Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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□ Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes werden: als dienendes Glied schließ ° 
□ an ein Ganzes dich an. ^ (Schiller.) □ 
sie die Verordnungen der Schule als Eingriffe in den ureigensten 
Lebenskreis, maß sie die Schulerlebnisse am eigenen Ideal. Sinnlos 
erschien in diesem Lichte das Schulleben, seine Forderungen unberech 
tigt. Durch die Rrt der Einstellung wirkte die Rritik zerstörend, 
wenn auch manche Mißstände aufgedeckt wurden, die eine Beseitigung 
verdienten, „wir wollen Schulrevolution", das wurde Parole vieler 
Jugendbewegler. (Diese neue Schule schuf wyneken in der freien 
Schulgemeinde.) Ruch da, wo man die freie Schulgemeinde als die 
einzige Lösung ansah, verlangte man volle Umgestaltung. In Ham 
burg versuchten Junglehrer die Gedanken der Jugendbewegung zu 
verwirklichen in einer versuchsschule, der „Wendeschule" (vgl. 
Jöde: Pädagogik deines Wesens). „Der Geist soll herrschen, Autorität 
verdammt werden, Liebe erwachen, wo Ruhe und Ordnung waltete, 
da soll tiefe, heilige Unruhe hinkommen, damit Neues werden kann, 
wo Zwang war, soll Kameradschaft sein . . . was von Bevormundung 
und Vorschriften wimmelte, soll von Selbstentfaltung und Selbst 
verantwortung erfüllt sein. Rll den Wust fremden, aufgepfropften 
Lebens wollen wir umstoßen und eigenes ursprüngliches Leben an 
seine Stelle setzen." Diese Gedanken der wendeschule Kehren überall 
wieder in allen Formen und Stufen der Jugendbewegung, ja, sie 
schreiten bis zur Forderung der absoluten Umgestaltung des 
Schul- und Bildungswesens im Sinne der Rutonomie der Jugend, 
(wie stark die jugendlichen Gemüter von der Frage nach der Neu 
gestaltung der Schule bewegt sind, beweist u. a. ein von ca. 700 Teil 
nehmern aus ganz Deutschland besuchter Jugendtag im Januar 1920 
in Vüffeldorf.) 
Mit zwei Gruppen von jungen Menschen haben wir zu schaffen, 
einmal mit der noch schulpflichtigen Jugend, die das Verhältnis 
zur Schule dauernd als Problem persönlichster Rrt empfindet, dann 
mit Jugend kr eisen, die sich mit allen einschlägigen Fragen mehr 
theoretisch-reformerisch beschäftigen. Wie kennen wir zunächst 
den weg zur Seele der ersten Gruppe finden? wir sehen in unserer 
Schule eine Stätte der Rrbeit und Erziehung, eine Stätte gemein 
samen Jugendlebens, dem wir all unsere Rraft widmen im direkten 
Unterricht, in dem, unter starkem Zurücktreten des rein Dozierenden, 
das gemeinsame Erarbeiten Ziel ist, in dem wir lernen aus der Per 
spektive der jungen Menschen sehen, unserer Jugend Freundin und 
Führerin zu werden, zu der sie restloses verirauen hegen kann. 
Unsere Jugend stellt weitere Forderungen, innen wir gerecht werden 
durch Schülerwanderungen, Bildung von Gruppen zur psiege künst 
lerischer und wissenschaftlicher Neigungen. 
Zur zweiten Gruppe gehören Jugendliche, die einer Jugend 
organisation angehört haben, der Schule entwachsen, nunmehr zu 
Schul- und Bildungsfragcn Stellung nehmen im Sinne der Jugend 
bewegung (Rronachbund, Junadeutfcher Bund). In diesen Ureisen 
herrscht starkes pädagogisches Interesse, und viele Lehrer gingen 
daraus hervor. Fragen der Schulorganisaiion und Schulpolitik liegen 
ihnen fern, während die innere Umgestaltung des Unterrichts 
sie brennend interessiert. (Einige dieser so eingestellten Menschen 
fanden sich zusammen im Bunde entschiedener Schulreformen) Die 
Jungdeutschen dringen ihrer Einstellung nach auf völkische Ge 
staltung des gesamten Unterrichts- und Erziehungswrsens. (Fichte- 
Hochschule.) Von einem pädagogischen Programm der Juge.ndKreisr 
kann natürlich keine Rede sein, sie würden dasselbe auch ablehnen. — 
Jugendbewegung und Jugendpflege. 
weite Rreise der Jugendbewegung lehnen jede Jugendpflege ab. 
Man betrachtet sich als Selbsterziehungsgemeinschaft und formuliert 
die Stellung etwa wie folgt: „Die Zeit der Jugendpflege ist vor- 
über, muß vorüber sein, wer unter euch das nicht empfindet, werfe 
dieses Blatt in den Papierkorb. Rn die anderen aber, die das 
Gefühl in sich tragen, daß eine pflege unnütz ist, weil die Jugend 
Gesundheit genug besitzt, um sich des rechten Weges bewußt zu werden, 
wende ich diese Zeilen. Jugendpflege erinnert an RranKenpflege, 
Jugendpflege ist Jungfrauenverein ... ist gutgemeinter Seelenfang 
zugunsten politischer oder konfessioneller Gruppen. . . . Nicht Jugend- 
pflege muß die Losung der werktätigen Jugend sein, nicht leidendes 
.Sich-erziehen-laffen'. sondern Selbsterziehung." So und ähnlich klingen 
die Stimmen aus nichtkatholischen Lagern, da man erfüllt ist vom 
Rutonomiegedanken im besonderen. Die stärksten Entgleisungen ent 
sprangen diesem Geijtestrieb, der zum Verhängnis für viele wurde. 
