Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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den richtigen Vogel heraus zu finden und legte den Tönen einen 
menschlichen Text unter, „hurt ji woll, Jungs," sagte er, wenn 
er uns auf den Schnepfenzug mitnahm, und der Krammetsvogel 
bei'm Sonnenuntergang lustig in den Asten der Bäume umhersprang 
und sein abgebrochenes Liedlein in den dunstigen herbstabend hernieder 
sang, „sei raupen mi ordentlich. - hürt ji woll: Ratsherr Hers' 
— Kumm hir her! — Kumm hir her! — Scheit mi dod! — Ik 
bün hir — wo 's Grischow? — Vo 's Grischow? Scheit mi dod!" 
— Aber er tat es nicht, mein guter Gnkel herse; alles Blut, was 
er vergossen hat, mit Ausnahme von Sperlingsblut, wenn diese 
zudringlichen Gäste ihm die Kirschbäume verheerten, will ich zur 
Sühne dafür auf meine Seele nehmen, daß ich in den Schilderungen 
von ihm seine Komische Seite herausgekehrt habe. 
Aber Gnkel Hers' fand nicht überall die gebührende Anerkennung, 
wie der alte Friedrich, der Kutscher und Knecht, sich bei Reuters 
Vater beschwerte: „Un nemen 5' nich aewel, Herr Burmeister, de 
Herr Ratsherr Hers' set't de Gören blot Rupen^ in den Kopp. — 
August hett sik gistern de nigen Büxen mit viktriolöl insmert, wil 
dat de Herr Ratsherr em dat Stock-Beizen dormit lihrt hett, Ernsten 
hett hei dat Klammer-Sniden^ bibröcht, un de sitt nu den ganzen 
Dag in't hauschuer un snitt Klammern un hett mi Minen Fritt- 
bohrer wegkröcht, un des' lett mi hir smarten vag' ^ roken. Ricks 
as Schelmenstücken Uhren s' bi den Herrn Ratsherrn!" 
Schulen gab es zu Reuters Zeit hauptsächlich zweierlei Art, 
de Kösterschaul, de Rektorschaul, daneben aber noch manche Abart, 
wie z. B. in Stavenhagen auch „de Becker-Schaul" bestand, genannt 
nach der alleinigen „Direktrice und Lehrerin", der Mutter Beckersch. 
in der „die Anfangsgründe aller Wissenschaft, ausdauerndes Litzen 
und verständiges Maulhalten" geübt wurde. Ihre Btrkenrute band 
sie an ein Stück Bohnenstange, damit sie beim Strafen es bequemer 
hatte, denn so konnte sie von ihrem Platze jeden einzelnen als 
rächende Nemesis erreichen. Offenbare Böjewichter aber mußten 
mit einem gemalten Esel um den hals vor der Tür stehen. Und 
der Erfolg dieser Erziehung zum Ehrgefühl? Venn ein solcher 
Eselträger öffentlich ausgestellt war, versammelte sich die übrige 
Jugend aus der Straße um ihn und baten ihn: „Korl, ik gew di 
ok en Stück von minen Appel, lat mi ok mal eins den Esel üm- 
hängen." — „„Krischaening, nu mi mol! — Deihst 't nich? — 
Ra täuw, ik nem di ok nich wedder mit nah min Großmudding 
ehren Goren."" - Ja, mein bester Freund, Karl Nahmacher, kam 
schon nach der zweiten Stunde, in der er sich hartnäckig gegen die 
Sitzverordnungen gesträubt hatte, jubelnd nach Hause zurück: „Mud 
ding, ik heww den Esel üm hatt! vadding, ik heww mit den 
Esel up de Strat stahn!" 
