287
drei kleinen Rindern zusammen) mehr und mehr zurückbleibt. Noch | Anforderungen, die das Rind während seiner entwicklungsfähigsten
einem Worte der Mutter ist es ihm fast unmöglich, einmal eme
ordentliche häusliche Arbeit anzufertigen. Mit steigender. Sorge
mußte ich bei steigendem Sommer die wachsende Stumpsheit und
Teilnahmlosigkeit in fast allen Unterrichtsstunden feststellen, als
plötzlich ein Umschwung eintrat - durch ein paar Rinderreime, die
ich im Anschlüsse an die Lektüre von Storms „Vötjer Basch" gab,
und durch ein Windrädchen, das als praktische Übung zu Kreis
ausschnitt und Rreisring zur häuslichen Anfertigung empfohlen
wurde, von der Freude des kleinen Neffen an Reimen und Spiel
zeug konnie sie am folgenden Tage nicht genug erzählen, und an
dieser Freude ist sie dann auch wieder lebendiger geworden. -
haben wir so dazu geholfen, die heimschaffenden Rräfte in unseren
Mädchen zu wecken, indem wir die seelischen Beziehungen zu seinen
Angehörigen vertiefen, dürfen wir ihm auch helfen, sein räumliches
heim umzugestalten. Daß dazu aUerfeinster Takt gehört, ist selbst-
verständlich. Wir können nur im Ganzen des Unterrichtes und der
-Erziehung versuchen, auch in dieser Hinsicht Einfluß auf das Mädchen
zu gewinnen, wenn es aber gelernt hat, daß nur das Einfache
und Echte und Zweckmäßige schön sein kann, wird es vielleicht später
bei Gestaltung seiner eigenen Häuslichkeit die Anwendung finden
und machen, ohne daß cs ihm jetzt zunächst möglich ist, im heim
seiner Eltern etwas zu ändern, wie'soll man es anstellen, große
Mädchen zu Höflichkeit, zur Rultur der Umgangsformen und der
Eßfitten zu erziehen, ohne nicht gleichzeitig Rritik an seinem Eltern-
bause zu üben, seinen eigenen Blick für die Rulturlosigkeit seiner
Häuslichkeit zu schärfen? Noch einen Gedanken kann ich nicht
unausgesprochen lassen, wenn ich von der heimschaffenden Rraft der
Frau rede und von der Weckung dieser Rräfte im Heranwachsenden
Mädchen. Im eigentlichen, tiefsten und wohltuendsten Sinne besitzt
nur jene Frau diese Rraft, die „in sich beruhigt ist", wie es jene
Frauen einer vergangenen Rulturepoche gewesen sind, deren Briese
und Tagebücher wir heute mit einer gewiffen stillen Wehmut lesen,
nicht ohne so etwas wie einen leisen, feinen hauch ihrer heimkrast
zu verspüren, wenn dieser Ruhe „heiliges, unerschöpftss Gut"
allerdings zur Weckung dieser wertvollsten Frauenkraft im Mädchen
erforderlich ist, dann mag es uns in der Industrie, in der Großstadt,
rm besetzten Gebiete so scheinen, als sei all unser Tun vergeblich.
Zu der haft, dem Lärm und den nicht endenwollenden Sensationen
der Straße, zu der Zerrissenheit der Häuslichkeit durch wirtschaftliche
Not und Vergnügungssucht kommt für unsere Rinder noch die
Heimatlosigkeit der Schule, heute können wir das Schulgebäude
noch benutzen, morgen ziehen wir in ein anderes dn; heute ist der
Stundenplan fertig, morgen muß er vollständig umgestoßen werden,
heute prägen sich die Rinder die Schul- oder Rirchenordnung ein,
morgen gilt etwas anderes, wir führen sie ins Luftbad, in die
Schwimmhalle, auf den Sportplatz, in die Turnhalle, in die Roch.
Küche, in das Schulkino, in ein anderes Rino,^ wenn dort gerade
ein geschichtlich oder naturgeschichtlich intereffanter Film gespielt wird,
ermuntern sie zum Besuche von Theatervorstellungen, die zu irgend
einem wohltätigen Zwecke veranstaltet worden sind und alles dies
mitunter innerhalb einer Schulwcchs, um uns dann darüber zu
wundern, daß die Rinder unruhig sind, keine Ronzentrationsfähigkeit
mehr besitzen, und daß wir selbst bei einem höchstaufwande von
Nervenkraft sehr wenig erreichen. „In sich beruhigt" - wer
das einmal wieder sein könnte! Gerade unsere großen Mädchen
bedürften so sehr einer ungestörten Stetigkeit für ihr äußeres und
inneres wachsen und werden, wie sollen sie in den Gefahren des
Lebenskampfes mit so aufgeriebenen Nerven sich rein erhalten und
jene Selbstbewahrung üben, aus denen sie in ihrem zukünftigen
Familienberufe in der Hauptsache ihre heimschaffenden Rräfte schöpfen
und erneuern müssen?
Neben ihrer Familienaufgabe werden die meisten unserer Schüle
rinnen im späteren Leben einem Erwerbsberuf nachgehen müßen;
viele vielleicht nur für die Zeit bis zur Ehe, andere sogar in der
Ehe, um damit das schwerste Frauenlos zu tragen: eine berufliche
Doppelbelastung. Ist es uns wirklich möglich, während der Schul
zeit des Rindes die erziehlichen Grundlagen für Berufsfreude, Be
rufstreue, kurz, für all das zu geben, was man als das Berufsethos
bezeichnet? Ist nicht das ganze Schulleben mit seinen Pflichten und
1 Das bedeutet für meine persönlichen Schulverhültnisse jedesmal einen
weg bis zu 20 Minuten innerhalb des Stundenplans, also Hetze ohne Ende.