Die bedingte Eigenständigkeit wurde von der Jugend zur unbedingten 
übersteigert. 
In übermäßiger Betonung der Eigenständigkeit verlor die 
Jugendbewegung die rechte Einstellung zu Gott und Menschen, dar 
Maß für ihre eigene Bedeutung, für den Zusammenhang der Dinge. 
So kam sie zum hoffnungslosen Ringen, zum frevelhaften Spiel mit 
Worten, zur Rblehnung des ihr gebotenen Führers. Sie vergaß, 
daß sie auf der Vorstufe der Reife ist, im Übergangsstadium, in 
Rrisen, vergaß, daß Überspannung des Jugendbsgriffes letzten Endes 
das Jungsein untergräbt. 
Eine Gegensätzlichkeit und absolute Rblehnung der Jugend, 
pflege besteht innerhalb der katholischen Jugendbewegung nicht. 
Eigenartig und beachtenswert erscheint es uns, mit welcher Ziel- 
festigkeit und Selbständigkeit gerade innerhalb der katholischen 
Jugendbewegung die Fragen der Jugendpflege und der anderen 
Gruppen behandelt wird. Einmütig bekennt sich die Jugend zum 
Standpunkt, daß Rennenlernen dem verstehen nahe kommt, daß man 
aufrichtig die „königliche Runst des Ineinanderwebens der Ge 
müter" erstrebt. Lassen wir die Jugend selbst über diese Dinge zu 
uns sprechen: 
Im heft 4, 1922 des Rranz (Zeitschrift des Zentralverbandes der, 
katholischen Jungfrauenvereinigungen Deutschlands) heißt es: „Gewiß 
besteht ein großer Unterschied zwischen Jugendpflege und -bewegung, 
doch können beide miteinander gehen, und ich stehe auf dem Stand 
punkt, daß die Jungbornerin im allgemeinen gut tut, der psarr- 
Kongregation beizutreten. —" Vas ist gewiß, daß ein Unterschied 
der Rrt vorhanden ist in Rongregation und Jugendgruppe. Doch 
„gerade das ist eine feine Probe zu sehen, wie weit wir es in der 
Selbstbeherrschung gebracht haben. Rber nicht nur, um uns zu be 
herrschen, wollen wir in die Rongregation gehen, sondern aus tieferen 
Gründen. Man wirft uns vor, wir schließen uns sozial ab. Die 
Liebe zu wahren, ist in den Gruppen nicht so schwer, weil alle 
gemeinsam nach einem Ziel streben. Gehen wir in die Rongregation, 
um unsere Ranten abzustoßen, dann werden wir vor Einseitigkeit 
bewahrt, hier lernen wir Unterordnung unter die nicht selbst- 
gewählte Führerschaft. Jungborn kann gerade durch die Mitarbeit 
in der Rongregation einer größeren Jugendgemeinschaft dienen. Und 
dann wollen wir ernste und strenge Gewiffensersorschung halten, 
ob wir das Letzte taten, um den Frieden zwischen Verein und Jung- 
born zu wahren . . . Sind wir Jugendliche den Erwachsenen gegen 
über stets den weg der Verständigung und der Liebe gegangen? 
wollen wir nicht entschieden katholisch werden? hier gilt's, es zu 
beweisen. —" 
Ruch die Mitglieder verschiedener Gaue und Bewegungen streben 
nach gegenseitiger Rnerkennung. Dem entspricht folgendes Pro 
gramm: (Rath. Jugendgemeinfchaft Ouickborn-Flugblatt Nr. 15): 
„wir müssen uns rein halten von allem Geist der Gewalt, Mißgunst 
und Engherzigkeit. Die eigene Sache lieben, für sie arbeiten und 
Kämpfen, aber zugleich mit unbestechlichem Urteil die Bedeutung auch 
der andern anerkennen und die eigene mit jener zusammen als Teil 
einer großen .Gemeinfache' ansehen." 
Die katholischen Schülerinnenoereine legen ihre Stellung 
zu den Rongregationen fest in einer Denkschrift (Mädchenbildung, 
7. heft 21. Z. 217): 
I. „In unseren Rongregationen sehen wir die gegebenen Stellen 
zur pflege des rein kirchlich-religiösen Lebens. Der Schülerinnenbund 
soll die Rongregation nicht beeinträchtigen oder überflüssig machen, 
sondern fördern. Die Mitglieder des Schülerinnenvereins sollen mög 
lichst auch Mitglieder der Rongregation werden - ob pfarr- oder 
Spezialkongregation in Betracht kommen, müßte örtlich entschieden 
werden -. so daß die pflege des rein kirchlich-religiösen Lebens 
den Rongregationen verbleibt, während die Schülerinnen» 
Vereinigungen darüber hinaus Jugendbewegung auf katho«
	        
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