Der Stock ist das Hauptkennzeichen des „Kösters", von dem 
in Stavenhagen erzählt Reuter „er prügelte" die Schüler in die 
Fibel hinein und hinaus und dann wieder in Lutheri Katechismus 
hinein, worin sie dann zeitlebens Jecken blieben", und es ist nicht 
nur Scherz, wenn er in der „Reis' nach Konstantinopel" von dem 
Küster erzählt, daß er nur Sonntags Zeit habe, denn „Varkeldags 
mot hei de Kinner slagen". Der unwissende, aber auf sein wissen 
dennoch sehr stolze und sich sehr „gebildet" ausdrückende „Köster" 
ist oft die Zielscheibe des Spottes bei Reuter, z. B. in der „Reis' 
nah Belligen" und vor allem Herr Nemlich in „De Reis' nach 
Konstantinopel". Herr Nemlich hat nämlich zwei Bücher über die 
Balkanhalbinsel „studiert" und wird als Führer und Erklärer von 
der Familie Groterjahn auf eine Reise nach Konstantinopel mit 
genommen, und wie ihr Schiff an Menthone vorbeifährt, kommt 
die Rede auch auf andere Schulmeister: „Sagen Sie mich mal, frug 
der Prinzipal, was ist das mit diesem Ding da?" — Herr Nemlich 
säd: „Menthone, eine kleine, unbedeutende Festung, die kein Vaffer 
hat, berühmt als Geburtsstadt des Pythagoras." — ,,„py . . .? 
Py . . .? wie heißt der Kerl? und was war's mit diesem Kerl?"" 
— Und als er etwas von Pythagoras hörte, dann konnte der 
Herr Groterjahn nicht an sich halten: „Na hören Sie, es ist doch 
markwürdig, sehr markwürdig, daß die Schulmeister in alter Zeit 
justement solche Grappen^ gehabt haben als unsere auch. . . Vas 
machen die verfluchten Kerls so'n Rittergutsbesitzer für Arger! - 
1 Raupen, 2 Klammerschneiden. 
8 Bilsenkraut (nach der Erzählung Vnkel herses sollte man dadurch 
unsichtbar werden). 
4 Schrullen. 
Sic wollen sogar klüger sein als ihr Herr." Es gibt Leute, die 
behaupten, daß weder diese Art von Schulmeistern noch die gleiche 
Art der Gutsbesitzer ausgestorben wären bis auf den heutigen Tag. 
Aber de Rekter-Schaul. „Ich wollte, ich könnte das stolze, be 
friedigte Gesicht meines Freundes, Karl Nahmacher, hier hinzeichnen, 
als er, fibelreif aus der „Becker-Schaul" entlassen, mir die Anzeige 
machte: „Fritz, ik kam nu in de .Rekter-Schaul'." - „„G, woll man 
bi de Fru Rektern?"" — „Frau Rektorin war eigentlich nur eine 
bloße Rivalin von Mutter Beckersch, nur daß sie vom Publikum 
mehr als im Staatsdienste angestellt angesehen wurde. Die von ihr 
eingeführte Geistesgymnastik begann ebenfalls mit den unvermeid 
lichen Übungen des Slillsitzens und Maulhaltens, und der darauf 
folgende Bildungsgang des a —b, ab, b —a, ba würde denselben 
verlauf gehabt haben, hätte der Beckersche tenor 1 nicht gefehlt. 
Mutter Beckersch gab sich ihrem Berufe ganz hin, Frau Rektorin 
konnte das nichts sie war Mutter verschiedener unerzogener Kinder 
und Hausfrau, und der Herr Rektor war - nun, wir wollen uns 
milde ausdrücken - sehr bedenklich im Punkte des Mittagessens. 
So mußte denn also die Frau Rektorin ab und an nach der Suppe 
und dem Braten sehn, und es traten dann kleine Ferien ein, in 
denen vollständiger Comment suspendu herrschte. Allzu lebhaft 
durfte dieser freilich nicht ausgenutzt werden, denn plötzlich sprang 
zuweilen die Tür zur Küche auf, und die Frau Rektorin, rot von 
Feuer und Arger, erschien auf der Schwelle und ließ den Kochlöffel 
brühwarm auf die Häupter ihrer kleinen Rebellen fallen.' Bisweilen 
wurde auch der Schullisch zum gewöhnlichen Anrichtetisch erniedrigt, 
es wurden darauf Pfannkuchen angerührt, Fische zurechtgemacht 
und Gemüse geputzt; oder aber es wurden auch aus des Herrn 
Rektors Klaffe einige der größeren Mädchen zum Kartoffelschälen 
in die Küche kommandiert und die größeren Jungen um Pfeffer 
und Salz zum Kaufmann und um Petersilie in den Garten geschickt. 
