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Mit monatlicher Seilage „vre ^unge Lehrerin".
Nr. ^5
57. Jahrgang
Jurialt: Brzesorosky, über das Seelenleben der volksjchülerin auf der
Oberstufe S. 429. Mernnngsauslaufch: Mädchenturnen S. 431. Kur
der Seit: Besoldung. 6>l-?schuß für Unterrichtswesen. üeichsvsrb. bath.
Ausländsdeutschen. Fürio^e für Junglehrer, liech nicht angeft. Lehrer
in Berlin. L.-L.-K. Düsseldorf, sius unserem t- ein: Die Vestellurg
der Zeitichrifren für 1925. Kn die Dere-nsleiturg. Komreiss. hastpflickr-
versicherung. Kulturleben a. d. Saar. Literaturkommission. volbsbürgerl.
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bürgerlicher Lehrgang Loppard. Bezirks-und Zweigvereine. Bücher
besprechungen. Stellenvermittlung.
Uder dar Seelenleben der VEsWlerm aus der GLerftufe.
Don Klara Brzesowsky, Kandrzin, Gberschlefien.
I. Über das Seelenleben einer ganzen Rdfye van Menschen all
gemein Gültiges zu sagen, ist unmöglich. Leibniz hat gesagt:
„Wie kein Blatt der Bäume im Walde dem anderen durchaus gleicht,
so auch keine Menschenseele der anderen." Wir haben in der Schule
die Wahrheit dieses Satzes bestätigt gesehen, und wir kennen als
Grund der seelischen Verschiedenheit der Menschen: die Anlagen, die
häuslichen Verhältnisse und die persönlichen Erfahrungen.
II. Außer der Beeinflussung von dieser Seite untersteht das Seelen
leben der Volksschülerin auf der Oberstufe, also der Mädchen im
Alter von 11-14 Jahren, der Einwirkung von drei anderen Faktoren:
Ausbau des Nervensystems, Beginn der Pubertät, Umschwung der
äußeren Lebensverhältnisse. Mit dieser Aufzählung ist zugleich die
zeitliche Aufeinanderfolge des Beginns der Einflüsse gegeben, von
der Berücksichtigung zahlreicher Ausnahmen und der Dauer der Be
einflussung wird abgesehen.
l. Vas letztgenannte Ereignis, der Umschwung der äußeren
Lebensverhältnisse, nämlich die Schulentlassung soll zunächst ins
Auge gefaßt werden. Uns, die wir die Mädchen bis zur Ent
lassung haben, beschäftigt dieser tiefe Einschnitt in das Seelenleben
weniger. Er dürste von weitergehendem Interesse für jene Kolle
ginnen sein, die Jugendpflege treiben.
Es gibt Mädchen, die den Augenblick der Entlassung herbei
sehnen mit ganzer Seele. Es wird sich gewöhnlich um Kinder handeln,
die sich in der Schule nicht wohlfühlten, weil sie sich n'cht ausleben
konnten nach ihrer Art. wir müssen uns aber klar werben, daß
bei manchen unserer Mädchen die Schulentlassung Schatten vor-
ouswirst, mehr, als wir zu glauben geneigt sind. Meist trifft es
bei solchen Kindern zu, die durch frühzeitiges herbes Erleben ernster
sind als andere, und die deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit
erregen. Schon wochenlang vor dem 1. April beherrscht sie ein
eigenartiges Grauen vor dem Leben nach Ostern.
Die Ursachen dieser Angst können verschiedene sein: Traurige
Verhältnisse in der Familie, in der sie nun noch mehr weilen sollen,
oder das Scheiden vom Elternhaufe wegen des Eintritts in ein
Dienlt- oder Arbeitsverhälinis. Nach Professor ö^erm} 1 gibt es eine
angeborene Angst, die sich in unheilvoller weise bemerkbar macht
bei jeder Neuerung, auch wenn sie für den Menschen an sich nützlich,
wertvoll, ja angenehm ist. Unsere Pflicht ist es, den Grund der
Angst vor dem Leben nach Ostern zu erforschen, ihn zu beseitigen,
soweit es uns möglich und dem Kinde dienlich ist.
