Full text: Jesus

Vorwort. 
„3< bin überzeugt, daß die Bibel immer ſchöner wird, je 
mehr man ſie verſteht, das heißt, je mehr man einſieht und an- 
ſ<aut, daß jedes Wort, das wir allgemein auffaſſen und im be- 
ſonderen auf uns anwenden, nach gewiſſen Umſtänden, nach Zeit- 
und Ortsverhältniſſen einen eigenen, beſonderen, unmittelbar indi- 
viduellen Bezug gehabt hat.“ -- Das Prophetenwort Goethes hat 
ſic) zum guten Teile erfüllt, auch in unſerm Unterricht. Wir leſen 
die Bibel nicht mehr als Orakelbuch, das uns in allen möglichen 
Zweifelfällen des Lebens unmittelbar Rat und Auskunft erteilt, 
ſondern wir ſuchen in ihren Geſchichten und Sprüchen den ur- 
ſprünglichen, zeitgeſchic<htlihen Sinn wiederzufinden, wir kommen 
über den Buchſtaben der Erzählungen und Lieder wieder zu ihrem 
Geiſt. -- Ja, wir kommen noc< weiter! Was Winkelmann für die 
Antike geleiſtet, als er aus den Überbleibſeln der klaſſiſchen Wiſſen- 
ſhaft und Kunſt das Denker- und Künſtlervolk der Hellenen wieder 
zu lebenswarmer Wirklichkeit wete, was Herder für ISrael getan, 
als er aus den Reliquien ſeiner Literatur den Stamm der Pſalmiſten 
und Propheten zu neuem Sein hervorzauberte, das beginnt allmählich 
auc< in unſerm Unterricht ſeine Früchte zu tragen. Hinter den 
Geſängen und Sprüchen der religiöſen Heroen ſuchen wir auch in 
unſern Schulen heute wieder die Menſchen zu greifen, die dieſe 
Geſänge erlebt und dieſe Sprüche erfahren haben. =- Und das iſt 
der rec<te Weg, die Meiſter unſerer Religion in Wahrheit zu „reli- 
giöſen Erziehern“ für uns werden zu laſſen. Bei dieſen Männern 
Gottes, die ein praktiſches Lebenzintereſſe für uns haben oder haben 
ſollten, kommt es nicht ſo ſehr darauf an, daß wir wiſſen, wie ſie 
ſich zu dieſem oder jenem Problem geſtellt haben, als vielmehr, daß 
wir ſagen können, wie ſie ſich ihrer ganzen Art nach zu dieſer oder 
jener Frage ſtellen würden. Erſt wenn wir das vermögen, ſind 
1. 

	        
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