Man mag diese nützliche Verwendung der lernenden Schulkräfte 
für leve ac non satis digmim 1 2 erklären; ich kann mich diesem 
Urteile jedoch nicht unbedingt anschließen. Für die Jungen, die 
unter dem Vorwände, Petersilie zu holen, Apfel mauseten und sich 
den Magen mit unreifen Stachelbeeren verdarben, mag das gelten; 
auf die Mädchen paßt es nicht, denn mehrere meiner Freundinnen 
aus jener Zeit, die jetzt brave, wirtschaftstüchtige Hausfrauen sind, 
haben mich ernstlich versichert, sie hätten mehr in der Frau Rektorin 
Küche, als in des Herrn Rektors Schulstube gelernt." 
Der „Rekter" ist immer ein gelehrter Mann, dem sein Vissen 
zum Leben wird, was aber nicht immer die gewünschte Vürdigung 
bei anderen findet. Auch der „Rekter Baldrian" in der „Strom» 
tid" ist ein solcher. Mit seinem Schwager, dem Kaufmann Kurz, 
wanderte er, der langbeinige, über Land wie ein Daktylus, nämlich 
lang, kurz. Kurz; lang, kurz, kurz. Und wie Kurz so lange Schritte 
als möglich machte, kommen sie im Spondäus an, empfangen mit 
dem heimlichen Seufzer: „Leiwer Gott, nu bringt Kurz den Rekter 
ok noch mit." Aber der Herr in allen Situationen, Gnkel Bräsig, 
tröstet: „Der soll uns heut nich viel inkommandieren, ich werd ihn 
ümmer das Wort absneiden." Aber auch er fängt an zu bangen: 
„Nu sehn Sie den Gllen mal an — Gott behüt uns in Gnaden! 
— er preponiert sich jetzt ne Red auswendig, un lang wird sie, 
denn alles is bei ihm lang, aber am längsten sünd seine Seremonien." 
Ja, „so 'ne olle Schaulmeisters, wenn sei mit nicks wider 3 tau 
dauhn hewwen, as mit ehre Schauljungs, dann wennen^ sei sich 
nicks as Undäg an und glöwen tauletzt, dat anner Lüd ebenso för 
ehr parat sin möten, as ehr Schaulkinner". 
Dir liebenswürdigste Schulmeistergestalt bei Reuter ist Apinus in 
„Dörchläuchting", „en Mann in Ihren un würden, Konrekter un 
Kanter tau glike Tid". „hei was en gauden Mann un hadd ok 
sin Ding düchtig liehrt, 5 denn hei was so tämlich^ de irste Schaul» 
Meister an de hoge' Schaul tau Nigen-Bramborg, 8 de mit de ollen 
Griechen un Römer gaud Bescheid wüßte, un darüm Hillen 9 ock 
sin Schäulers wat von em." Er war kein solcher, der „in seinen 
Prezepterstolz noch ümmer Schaulhus un Tuchthus 10 un Schaul» 
tucht und Tuchtstraf verwesselte", und so hält er denn auch kein 
großes Strafgericht, wie er seine Klaffe bei einer allgemeinen prü» 
gelei trifft, obgleich er „hellschen falfd)" 11 ist. Aber er fährt sie 
1 Art und weise. 2 Kleinlich und nicht würdig genug. 
8 weiter 4 gewöhnen 8 gelernt 6 ziemlich 7 _ hohe^ 
8 Neu-Brandenburg 9 hielten 10 Zuchthaus 11 höllisch ärgerlich
	        
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