Mit monatlicher öeilage „Die Junge Lehrerin".
Nr. 36
57. Jahrgang
Paderborn, 27. SexLenrber \<)2\
Inhalt: pagäs, Zur Klassenlektüre 5. 329. Meinungsaustausch:
Zum Meinungsaustausch S. 332. Klassenlektüre S. 332. Aus der Zeit:
Heimgarten in Heisse. Aus unserem Verein: Beitrag. Bestellung der
Zeitschriften. Diasporahilse. Komreise. Mittelschulausschuß. Unterstützungs
kasse. Kursus Fulda. Kursus Pyrmont. Liturg. Kursus Grüssau. Breslau
(Vorträge). Kursus Katibor. Gautag Uatibor. Baden. Minden. Bezirks
und Zweigvereine. Merktafel.
Zur Klaffenldtöre.
von Helene Pages, Münster i. w.
I.
§riedrich Wilhelm Webers „Dreizehnlinden" und „Goliath"
in der Volksschule.
6m 5. April 1924 waren dreißig Jahre verflossen, seit der
Dichter Friedrich Wilhelm Weber heimgegangen ist. So werden seine
werbe demnächst frei, und wir konnten an die Herausgabe der zwei
Dichtungen „Dreizehnlinden" und „Goliath" als Lektüre für die
Vberklaffen der Volksschule denken. Heute liegen die beiden Bändchen
vor uns: schlicht schön und gediegen gut in der Ausstattung. vrei-
zehnlinden in starkem grauem, Goliath in hellbraunem Karton.
Die hübsche Deckenzeichnung hat Kunstmaler Wilhelm Sommer,
Münster i. w., gezeichnet — einmal ein Stück Eorveyer Kloster
frieden im Lindenschatten, das anderemal eine norwegische Hütte,
wie einer Schwalbe Nest am Fels hängend, dazu die Titelschrift,
klar und blank, wie es sich für die Dichtungen des aeraden, kernigen
Westfalen schickt.
warum haben wir aus unserem Verein heraus eine besondere
Herausgabe der beiden Dichtungen geschaffen? weil wir „Dreizehn
linden" und „Goliath" in jede Volksschule, ja mehr noch, in die
Hand jedes katholischen Schulkindes der Dberklaffe bringen möchten.
wir Klagen unsere Zeit an und nennen sie friedlos, freudlos,
glaubenslos, und wir wissen: die Jugend ist unsere Hoffnung, durch
die es wieder besser werden soll im deutschen Vaterland. Ts kann
aber nur durch die Jugend besser werden, wenn sie für ihre Auf
gabe tüchtig gemacht wird; neben dem Religionsunterricht ist der
Deutschunterricht, insbesondere die Lektüre, ein Mittel zur Ertüch
tigung unserer Kinder, wir können die Lesestoffe nicht sorgfältig
genug auswählen und müssen als katholische Erzieher nicht bloß
auf das künstlerisch wertvolle und das sittlich Einwandfreie eines
Stoffes sehen, sondern vor anderer solche Lektüre wählen, die neben
den künstlerischen Dualitäten auch hohen ethischen Gehalt hat.
Solche Stoffe sind „Dreizehnlinden" und „Goliath".
Als der Dichter Weihnachten 1877 das Epos „Dreizehnlinden"
seiner damals siebenundzwanzigjährigen Tochter Elisabeth unter den
Christbaum legte, konnte er nicht ahnen, welch ungeheuer großer
Erfolg dem Dichterwerk beschieden war. Im September 1878 er-
fchiem „Dreizehnlinden" im Buchhandel und eroberte sich in kurzer
Zeit einen unübersehbaren Leserkreis. Scheffels „Trompeter" und
Nedwitz' „Amaranth", die in hunderttausend Exemplaren von Hand
zu Hand gewandert waren, wurden beiseite geschoben, flach und
sentimental gescholten und gerieten in Vergessenheit, weil die klang
vollen, bilderreichen Verse des weberschen Epos auf aller Lippen
tcaren, weil die katholische Leserwelt sich nicht satt lesen konnte an
den Stimmungen, Gefühlen und Nachdenklichkeiten, die in unh
zwischen der episch-lyrischen Dichtung „Dreizehnlinden" stecken. Ditz
Verse flössen beim vorlesen so spielend leicht, und die zahlreich ein«
gestreuten Klangfiguren schmeichelten zwanglos, der poetische Dufj
war spürbar, und die schalkhafte Ironie, die neben dem hohen
heiligen Ernst wohnt, machte froh. Und so ist es heute noch.
