Full text: Wochenschrift für katholische Lehrerinnen - 37.1924 (37)

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Sur Frage der privat- und Maffenirttüre. 
(Auf die Anregung in Nr. 10 S. 4L f. find folgende beiden Skizzen 
Eingegangen, Die Schriftleitung.) 
wie ich die Idee der Ulaffenlektüre in meiner Mädchen-berftaff« 
(vierter Jahrgang) zu verwirUlchen suchte. 
Meine ersten versuche machte ich mit den „Deutschen Jugend- 
heften" (Auer, vonauwörth). Sie dienen ganz besonders zur Ver 
tiefung des Sachunterrichtes. Bei Behandlung der entsprechenden 
Stoffe lasen wir: 
1. Der lange Philipp, von Spillmann (Zeitalter Fried, wilh. I.). 
2. Fünf Kriegsnovellen, v. Nabor (Freiheitskriege). 
3. von den Apenninen zu den Anden (o. Ldm. de Amicis). 
4. Sam Wiebe, eine halliggeschichle (o. Nlügge). 
Die Sachen waren von mir angeschafft. Die Kinder hatten jedes 
oder zu zweien ein Buch. Nr I und 2 versetzten uns mitten in 
die damaligen Zeiten. Nr. I war besonders fesselnd. Nr. 4 gab 
uns ein Bild von den Marschen und den halligen mit ihren heimat 
liebenden Bewohnern. Manche Niederschrift konzentrierte unsere Auf- 
merksamkeit aus etwas Bestimmtes, z. B. in Nr. 4. „vie warf 
Peter Jansens. — Auf dem Deiche' — Eine Schreckensnacht" usw. 
Mit Begeisterung lernten wir das Gedicht: Der Halligmatrose. — 
Es waren noch keine Großtaten — es war der Anfang. 
Webers „Goliath" und den größten Teil aus „Vreizehnlinden" 
las ich gelegentlich vor, ersteres bei der Behandlung Schweden- 
Norwegens, letzteres bei der Kulturgeschichte der Karolinger. Da 
lernten wir, was Kunst ist, wenn wir den klangvollen Versen lauschen 
durften. Mit Bewunderung blickten wir empor zu den großen, 
edlen Gestalten beider Dichtungen. Voll und ganz stimme ich der 
Verfasserin des Artikels in Nr. 10 der Wochenschrift bei, wenn sie 
die beiden Bücher für unsere Mädchen so sehr empfiehlt. Auch ich 
möchte wünschen, daß man eine verbilligte Ausgabe in Händen 
hätte, was ja leider noch nicht möglich ist? Weber ist meinen 
Mädchen ein gar lieber Freund geworden, und noch heute ver 
sichern mir ehemalige Schülerinnen: das schönste Buch ist für mich 
Webers Goliath. Einige haben es sich fchenken"laffen. Und wie 
wacker war man im Unterricht dabei, wenn es hieß: gleich lesen wir 
noch etwas! Den „Goliath" hörten wir am liebsten jedes Jahr. 
In diesem Jahre haben wir nun neben dem Lesebuche und außer 
einigen der obengenannten kleinen Sachen drei größere Ganzbücher 
gelesen: „Siegfried, der Nibelungenheld" (Schaffst, bl. 28) „Berg- 
kristall" und „Die Jungfrau von Orleans" (Deutsches Gut). Um Ab 
wechselung zu haben in der Klassenlektüre haben sich mehrere 
interessierte Kolleginnen zusammengeschloffen und je eine oder zwei 
Anschaffungen gemacht. So haben wir Auslauschmöglichkeiten, wir 
wählen die Bücher aus den obengenannten Sammlungen, je 40 Stück. 
Das erstgenannte Buch lasen wir diesen Sommer. Es ist eine 
gute Wiedergabe der Uibelungendichtung in erzählender Form, die 
mir für meine Klasie wegen der jüngeren Jahrgänge vorteilhafter 
schien. Schöne poetische Stellen las ich vor. Zwölf hübsche holz. 
schnitte zieren das Buch. Bei passender Gelegenheit hatte ich schon 
vorbereitend hingewiesen. In einer Lesestunde verteilte ich meine 
40 Exemplare. Für den folgenden Tag mußte jede ihr Buch ein- 
schlagen und das Papier mit ihrem Namen versehen haben. Jede 
war für ihr Buch verantwortlich, und nach dem Gebrauche konnte 
ich alle Bücher unbeschädigt einsammeln. So habe ich es bei den 
folgenden Büchern auch gehandhabt. (Erziehung zur Verantwortlich 
keit und Ordnungsliebe.) Zunäctst mußten wir das Gesicht unseres 
Buches kennen leinen. Das hübsche Titelbild erinnerte uns an das 
bekannte Lied: „Jung Siegfried". Und nun durften wir fragen. 
Wie ich erwartet, kam zuerst: was sind Nibelungen? Daß das 
„N belungenlied" ursprünglich hieß „Der Nibelungen Leid oder Not", 
versetzte uns in neues Staunen. Die weitere Frage galt dem Ver 
fasser. Das war mir sehr erwünscht, denn so kamen wir zu dem 
begriff „Volksepos". Dann las ich die einleitende Strophe in dem 
bekannten mittelhochdeutschen Texte vor. Treffender ist wohl kaum 
je auf den Inhalt eines Werkes hingewiesen worden als in diesen 
' vie Volksausgabe von Vreizehnlinden kostet z. 3t. 2.50 Jf, von 
Goliath 1,20 Jt. Der Verlag Ferdinand Schöningh ist bereit, bei klassen- 
welser Einführung größere Erleichterungen zu yewäd'en, und bittet, sich 
dieferhald direkt mit ihm in Verbindung zu setzen. 3a beiden Dichtungen 
sind im gleichen Verlage Lrläuterungsjchriften für die Hand der Lehrerin 
(60 bzw. 50 fy) erschienen. 
