Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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d (Es gibt nur ein einziges Gut für den Menschen: die Wissenschaft, und nur ein einziges Übel: die ° 
□ Unwissenheit. Sokrates. □ 
Erwerb für den größten Teil des Tages, für eine lange Rrbeits- 
wache hinausgedrängt haben, wo man gerne eine Feierabendstunde, 
einen stillen 5onntagnachmittag zubringen mag. Wohl ist dieser 
Raum noch nicht das, was ein heim ausmacht, oberer gehört 
mit dazu, wie stehen also unsere Mädchen zu ihrem, ich will einmal 
sagen: räumlichen heim? Rönnen sie überhaupt bei den traurigen 
Wohnungsverhältnissen der Großstadt irgendeine innere Beziehung 
dazu gewinnen? Ich brauche doch nur die Worte zu nennen: 
Mietskaserne, Hinterhaus, Fabrikgegend, Rrbeiteroiertel, um ver 
ständlich zu machen, daß der größte Teil unserer Rinder die elterliche 
Wohnung nicht als ein heim kennt, sondern lediglich als Schlafstätte, 
daß sie dieser Wohnung so lange und so oft zu entfliehen suchen, 
wie das nur eben möglich ist, daß die heranwachsenden Mädchen 
nur gezwungen, unmutig und verdrossen dort verweilen, um der 
Mutter bei häuslichen Rrbeiten behilflich zu sein oder jüngere 
Geschwister zu betreuen. Und trotzdem wollen und sollen wir ver 
suchen, heimschaffende Rräfte in diesen Mädchen zu wecken? Ja! 
— und wir haben das noch nicht im entferntesten erreicht, wenn 
wir im Gesinnungsunterrichte, im haushaltunterrichte, in den Hand 
fertigkeiten das Mädchen zu den sogenannten häuslichen Tugenden 
anhalten. Gewiß kann es uns gelingen, ihm Ordnungssinn, Sauberkeit 
und Zuverlässigkeit bei der häuslichen Rrbeit als erstrebenswerte 
Frauentugenden darzustellen. Uber ebensowenig wie eine Frau 
dadurch schon ein heim schafft, daß ihr Haushalt, wie man zu sagen 
pflegt, „am Schnürchen geht", ebensowenig haben wir in unseren 
Mädchen schon die heimschaffenden Rräfte geweckt, wenn es in der 
Haushaltungskunde eine besonders gute Note erringt. Um jetzt recht 
verstanden zu werden, mutz ich nun erst sagen, daß ich das räumliche 
heim nur als Rahmen sehe, das, was ich aber als das seelische 
heim bezeichnen möchte, das eigentliche Wesen eines Heimes bedeutet. 
Und merkwürdig — trostvoll und ermutigend — für diese Seite 
der erziehlichen Beeinflussung kommt uns in der jungen Mädchenseele 
etwas entgegen, was uns für manch bittere Enttäuschung und manchen 
anscheinend vergeblichen Rampf entschädigen kann. Nicht bei seiner 
Beziehung zu dem engen, nüchternen oder gar häßlichen Raume, 
der sein Zuhause bildet, wollen wir beginnen, die heimschaffenden 
Rräfte des Mädchens zu wecken, sondern bei den persönlichen mensch- 
lichen Beziehungen. Eine Frau schafft nämlich erst dann im tiefsten 
Sinne des Wortes ein heim, wenn sie seelischer Mittelpunkt der 
Ihrigen zu sein imstande ist. Das wird sie nicht dadurch, daß sie 
möglichst betont und geräuschvoll im haushalte schafft, sondern 
dadurch, daß sie ihre Rrbeit mit stiller Selbstverständlichkeit tut, 
ihr herz dabei offen hält für die Rußenarbeit der anderen und ihre 
Gedanken frei für ihr Erleben in Erfolg und Enttäuschungen. Rann 
sie darüber hinaus an einem gemeinsamen Feierabend oder Sonntag 
nachmittag der Familie nach Rnregung oder Ermunterung zu gemein 
samer Erholung bei Spiel und Lied und Buch geben, dann schafft 
sie eben ein heim, wenn auch sein Rahmen nur eine sauber 
gehaltene, aufgeräumte Wohnküche oder die enge Mansardenstube 
einer Mietskaserne ist. 