' Czerny, Die Entstehung und Bedeutung der Angst im Leben des Kindes.
widmen wir unsere besondere Aufmerksamkeit jenen Kindern,
von denen wir wissen, daß sie die zweite Mutter oder den zweiten
Vater haben, wenn wir mit feinem Ohr und verstehendem Herzen
auf Uedcn in den Pausen, bei Schulausflügen oder bei ähnlicher
Gelegenheit hinhören, werden wir manches Mal den Schlüssel zu
rätselhaftem Benehmen der Kinder finden. Ich will nicht alle
zweiten Mütter und zweiten Väter mit meinen Worten verurteilen,
ich weiß, daß ich da Menschen Unrecht täte, die den ehrlichen willen
haben, die Stelle ganz auszufüllen, die sie einnehmen. Ich weiß
auch, daß es Eltern gibt, dis ihre leiblichen Kinder menschenunwürdig
behandeln, Eltern, die dem Körper alles geben, was er braucht, die
aber die Seele hungern lassen, wie es uns Wildenbruch in seiner
Erzählung „Dej Letzte" van einem Vater zeigt.
2. von werterem Einflüsse auf das Seelenleben unserer Mädchen
ist der Ausbau des Nervensystems. Die Wissenschaft hat fest
gestellt, daß das Gehirn in diesem Lebensabschnitt nicht auffallend
an Gewicht zunimmt, wahrscheinlich ist, daß eine innere Ver
änderung des Gehirns vor sich geht. Es steht fest, daß eine große
Vermehrung der Assoziationsfasern stattfindet, was auf unsere Denk-
tätigkeii einen entscheidenden Linfiuß hat.
3. Die schwerwiegendste Veränderung zieht in diesem Alter die
Geschlechtsreife, die Pubertät, nach sich. Der Beginn ist an kein
bestimmtes Jahr gebunden. Die Wissenschaft kennt Fälle, Aus
nahmen, in denen die Pubertät schon vor dem 10. Lebensjahre ein
trat. In diesen Fällen wurde das Zurückbleiben geistiger Kräfte
beobachtet: Es war ein großer Körper da, dem ober die geistigen
Leistungen des Kindes nicht entsprachen. Dieses Mißverhältnis
zwischen Körper und Geist haben wir - wenn auch nicht gerade
bei Kindern unter 10 Jahren — oft genug beobachtet. Seien
wir mit Bemerkungen wie: „Solch ein großer Mensch, und er kann
nicht soviel wie die Kleineren" ein wenig vorsichtiger. Eben wegen des
großen Leibes, der alle Kräfte für sich beansprucht, kann manches
Kind gerade in diesen Jahren beim besten willen den geistigen An
forderungen nicht genügen.
Schon vor Auftreten der äußeren Merkmale körperlichen Reifens,
oft schon 1—2 Jahre vorher, beginnt die seelische Umwälzung.
Die ist bedingt durch den Beginn der Tätigkeit bestimmter Drüsen
und Organe, hier näher daraus einzugehen, hieße jedoch meine
Ausgabe überschreiten.
Im allgemeinen nimmt man in unserer Zone das 12.-14. Jahr
für den Beginn der Pubertät bei den Mädchen an. Das würde
bedeuten, daß die seelischen Veränderungen schon mit zehn Jahren
eintreten können. Nebenbei sei bemerkt, daß das Ende des Neifenr
sich bis zum 20. Jahre, ausnahmsweise sogar bis zum 24. hinzieht.
Eigentlich müßten wir darum für unsere Mädchen der Gberklasse
den Ausdruck „Kind" fallen lassen, wir wollen ihn aber beibehalten,
im Hinblick auf das seelische, mütterliche Verhältnis zwischen der Lehrerin
und den Mädchen r denn in dieser Zeit, da so vieles auf die junge
Seele einstürmt, da schweres Grübeln und banges Fragen einsetzt,
brauchen die Mädchen unsere Hilfe genau so, oft mehr als die kleinste«
Lernanfänger — wenn auch in anderer Hinsicht.
Allgemeines Kennzeichen des Pubertätsbeginnes ist das Aufsteige«
der geistigen Entwicklung, oft in ganz auffallender weise. Einzel
heiten sollen später ln Betracht gezogen werden. AusnahmsweH«