Versen, wie interesiant war nun die Lektüre; Siegfrieds Helden 
taten und sein tragischer Tod. die damaligen Litten und Gebräuche 
fesselten uns mächtig. Der 2. Teil, „Kriemhilds Rache", war uns 
beinahe zu schaurig und düster. Zur Vertiefung erfolgten an paffender 
Stelle und besonders am Schluß schriftliche Arbeiten. 
vor Weihnachten lasen wir „vergkristall". Da hatten meine 
Leser manches auszusetzen. Die endlosen Satzgebilde, die langen Be 
schreibungen konnten nur schwer das Intereffe gewinnen. Beffer 
wurde es, als man mit Spannung das Schicksal der beiden kleinen 
Helden in der Lhristnacht verfolgte. Meine Meinung ist auch die, 
man hätte da ohne Schaden kürzen können, wie es in der Schaff- 
steinschen Ausgabe tatsächlich geschehen ist. Vie Ligenart des Schrift- 
stellers wäre trotzdem zur Geltung gekommen. - Das Schönste kam 
nach Weihnachten: „vie Jungfrau von Orleans". Ja, unser Schiller 
hat uns vollständig zur Begeisterung hingeriffen durch die Reinheit, 
durch die Kraft und Größe, die aus der Dichtung spricht. Der 
wuchtige V. Akt wurde mit verteilten Rollen auswendig gelernt und 
aufgeführt. Die Kinder hielten diesen Akt für den schönsten. Vas 
Verständnis des Stückes hat uns wenig Schwierigkeiten gemocht, 
wenngleich wir gewiß nicht in den Sinn eines jeden Gedankens ein 
gedrungen sind. Ist m. E. auch nicht notwendig. Etwas schwer 
war der III. Akt mit den vielen seelischen Vorgängen. Da dar 
Drama sich nur als eine Haupthandlung abspielt, machte es uns 
am Schluß große Freude, den klaren Aufbau herauszuarbeiten, 
von den Monologen lernten wir Teile auswendig. Manche freie 
Arbeit schloß sich auch hier an. Alles in allem, es waren Stunden, 
in denen sich Kinder und Lehrerinnen gegenseitig erfreuten. 
vie Behandlung eines Ganzbuches erfordert eine gründliche Vor 
bereitung. ein Sichhineinversenken, ein hineinarbeiten mit der Frage: 
„was hole ich für meine Kinder heraus?" Kommentare fehlen in 
der Regel. Bequem mag ein solcher weg erst nicht sein; richtig 
angefangen ist ein solcher Deutschunterricht aber zweifellos erziehlich 
und unterrichtlich außerordentlich wertvoll. Mit Mut ans Werk, 
wer erzählt noch von seinen Erfahrungen? Mögen wir so ver 
suchen, p. Herders Wort zu verwirklichen: „Die Bücher sind da, 
damit du immer beffer lesen lernst, in ihnen, in dir selber, in den 
anderen." L. Gudenkauf, wildeshausen i. G. 
„Sroßmutterr Jugrndland" 
von Helene Pages, als Stoff für die Klaffenleklüre im sechsten Schuljahr. 
wir lasen „Großmutters Jugendland" in der Klaffe. Leider 
hatten wir nur ein Exemplar des Buches. Also mußte immer vor- 
gelesen werden. Das sinngemäße und schöne vorlesen des noch 
unbekannten Textes hatte aber bei einzelnen Kindern noch seine 
Schwierigkeiten. Darum bekam eines das Buch bis zum nächsten 
Tage nach Hause und mußte das nächste Kapitel zum guten vor- 
lesen vorbereiten. Die kleine Schar war sehr kritisch und fand an 
der Art des Vorlesens oft etwas auszusetzen, wer das am nach 
drücklichsten tat, bekam das nächste Kapitel auf. 
Zunächst lasen wir das ganze Buch, ohne den Text zu „be- 
handeln". Nur in unserer Gegend ungebräuchliche Ausdrücke (z. v. 
die Betten sind abgeschlagen, ein Baumstück usw.) wurden erklärt 
und die im Buch genannten Gegenden auf der Karte aufgesucht. 
So wurde dem Drange zu wiffen, „wie es weiter geht", Rechnung 
getragen. Dann ließ ich den ganzen Inhalt erzählen, und nun 
zeigte sich, wie manches vergeffen oder oberflächlich und deshalb oft 
falsch aufgefaßt worden war. So ergab sich die Notwendigkeit, das 
wiffen nachzuprüfen und zu berichtigen. Die meisten hatten den 
Wunsch, das Buch noch einmal still für sich zu lesen. Sie erhielten 
es der Reihe nach geborgt. Die Klaffe stellte ihnen aber zugleich 
eine Aufgabe, die in der Stunde nicht zur vollen Zufriedenheit hatte 
gelöst werden können. So war z. B. die Frage aufgestellt worden, 
was heute anders sei als damals, z. B. die Kleidung der Kinder 
(aus den Bildern ersichtlich), wie die Kinder lesen lernten, das 
Spinnen usw. Das eine Kind hatte also in diesem Sinne aller 
herauszusuchen, was im Laufe der Zeit eine Änderung erfahren 
hatte. Streiften wir so die Kulturgeschichte, so beachteten wir auch 
die Erdkunde: Rhein, Lahn und Westerwald. Wort und Bild gaben 
eine möglichst genaue Anschauung der Gegend. Vas wichtigste aber 
war die erziehliche Auswirkung. Dabei konnte ich stets ein Blitz- 
behagen der Kinder bemerken, wenn die Frage auftauchte: was
	        
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