hier berühren sich nun ganz eng Erziehung zum heim und 
Erziehung zur Familiengemeinschast. Dafür ist der Eingang zur 
Mädchenseele frei, wenn nicht ausnahmsweise widrige häusliche 
Verhältnisse vorliegen. Die Rrbeit des Rindes in der Schule und 
für die Schule darf nicht beziehungslos neben seinem Leben hergehen; 
das verträgt ein Mädchen noch viel weniger als ein Rnabe. Es 
gibt Renntniffe, die die Schule ihm vermitteln muß, für die es aber 
feiner allgemeinen und besonderen Veranlagung nach kein sachliches 
Interesse aufbringt; um so mehr muß versucht werden, ein per 
sönliches zu gewinnen. Stellen wir doch unseren Heranwachsenden 
Mädchen die Rufgabe, der Mutter zu erzählen, daß wir in der 
Schule gelernt haben, wo alle die Erzeugniffe wachsen, die sie im 
haushalte täglich verarbeiten muß, wie sie gewonnen, verschickt und 
am besten ausgenützt werden, wie die Spaltpilze als Gärungs-, 
Fäulnis- und Rrankheitserreger in den Haushalt der Natur ein 
greifen, wie unsere Vorfahren lebten und sich einzurichten verstanden, 
well ihre Bedürfniffe nicht so hochgeschraubt waren, wie diejenigen 
unseres kraß-materialistischen Zeitalters, haben wir es erst erreicht, 
daß unsere Rinder durch solcherlei praktische Dinge die Brücke zwischen 
der Mutter und der Schule geschlagen haben, dann kommtchas andere, 
das Feine, das Seelische ganz von selbst; dann spricht man mit der 
Mutter auch über ein schönes Gedicht, das einem aus irgendeinem 
Grunde einen lieferen Eindruck gemacht hat, singt ihr ein neues 
Lied und bringt dann in die Schule hinein, was die Mutter dazu 
gesagt hat, wie erstaunt sie gewesen ist, wie erstaunt man aber 
auch selber war, weil die Mutter das schon wußte, ja sogar noch 
mehr, als wir ihr mitbringen konnten, daß sie das schöne Gedicht 
kannte, ein ähnliches aus ihrer Schulzeit fast noch ganz auswendig 
wußte. . . . Man muß das nur einmal in Ruhe überdenken, auf 
sich wirken lassen, wenn Rinder so verlegen, erstaunt, verwundert, 
ungeschickt vielleicht, aber doch in einem starken Glücksgefühl von 
einer solchen Stunde mit der Mutter erzählen, um zu begreifen, 
wie stumpf diese Menschen in vielen Fällen nebeneinanderherleben, 
wie wenig sie voneinander wißen, in welch seelischer Rrmut sie ihre 
Tage zubringen. — Ruch zum Vater muß das Mädchen der Ober- 
klaffe als werdende „große Tochter" durch die Rrbeit in der Schule 
in recht lebendige persönliche Beziehungen kommen. Es soll dem 
Vater erzählen, daß es die Länder, die er während seiner Rriegs- 
jahre kennen gelernt hat, auch nach geographischer Lage und Eigenart 
zu bestimmen und einzuordnen weiß; es soll ihm auf Spaziergängen 
und Rusflügen erzählen, was Heimatkunde und Heimatgeschichte zur 
Belebung und Beseelung der Landschaft zu sagen wissen. Es soll 
dem Vater zeigen, daß es die monatliche Miete berechnen kann, 
einen Familienbrief selbständig zu schreiben imstande ist, Formulare 
auszufüllen versteht, daß es den Sorgen des Vaters nicht verständnislos 
gegenübersteht und für seinen Beruf, sein mühevolles Tagewerk 
Intereffe hat. „Vater hat erst gelacht und nichts gesagt, jetzt unter 
halten wir uns aber schon ganz gut," spricht dieses unbeholfene 
Wort aus Rindermund nicht wiederum eine ganz beredte Sprache 
von der Fremdheit in unseren Familien, die wohl zusammen wohnen, 
aber kein heim haben? In diesen Tagen habe ich Rnnettens „Das 
vierzehnjährige herz" mit meiner Rlaffe durchgenommen. Diese 
Stunde hat mich einen tiefen Blick in die dreizehnjährigen herzen 
meiner Schülerinnen tun lassen. Dieses zunächst ungläubige, dann 
verlegene Staunen, daß man so frei und offen von dem Überschwange 
seines Herzens sprechen darf, dazu noch vom Vater, das war für 
manche ein Erlebnis, das ich nur aus Rügen und Mienen ablesen 
konnte, das sich nur bei wenigen Impulsen äußerte in den Bemer. 
kungen: „Mein Vater würde aber Rügen machen." „Meine 
Schwester, die ist grade so wie die alberne Barbe," „mir ist auch 
manchmal so komisch", „wenn Rnnette auch .Barbe' sagt, ich glaube, 
das war sie selbst, sonst könnt' sie das doch nicht so gut wissen". 
Und dann wollen wir unseren Schülerinnen auch Wege zeigen zur 
Beseelung ihrer Beziehungen zu den Gesckwistern, besonders zu den 
jüngeren und den ganz kleinen. Ganz unverkennbar regen sich in 
dem größeren Mädchen schon mütterliche Rräfte, pflegeinstmkte will 
ich sie einmal zusammensaffend nennen. Soll das Mädchen aber 
in seine Familienaufgabe hineinwachse!:, dann genügt es nicht, daß 
man diese Naturanlage sich frei entfalten läßt, auch hier müssen 
seine persönlichen Beziehungen bewußter werden. Das Rindcr- 
verwahrenmüffen Kann für die großen Mädchen doch trotz oUer 
pflegerischen Rnlagen, die sie in'sich haben, eme schwere, lästige 
Pflicht werden, helfen wir ihnen, auch diese Pflicht zu beseelen. 
Stellen wir ihnen Beobachtungsausgaben aus Sprache, Spiel und 
Verhalten der Rleinen, geben wir ihnen im Deutschunterrichte ein 
Märchen, Rinderreime, ein Rinderlied mit der ausdrücklichen Be 
ziehung auf die kleinen Geschwister, benutzen wir das angewandte 
Zeichnen und Malen dazu, sie zur Selbstanfertigung von Spielzeug 
zu führen, dann haben wir mit dazu beigetragen, in dem Mädchen 
heimschaffende Rräfte zu wecken. In meiner Rlaffe gibt es ein 
dreizehnjähriges Mädchen, das, durchaus nicht unintelligent, durch 
überaus schwierige wohnungs- und Schlafverhältniffe (in zwei Dach 
zimmern lebt es mit der Mutter, einer etwas jüngeren Schwester, 
einem erwachsenen Bruder und einer verheirateten Schwester mit
	        
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