Lebensjahre als seinen „Beruf" aufsaßen soll, so ganz etwas anderes
wie das mechanische, stark differenzierte Einerlei eines Frauen
erwerbsberufes, der ihm einmal zugänglich fein wird? Rommt uns
überhaupt in der Seele der Zwölf- und Dreizehnjährigen bei solchen
Erziehungsversuchen etwas entgegen? Ganz gewiß! wir alle kennen
aus Erfahrungen Schülerinnen, denen gewiffermaßen eine natürliche,
so selbstverständliche pflichttreue innewohnt, daß ihnen die Arbeit
als solche, das Vorwärtskommen ausreichende Wertmotive bietet,
weil das in vielen Fällen zugleich auch die sachlich interessiertesten
Rinder sind, werden sie ans ihrer Schulzeit etwas mit ins Leben
nehmen, das sie befähigt, in einer stillen Feierabend- und Erholungs
stunde sich eine Ausspannung, eine echte Freude selbst zu gestalten;
diese Mädchen werden nicht notig haben, nur zu dem Lärm und
den grellen Farben und den nervenpeitschenden Sensationen der
Großstadtvergnügungsstätten ihre Zuflucht zu nehmen, wenn eine
Arbeitspause für sie eingetreten ist. In solchen Rindern ein Berufs
ethos vorzubereiten, ist nicht schwer: wir müssen ihnen eben im
Unterrichte ihrer Fassungskraft angemsffene Inhalte geben und ihnen
Wege erschließen für seelische werte, für die ihre Rindlichkeit noch
nicht reif ist. haben sie dann darüber hinaus noch bei arbeits
teiligem Lösen von Gesamtausgaben, in der Verwaltung von Schul
ämtern durch persönliches Erleben gelernt, was Einordnen in ein
Größeres, was Verantwortung für das Ganze, für eine Gemeinschaft
bedeutet, dann haben wir nach besten Rräften für jene vorgearbeitet,
die nach uns an der weiterführung und Weiterbildung dieser
Mädchen zu arbeiten haben. Nun aber die andern, denen statt
selbstverständlicher Pflichterfüllung eine gewisse körperliche und geistige
Trägheit innewohnt? Reines der Motive (oder Druckmittel?), die
auf den höheren Schulen zu Gebote stehen, kann in diesen Fällen
angewendet werden: schlechte Zeugnisse und Sitzenbleiben machen nur
geringen oder auch gar keinen Eindruck, namentlich wenn ein solches
Rind aus einem gleichgültigen und stumpfen Eliernhause kommt,
wenn wir also darauf verzichten, diesen Rindern mit Drohungen
oder Strafen etwas abzuringen, was'im letzten Grunde weder für
sie selbst noch für die Gemeinschaftsarbeit der - Rlaffe einen wert
hat, bleibt nur der mühsame weg „jener zähen, ehrlichen Arbeit",
von dem ich eingangs schon einmal sprach. Aus vieljähriger Volks-
schulpraxis glaube ich nunmehr das einzige Mittel gefunden zu haben,
den überhandnehmenden Schulverfäumniffen unserer großen Mädchen
entgegenzuarbeiten. Es heißt, jene Rinder, in denen sich Hemmungen
gegen ganz regelmäßige Pflichterfüllung infolge ihrer persönlichen
Veranlagung finden, mit ganz besonderer Schärfe zu beobachten, um
die wertmötive, die sie zur Überwindung dieser Hemmungen nötig
haben, herauszufinden. Hilde X. ist seit fast drei Jahren meine
Schülerin. Sie mußte in der ersten Zeit so ungefähr alle vierzehn
Tage einmal einen Tag oder wenigstens ein paar Stunden aussetzen
„mit Entschuldigung" — natürlich! und seitdem ringe ich mit ihr,
ohne daß ihr das bewußt wäre, was sie am liebsten hört und
wissen möchte, hat sie mir in der langen Zusammenarbeit natürlich
verraten, und wenn also wieder ein Tag ausgesetzt werden mußte,
richtete ich es in einem Fache wenigstens so ein, daß etwas ge
lernt oder erlebt wurde, bei dem sie brennend gern dabei gewesen
wäre. Anfangs versuchte sie, das versäumte durch interessiertes
Fragen herauszulocken. Da ich aber grundsätzlich und konsequent
nur für solche Rinder etwas Besonderes noch einmal durchnehme,
die wirklich fehlen mußten, hat sie diese versuche aufgeben müßen.
Die Unregelmäßigkeiten werden seltener und seltener. Gb sie wohl
endgültig kapituliert hat? ich weiß es nicht, aber als sie das letztemal
einen Tag ausgeblieben war, hörte ich sie in einer pause sagen:
„hier kann man auch keinen einzigsten Tag fehlen, dann sitzt man
gleich daneben." — Schwerer ist wohl die Einwirkung auf jene
Rinder, die von den Eltern um jeder Kleinigkeit willen vom Unter
richte ferngehalten werden, wir tragen da besonders in den Groß
städten wohl noch lange das unselige Erbe der Rriegs- und Uach-
kriegsjahre, in denen bei Urlaubsgenehmigungen zu Besuchs- und
Hamsterfahrten, Ferienverlängerungen und Landaufenthalten der
Rinder die weitestgehende Rücksicht genommen wurde, vielleicht auch
genommen werden mußte, die heute noch von vielen trotz gänzlich
anders gestalteter Lage als eine Selbstverständlichkell angesehen wird.
Bei uns im besetzten Gebiete hat die RIaffenverschickung der Stadt
kinder die natürliche Rück Entwicklung dieser Zustände noch besonders