Machen wir den versuch! Der Preis des schmucken Buches ist sc»
gesetzt, daß die Anschaffung für alle Kinder der Vberklasse möglich
ist; 55 oder 45 Pfennig hat doch auch heute noch leicht jedes Schul«
Kind übrig, und da, wo wirklich Armut oder unguter Wille zurück,
halten, findet jede halbwegs findige, kluge und eifrige Lehrerin
Mittel und weg, die Anschaffung möglich zu machen (Verlosung,
Theaterspiel, Ersparnis von Kirmeß-, Markt-, Karuffellgeld). Ist
für jedes Kind ein Exemplar angeschafft, dann kann die Lektüre
beginnen.
Unsere Herausgabe bringt in einer Einleitung das wichtigste
aus dem Leben und Schaffen des Dichters, einer Kartenskizze des
in Betracht kommenden Wesergebiets und die nötigen Erläuterungen
zum Text. Das ist genug, wer aber als Lehrender nach größerer
Orientierung verlangt, der achte auf die §. VIII in einer Fußnote
genannten Erläuterungswerkchen zu „Dreizehnlinden" und bestelle
sich eins und das andere.
Es ist notwendig, den im Geschichtsunterricht durchgenommenen
Stoff: die Kämpfe Kaiser Karls mit den Sachsen, zu wiederholen
und zu vertiefen und Land pnd Leute der Provinz Westfalen noch
einmal ins Gesichtsfeld zu rücken, wir selber machen nun unsere
Vorbereitung. Zunächst der Dichter: kernig, gerade, wahr, tief
religiös; so ist er seiner Heimat, seinem Elternhaus entwachsen, so ist
er sich treu geblieben ein langes Leben hindurch. Dann studieren
wir die Sänge, die wir in der nächsten Lesestunde durchnehmen
wollen: die Erläuterungen geben uns Fingerzeichen, was wir in
uns selber klären müssen an Begriffen, geschichtlichen oder sagen,
haften Geschehniffen, damit wir Antwort haben auf Fragen und
erweitern, ausschmücken, veriiefen können.
vor der Lefeftunde - nicht früher - werden die Bücher verteilt.
Sie bleiben geschloffen, bis wir über Dichter und Dichtung die Mit«
teilungen gegeben haben, die wir aus dem Vorwort und vielleicht
auch noch anderswo geschöpft haben. Die Kinder schauen zuerst die
hübsche veckenzeichnung an, werden mit Titel, Verlag und Heraus«
aeber vertraut gemacht. Die Bücher werden geöffnet und das vor«
wort gelesen; es ist nach unseren Einleitungsworten nicht notwendig,
länger dabei zu verweilen, doch sei nach dem Ablesen des Vorworts
eine kurze Pause zu etwaigen Fragen der Schüler gestattet. Nun
beginnen wir mit dem ersten Gesang, er wird von dem Lehrenden
gelesen, ohne stillezuhalten. Darauf lesen die Kinder alle still die
Erläuterungen zu diesem Gesang, die sie auf 5. 129 des Buches
finden, dabei sollen sie fragen, wenn etwas noch fremd und un
verständlich ist. Darauf lesen die Kinder den Gesang kursorisch.
Ist der Gesang gelesen, sprechen die Kinder sich darüber aus;
selber sprechen wir nur kurz und knapp dazu, helfen leise dem Ver
ständnis nach, weisen behutsam den weg zu Schönheiten, geben vor
sichtig Antwort und lassen die jungen Leser sich weitertasten zur
Klarheit, zum verstehen und frohen Genießen. Nur nie ohne Not
hinein(cden, zerpflücken, oder gar moralisieren. Die Dichtung spricht