Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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und überall das Echte und Gute achtungsvoll und dankbar grüßt, 
wie man eben aus der innigen Verbindung mit seiner eigenen 
Familie in Liebe den weg zu den anderen Menschen findet. 
Katholische Literaturpflege mutz eine Angelegenheit des gesamten 
katholischen Volkes werden. Nicht Fülle dichterischer Bildung einzelner 
ist das Endziel, sondern Reichtum an dichterischer Kultur, Kultur als 
„Besitzstand einer Volksgemeinschaft" verstanden, wertvolle Pionier 
arbeit zu diesem Ziele wird schon geleistet. Ich erinnere an die 
beiden wertvollen Broschüren, die im vorigen Jahre bei Herder 
erschienen sind: Die bewegenden Kräfte der schönen Literatur 
von Di-. Keckeis und Die Zukunft des katholischen Elementes 
in der deutschen Literatur von Franz Herwig, ferner an das 
Büchlein von Johannes Honigs das unter dem Titel „Dichtung 
und Weltanschauung" im Verlage Franke-Habelschwerdt erschien. 
Diese Bücher überzeugen von der Notwendigkeit katholischer Literatur 
pflege, helfen den Boden bereiten, dessen die Kunst bedarf, wenn 
sie blühen soll, indem sie das Verantwortungsgefühl wecken. „Aus 
unserem Verantwortungsgefühl wird das Verantwortungsbewußtsein 
der Schriftsteller als Menschen und Zeitgenossen hochwachsen." 2 Noch 
ist ein weiter weg zu diesem Ziel. „Mit Erstaunen nehmen wir 
wahr, daß ein paar tausend Juden die geistige Allgemeinheit viel 
starker beeinflussen als viele Millionen Katholiken desselben Landes." 2 
wollen wir den Anteil im Geistesleben der Nation haben, den wir 
unbedingt beanspruchen müssen, so ist manche Unterlasiung gutzu 
machen. Als bedeutende katholische Dichter, wie Friedrich Leopold 
zu Stolberg, Zacharias Werner, Friedrich Schlegel, Clemens Brentano, 
Görres, Eichendorff, ihre Werke schufen, „wo war das katholische 
Publikum, das ihre Begeisterung übertrug und verwurzelte und 
weiter wachsen ließ?" 2 „wo waren die Männer, die in dieser 
ungeheuer wichtigen Zeit den wert der Literatur ins Volk trugen 
und das ganze katholische Volk zum Träger eines katholischen 
Literaturorganirmus machten?" 2 Es ist die ungelöste Aufgabe der 
katholischen Literaturpflege, „einzugreifen in das Rad des Geschehens, 
in die Lebensführung des Volkes, damit ein Jahrhundert nicht das 
Ende nehme wie das neunzehnte"? Zu katholischer Literaturpflege 
gehört auch eine verantwortungsbewußte, fähige Kritik. Die ^Kritik 
muß sich bewußt bleiben, daß „die Kernfrage der Dichtung die 
Frage nach dem dichterischen Kern" 2 ist, daß „eine Dichtung wohl 
Tendenz haben kann, daß aber eine Tendenz nie Dichtung werden 
kann." 2 Daruin ist vom katholischen Dichter nicht nur zu fordern, 
daß er die katholische Weltanschauung zur Darstellung bringe, 
sondern daß sein Werk wachse „aus dem dichterischen Drang und 
Zwang der Begabung, das Leben neuschöpfend darzustellen und die 
Idee des Seins in den Erscheinungsformen leuchtend zu machen." 2 
Darum „katholisch sein und nach dem höchsten Ausdruck streben!" 8 
„wenn wir stolz auf unser katholisches Leben sind, wenn wir in 
unserem inbrünstigen Gefühl hinter keinem zurückstehen wollen, wenn 
wir in stolzer Demut uns wie das Licht eines Leuchtturms fühlen, 
das über das gefährliche Meer hinscheint, dann können wir auch 
die Begriffe katholischer Dichter und katholische Literatur nicht hoch 
und tief genug fassen." 3 Die Kritik von heute - man sehe einmal 
viele Zeitungen daraufhin an - ist noch oft entfernt von echter 
Literaturpflege. „Deshalb soll jeder urteilsfähige Katholik, soweit 
sein Einfluß immer reicht, eine Kritik nicht dulden, die einer ziel 
bewußten Literaturpflege im Wege steht." 
wir sind es heute gewohnt, überall düstere Wolken zu sehen, 
wie schön ist es, wenn wir da irgendwo einmal wieder ein ver 
heißungsvolles Morgenrot schauen! In der katholischen Literatur 
der Gegenwart dürfen wir froh ein Morgenrot begrüßen. Man 
trägt den Expressionismus zu Grabe,- aber galt nicht sein Ringen 
einer echten Ausdruckskultur, wie wir sie einst in „der gewaltigen 
gotischen Ausdruckskultur" 3 erlebten? Daß seine Äußerungen unserem 
Gefühl fremd bleiben, liegt zutiefst darin begründet, daß „der Mensch 
ohne religiöse Bindung wohl eine Ausdruckskunst im Prinzip haben 
Kann,- aber er hat nichts auszudrücken, nichts wie seine höchst per 
sönlichen und belanglosen Ekstasen." 3 Jetzt ober steht „die Bereitschaft 
zur Einordnung in die Harmonie" 3 wieder auf, „die Sehnsucht nach 
überweltlicher Bindung"? „Noch steigt die letzte Hefe des Naturalismus 
übelriechend auf, das Widerwärtigste an Stoff und Ausdruck tobt 
1 fjöttig, Dichtung und Weltanschauung. 
* Dr. Keckeis, Die bewegenden Kräfte der schönen Literatur. 
