Lotze, Hermann
für die Wirklichkeit des Guten gelten,
kann, So wie er Iist, nur deshalb Sein, weil
nur 50 Sich in ihm der unendliche Wert
des Guten Seine Erscheinung gab.« Frei-
lich ist dies keine Erkenntnis, Sondern Über-
zeugung; für unsgere menschliche Vernunft
Scheidet eine unausgefüllte Kluft die Welt
der Gegtalten von der Welt der Werte,
und Lotze vereinigt »mit der festesten
Überzeugung« von dem Vorhandensein der
Einheit, zwiSchen beiden Welten den »be-
wuſstesten Glauben an die Unmöglichkeit
ihrer Erkenntnis.«+ Aber 50 fest Steht inm
diese Überzeugung, daſs Sie alle Seine Be-
trachtungen belebt und daſs er den Zweck
der bekannten Zusammenfassung Seiner Be-
trachtungen im »Mikrokosmus« kurz dahin
bestimmt: für die Überzeugung, »daſs nur
ein Anfang der Welt den gemeingamen
Grund ihrer Gegetze, ihrer Gestalten und
ihrer Werte enthalte, daſs dieser Anfang
nicht in dem an Sich BedeutungsloSen wenn
auch Notwendigen liege, Sondern dals das
Wertvollste zugleich das Erste und Letzte
Sei , einen möglichst genauen Ausdruck
und eine Begründung, Soweit von einer
Solchen überhaupt geredet werden Könne,
zu Suchen.
ISt nun das Gute Ausgangs- und Ziel-
punkt der Wirklichkeit; liegt in dem, was
zein Soll, der Grund dessen, was iSt: So
ergibt Sich, dals es die Ethik ist, mit
welcher alle Spekulation zu beginnen hat.
Neben ihr Stehen dann noch die Mieta-
physik, welche den Gestaltungstrieb, und
die Logik, welche die Gesetzlichkeit zu
untersuchen hat, mit welcher der Gestaltungs-
rieb verfährt, um die Verwirklichung des
Guten zu erreichen. So entsteht die Drei-
teilung des Lotzeschen Systems, an der
uns vor allem das Betonen der Gesetzlich-
keit, der Gesetzmäſsigkeit, mit welcher der
Gestaltungstrieb auf Sein Ziel Sich richtet,
aufiällt, da es Lotzes Stellung zum Reaglis-
mus kennzeichnet, auf die oben hingewiesen
wurde.
Lotze ist nämlich auch Realist. Der
damalige Stand des Idealismus, der zu
einem inhaltlosen Begriffs- und Formelkram
geworden war, genügte Lotze nicht; Sein
reiches Gemüt wehrte Sich gegen leere
Abstraktionen als Basis des Philosophierens
und Erkennens und Sah diese vielmehr in
dem persönlich Erlebten. Es kam hinzu,
daſs er von Natur ein Scharfer Beobachter
und klarer Denker war und durch Sein
Studium zum Beobachten der Natur und
ihrer ErScheinungen geführt wurde. Noch
kam hinzu, dais gerade in den fünfziger
Jahren die materialistiscche Strömung an die
Offentlichkeit trat und jeden, der am gei-
Stigen Leben der Nation teilnahm, nötigte,
SICch mit ihren Prinzipien ausSeinander-
zuSetzen. -- So traien perSönliche Eigen-
tümlichkeit, persönliche Erfahrung und
ZeitverhältnisSe zusammen, um Lotze, den
IdealiSten von Haus aus, dahin gelangen
zu lassen, dals er den Mechanismus oder
die Gesgetzlichkeit des Naturverlaufes für
das ganze Gebiet des phySisSchen Geschehens
zulieſs. Er ging Sogar noch weiter, indem
er der Sog. Lebenskraft das Licht ausblies
und das leibliche Leben auf mechanistiSche
Weise deutete. »Die übrige Natur:<, So
Sagt er zum Schluſs der Schönen Darsteli-
iung dieses Punktes, »liegt nicht wie ein
fremdes formloses Chaos um das einzelne
lebendige Geschöpf ausgebreitet, erst von
Seiner Lebenskraft Zusammenhang, Form
und Entwickiung erwartend. So wie der
Brennpunkt einer Linse die wärmende Kraft
des Lichtes verdichtet, oder das zierliche
Bild einer Gestalt entwirft, ohne Sein eigenes
Verdienst, Sondern die zuSammensgchielsen-
den Strahlen Sind es, die es ihm Schenken,
der Schauplatz SO ausgezeichneter Erschei-
nungen zu Sein: So verdienstlos beinahe
Sammelt der lebendige Körper die Stotte
und Bewegungen der Umgebung zu dem
gesSchlosSenen Bilde Seiner eigenen Gestalt.
Wohl ist er zum Teil Selbst die Linse,
deren brechende Kraft die Strahlen ver-
einigt, aber auch diese wirksSame Form
dankt er einer Überlieferung, in welche die
Kräfte der Auſsenwelt mittätig eingriffen.
So ist er, was er ist, als Ergebnis der Um-
Stände, die ihn hervorbrachten.<
Weiter allerdings ging Lotze nicht; die
Vermischung der beiden Prinzipien für die
beiden Gruppen des physiSchen und des
geisStigen Geschehens machte er nicht mit.
Wohl erkannte er an, dais die Verände-
rungen körperlicher Elemente ein Reich
von Bedingungen darstellen, an welchen
Dasein und Form unsSerer inneren Zustände
mit Notwendigkeit hängt; aber dies beweist
ihm noch immer nicht, daſs »in jenen Ver-
änderungen die einzige und hinreichende