zweigvereine. Merktafel. Stellenver»
vrittlung. Bücherbesprechungen.
5chu!meister bei Zritz Reuter.
Zu Fritz Reuters 50. Todestage.
Als Fritz Reuters Lebensschiff mit Hoffnungen und wünschen voll
xeladen war, aber Keine von den guten Aussichten in Erfüllung ging,
da sagte er zu sich selbst: „Din Rahn geiht tau deip, du hest em
«iwerladen. . . ! Rut mit den Ballast!" Und er warf alle schönen
Zukunftsbilder über Bord, den Advokaten und Verwaltungsbeamten
wie den Künstler und auch den Pächter und den Inspektor, aber
„nu Kamm de Letzt, en oll lütt tausamschräutes Männeken: „Na
Brauder, wat büst du für ein?" — „„Nemen 5' nich äwel, seggt
hei, ick bün en Schaulmeister, heww nägentig valer Gehalt und fri
Wohnung in de Schoulstuw, schriw all unsern Herrn Pastor sine
Schriwwten un heww darför noch fri Tüftenland? Mi geiht't
grad' so as Set: ick heww ok mal studiert,- Sei stimmen nich mit
de Welt äwerein, un ick nich mit den Gberkirchenrath. Mi känen
S' ümmer leben laten."" — „Ja, segg ick, olle Burtz. Dine
Hoffnungen un Wünsch warben minen Rahn grad nicht tau sihr
belasten; äwer wenn wi an't Land kamen, dann borg mi dinen
Rock." — „„hei i§ flickt."" seggt hei. — „Schad't em nich." —
„hei 's Sei tau eng," seggt hei. — „Schad't em ok nich, ick möt
mi in em inrichten."
Un as wir an't Land kamen, treckte ick den Schaulmeister sinen
Rock an, un was hei ok eng, so holl hei mi doch Wind un Weder
von 'n Liw, un wenn ick ok Johre lang de Stun'n tau twei
Groschen gewen müßt, heww ick mi in een doch gauü naug gefallen;
un hadd ick for den Herrn Pastor ok kein Schriweri tau besorgen,
denn schrew ick des Abends, Lauschen un Rimels', un dat würd
min Tüftenland, un uns' Herrgott heit doräwer jo sine Sünn
schinen laten un Dau un Regen nicht wehrt — un de dümmsten
Lud bugen de meisten Güsten."
So ward Fritz Reuter selbst ein Schulmeister, und in seinen
Werken hat er uns zünftige und nichtzünstige oezeichnet, die zünftigen
N'.cht gerade häufig, aber in markanten Typen, mit gutmütigem
Spott, manchmal auch recht derb in ihren Schwächen dargestellt,
aber alles überkleidet von seinem goldenen Humor.
Seinen eigenen Lehrern setzte Fritz Reuter in „Meiae Vaterstadt
Stavenhagen" ein Denkmal. Der beste von ihnen war ein nicht
zünftiger , der Unkel Hers'. Wie lebendig und anschaulich läßt er
den Rindern die Vergangenheit der Heimat erstehen, wenn seine
Erklärungen dem Historiker auch nichts weniger als zweifelhaft sind.
Fritz Reuter hatte seinen Vater gefragt, ob das Schloß wirklich eine
Ritterburg gewesen sei. „Mein Vater sagte mir dann, es sei dies
Möglich, ja wahrscheinlich. .Möglich' und .wahrscheinlich' sind
1 KtxiloffeUanb.
aber Wörter, die in der Seele des Rindes keinen Widerhall finden,
das Rind will Gewißheit; das Konkrete ist die nährende Speise
seines Ge'stes, das Ungewiffe, Mögliche, Wahrscheinliche ist für das.
selbe nicht assimilierbar; es verdauet alles, auch das märchenhaft
Unwahrscheinliche, wenn es ihm nur in der Gestalt einer bestimmten
Realität geboten wird. — Bei solchen Verdauungsbeschwerden wandte
ich mich dann an meinen alten, guten Gnkel herse: „Unkel, sünd
hier wü klich Ridders west?" Ritter kannte ich schon, ich chatte
deren auf den schönen Bilderbogen des Kaufmanns Grischow gesehen.
— „Dumme Jung',"" sagte mein Gnkel herse, „„kannst dat nich
seihn? Süh, dat 's de Wall, de geiht rings herüm, un dor, wo
Staathöller Möller nu dat heugras meiht, dat 's de Graben, un
hir, wo wi nu ftahn, up den ollen Amtshauptmann sinen MeßhofJ
dor was de Togbrügg, un dor bi'n Schwinkaben,* dor was dat
Fallgatter, tiorss up Französch, wo ik minen Namen von heww,
un dor aewer de Mur, do keken de Borgfrölens un Rlddermamsells
^raewer un winkten mit de Snuwdäuker, wenn de Herrn Ridders
vp Row utgungen, un hir, wo wi nu stahn, dor reden s' rut, de
haufisen' ümmer verkihrt unner de Mähren. Un wo nu Mamsell
westphalen ehr Appel hett, dor was 't Borgverließ, un dor wiren
poggen un Gualduxen* un allerlei vüwelstüg, wat 't nu gor nich
mihr giwwt"".
Gnkel herse verstand es sogar, die orthographische Stunde zur
liebsten zu machen, denn er „warf in den bitteren Kaffee der
Orthographie so viel Zucker, daß er auch dem nicht daran ge-
wohnten Rindergaumen höchst lieblich schmecken mußte. Er diktierte
nicht ein häckiel von kurzen Sätzen, sondern uns zu Gefallen ward
er in den orthographischen Lehrstunden ein Dichter, erfand einen
vollständigen Roman mit allen möglichen Ingredienzen, mit Ausnahme
der Liebe, die er wahrscheinlich unseres kindlichen Alters wegen
ausließ."
Und welch ein Mensch war dieser Gnkel Hers' überhaupt! „Die
Zutraulichkeit von Hunden und Rindern soll das beste Thermometer
für die Wärme des Gemütes einer Person abgeben, und wenn in
diesem Spruche Wahrheit liegt, so war mein Gnkel herse der gemüt-
vollste Mensch von der Welt. Was an den Nankinghosen von Rollo
und Tippo verschont wurde, schmierten wir Rinder mit unsern Butter»
bröten ein, wenn wir seiner „Weisheit Knie" umfaßen, denn er
war unier voluminöses Ronversalionslexikon, welches wir beliebig
aufschlugen, und worin wir blätterten, wenn es uns einfiel. Gnkel
herse wußte alles, konnte alles; tausend kleine praktische Handgriffe
sahen wir seinen hübschen, fetten Händen ab, und immer heiter und
unverdrossen lehrte er uns bald ein Gewehr laden und es abschießen,
bald Klammern schneiden und Stöcke beizen, bald Blumen und
Bäume pflanzen, Weinstöcke beschneiden und bald Mäuse und Ratten
fangen. Lr lehrte uns die schönsten Kinderspiele, machte uns die
ersten Drachen und malte wunderschöne, abscheuliche Gesichter darauf,
ließ sie selbst steigen und freute sich ebenso, wie wir, wenn seine
Medusengesichter auf die Stadt hinabblickten und die alten Weiber
derselben mit Bewunderung und Schrecken erfüllten. Er führte uns
in die Felder und wußte für jedes Unkraut einen hübschen lateinischen
Namen, er führte uns in den Wald, wußte für jeden Waldgesang
Schroeinestall.
1 Misthaufen.
Hufeisen. * Kröten.