• Herwig, Die Zukunft des kath. Elementes in der deutschen Literatur. 
in Krämpfen; die meisten der Jungen aber versuchen schon, der 
Stoffes Herr zu werden, ihn zu deuten, einzuordnen und zu ver 
klären. Man schafft wieder, man versucht es wenigstens mit ehrlicher 
Inbrunst. Man stößt den geheimnisvollen Kräften nach, welche die 
Dinge beleben und beseelen. ... Die Sucher sind auf dem Wege 
zu Gott. ... Die Vorarbeiter, die Pioniere und Pfadfinder dieser 
Bewegung sind sogar schon bis an die sichtbare Form Gottes, feine 
Kirche, gelangt. Einige- stellen Leitern an die magisch glühenden 
Fenster und blicken angestrengt in das Innere, ohne zunächst freilich 
mehr zu gewahren als eine Säule, einen Kapellenwinkel, einen 
Schimmer vom Ewigen Licht. Andere haben entschlossen die Tür 
aufgemacht und sich still oder ekstatisch vor das Allerheiligste hin 
gekniet: verlorene Söhne, die heimgekehrt sind."* In diesem Zu 
sammenhang muß das Erwachen des Mysterienspiels betrachtet werden. 
In der Zukunft kann und muß dem katholischen Element eine 
bedeutende Rolle in der deutschen Literatur zukommen; die Zahl 
der katholischen Dichter, die im deutschen Literaturleben Anerkennung 
finden, wächst. 
Lastet uns miteinander ein wenig in dem Garten katholischer 
Literatur der Gegenwart verweilen! wie grüßen uns da die 
leuchtenden Schöpfungen der Handel-Mazzetti! Es erübrigt sich) 
in diesem Kreise, ihre Werke zu würdigen; denn welche katholische 
Lehrerin verdankt ihr nicht köstliche Stunden reichen Erlebens, 
wem von uns sind „Meinrad helmpergers denkwürdiges 
Jahr", „Jesse und Maria", „Die arme Margaret", „Rita", 
„Stephana Schweriner" und „Der deutsche Held" nicht lieb- 
vertraute Gestalten? 
wenn wir nun den Blick erheben, um weiter Umschau zu halten, 
da grüßen uns die schneegekrönten Gipfel der Alpen; es klingt uns/ 
„das Rauschen tiefer grüner Eichenwälder ans Ghr, darin die Vögel; 
zirpen; es ist, als hörten wir ferne Brandungen an Gestade der 
Ewigkeit rollen." 2 So mutet uns das Dichten Heinrich Federers 
an, des großen Schweizer Erzählers. Wandern wir mit ihm durch.) 
»Franzens Poetenstube", die romantischen Täler und Berge/ 
Umbriens, lauschen wir dem schwermütigen Sang: „Gebt mir) 
meine Wildnis wieder", der Geschichte von dem alten Einsiedler^ 
Morone, „den der Spruch der Kardinäle fast mit Gewalt aus seiner 
Einsamkeit in den Mittelpunkt des Kirche und Welt durchflutenden 
Lebens drängt, und der sich auf dem päpstlichen Throne in der) 
Sehnsucht nach seinen Bergen und Wäldern verzehrt"; - durchleben 
wir mit ihm die wilde Schreckensnacht in seinem Roman „Pilatus",, 
oder sitzen wir mit ihm nieder im frommen Altjungfernstübchen des) 
„Mätteliseppi", in dem die Kommunionkinder so brav ihren- 
Katechismus lernen und unter den scharfen Augen des Märteliseppr 
doch allerhand vergnügte, schalkhafte Kurzweil treiben; oder teilen/ 
wir die Sorgen der „Jungfer Therese" um den jungen Kaplan 
Johannes Keng; freuen wir uns in seinem Buche „Spitzbube über/ 
Spitzbube" über den einfachen Bruder Nikolaus von der Flüe, der/ 
den Spitzbuben der Fürsten, die ihm spitzbübisch Segen und Zu-/ 
stimmung zu ihren Händeln ablocken wollen, allen über ist; denn/ 
er ist „der Spitzbube Gottes" - immer weiß Federer köstlich zu 
erzählen, zu erschüttern, Lachen und weinen zu machen. Tr ist cm) 
ganz Eigener, und wenn man eines seiner Bücher als „einen echten 
Federer" kennzeichnet, so bedeutet dies keine Redensart. 
Und nun treten wir miteinander in eine stille Laube, von Geisblat! 
umrankt, in der uns einer unserer Größten Kindheitserinnerungen 
erzählt aus der Zeit, „Als Mutter noch lebte". Es ist Petet! 
Dö-rfler. Ich weiß nicht, soll ich mehr das was seiner Werke, 
oder das wie ihres Entstehens bewundern. Dörfler, bis 1915 iü 
der Seelsorge stehend, schuf seine Dichtung trotz seiner schwachen 
Gesundheit und trotz der großen Arbeitslast in Schule und vereinen- 
Nur die Stunden der Nacht standen dem Dichter zur Verfügung;;/ 
den Tag nahmen Lehrtätigkeit und Seelsorge in Anspruch? So 
bannt er die überreich quellenden Eingebungen aufs Papier. „Als 
Mutter noch lebte", „Die verderberin". „Iudith Finfter- 
walderin", „Weltkrieg im schwäbischen Himmelreich", „Cr-, 
wachte Steine", „Dämmerstunden", „Der Roßbub", „Das 
Geheimnis des Fisches", „Der Rätsellöser", „Neue Götter"-,^ 
„Stumme Sünde", „Peter Farne, der Abenteurer widet 
i Herwig, Die Zukunft des kath. Elementes in der deutschen Literatur ! 
* Literarischer handweiser. / ~ ^ ^ " 
3 Stimmen der Zeit, Peter Dörfler^ M
	        
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